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Beim Aufwachen: Kopfschmerzen. Von der Sorte, bei der auch kein Kaffee und keine Schmerztabletten helfen, wo es dumpf gegen die Kopfinnenwände klopft, so dass ich in meinem Spiegelbild die Haut pochen sehen kann. Die Erinnerung an gestern Abend: Die Bar, die Freunde, die Feierabendgetränke – es hätte alles so schön sein können. Es war sogar so schön. Bis Felix fragte, was wir mal hatten werden wollen, als wir klein waren. Egal, ob Prinzessin, Ganove oder Steuerberater – Felix lachte. Ein altes Lachen, ein aussichtsloses Lachen, wie wenn man bei einem Film bereits früh ahnt, daß die Besten am Ende werden sterben müssen. Aber das war ja eigentlich kein Wunder. Immerhin sprachen wir über geplatzte Träume und darüber, wie wenig die Zukunft in der Realität gehalten hatte, was sie uns früher versprochen zu haben schien. Es ging um unser ganz persönliches Scheitern. Da saßen wir, konfrontiert mit den mal so groß gewesenen Zielen, und neben den glänzenden Bildern, die wir uns früher ausgemalt hatten, sahen wir alle reichlich blaß aus. Felix bestellte einen Wodka nach dem anderen und lachte noch einmal. Wenn er nur sagen würde, wir hätten alles richtig gemacht oder alles falsch, er aber eine Lösung für uns und für die Zukunft hätte! Nilpferd-Waisenbabys aufziehen vielleicht. Oder eine neue, coole Religion gründen. Aber Felix hatte keine handfesten Pläne für uns, er legte seine Stirn stattdessen müde in eine kleine Wodkapfütze auf dem Kneipentisch und schlief. Die ganze Nacht platzten in meinen Träumen kleine Prinzessinnen, Ganoven und Steuerberater wie überdimensionierte Knallteufel. Ich riß mir die Klamotten vom Leib und stand dann ziemlich dumm da, weil darunter kein Alter Ego zum Vorschein kam, kein Superheld, um dieser Knallerei, ja, diesem Sterben ein Ende zu bereiten. Und jetzt, am Morgen: Ich und der Spiegel, bitzelnde Schläfen. Was ich alles hätte werden können! Ja, was eigentlich? Und wie macht man das? Und wann ist man mit dem Was-Werden fertig? Was bin ich überhaupt geworden? Meine berufliche Situation fühlt sich diffus an: Dreißig-Sein, ein Diplom haben, selbständig arbeiten, vieles können, aber nichts so richtig. Als was verstehe ich mich? Mir fehlt eine klare Definition. Ich erinnere mich, dass wir früher eine Verkleidungskiste zu Hause hatten, aus der ich mich oft morgens angezogen habe. Dann war ich einen Tag lang Spanierin, feiner Herr oder Braut. Damals hat allein die Kleidung gereicht für eine andere, legitimierte Identität. „Ich bin Schriftstellerin“, sage ich versuchsweise in den Spiegel hinein. Ich komme mir dabei vor wie eine Kuh, die sprechen kann. Vielleicht bin ich schon eine Schriftstellerin - oder eben auch nicht. Denn: leben kann ich allein vom Schreiben noch nicht. Wahrscheinlich bin ich eine Schriftstellerin und vieles andere auch. Ich teile Jobs heute in zwei Kategorien: 1. die Brotjobs, und 2. die Herzensangelegenheiten. Meistens verdiene ich mit den zweiten deutlich weniger Geld, was die ersteren ja erst nötig macht. Oft genug habe ich mich darüber beschwert. Ich habe mich darüber beschwert, keine Wochenenden und kein festes Gehalt zu haben und nicht angemessen für meine endlich gefundene Profession, das Schreiben, bezahlt zu werden. Ich habe mich darüber beschwert, aus finanziellen Gründen irgendwelche Jobs annehmen zu müssen und deshalb keine Zeit für das eigentlich Wichtige zu haben. Ich armer Mensch! Die Türklingel.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Mann mittleren Alters steht da. Er sieht ein bisschen zerdrückt aus, als hätte er sich gegen mehr Schwerkraft zu behaupten als der Rest der Welt. Er erzählt mir, dass er die Wohnung gegenüber besichtigt habe, und einmal nachfragen wolle, ob es hier immer so ruhig sei wie jetzt. Für ihn sei das enorm wichtig, sagt er, und wird ein paar Zentimeter größer, er sei nämlich Schrift-steller (er betont das seltsam, als könnte man da etwas missverstehen, ganz hässlich klingt das Wort plötzlich), als Schrift-steller, da brauche man ja Ruhe, er mache nichts als Schreiben, als Schrift-steller müsse man sich ja konzentrieren, da könne man nicht gebrauchen, dass es dauernd an der Tür klingele, manchmal würde er tagelang die Wohnung nicht verlassen, Schrift-steller müssten es ja ausnutzen, wenn die Muse sie küsst. Und er werde sehr wohl geküsst, und deshalb könne er nichts anderes arbeiten, und Schrift-steller sei doch wohl ein ehrenwerter Beruf. Groß wie ein Hochhaus ist er jetzt. Ich weiß gar nicht, warum er mir all das erzählt, warum er sich rechtfertigen muß. Ich frage mich, ob er denkt, dass ich seinen Beruf hasse oder ob er vielleicht einfach selbst seinen Beruf hasst? Er mustert mich. Ganz klein muß ich von da oben aussehen. Dann fragt er, was ich beruflich mache. „Ich bin Köchin“, lüge ich. „Und manchmal geht es hier zu, das können sie sich nicht vorstellen. Ex-trem laut. Der Hinterhof ist wie ein Schacht, da kommt kein Geräusch mehr raus. Ex-trem laut ist das. Und dann natürlich vorn, auf der Straße, nachts, wirklich ex-trem laut und unglaublich, ... also: ent-setz-lich!“ Ich bin nicht besonders gut im Lügen. Aber er scheint mir zu glauben. Als er im Treppenhaus verschwunden ist, langsam und schnappatmig, laufe ich ans vordere Fenster und sehe ihm hinterher, wie er die Straße hinuntergeht und kleiner und hutzeliger wird, bis er hinter der Ecke verschwindet. Jetzt tut er mir ein bisschen leid. Er tut mir mehr leid, als ich mir noch vor wenigen Augenblicken selbst leidgetan habe, und das ist ganz schön viel. Tagelang nur zu schreiben ohne die Wohnung zu verlassen und nichts anderes mehr zu arbeiten, diese Vorstellung hat mit einemmal ziemlich an Verlockung eingebüßt. Zumindest, wenn dieser Schrift-steller das Ergebnis einer solchen Lebensführung ist. War es wirklich das, wo ich hinwollte? Schriftstellerin? Hätte ich einen meiner Jobs nehmen und behalten sollen? Im Grunde sind all meine Nebenjobs ein bisschen wie die Verkleidungskiste gewesen. Für eine Weile war ich jemand anderes, und nach einiger Zeit bin ich immer wieder zu mir selbst zurückgekehrt. Und doch hat jede einzelne Arbeit etwas in mir verändert. Vielleicht muß ich mich gar nicht grämen über all die Jobs, die ich schon gemacht habe (und wohl noch länger machen werde). Denn alle haben sie etwas bewegt. Vielleicht nur etwas ganz Kleines, und doch hat sich all das zusammengesetzt zu dem, was ich jetzt bin. Über diese Bruchstücke möchte ich berichten. Über all die Splitter, die sich zu einem Ganzen zusammensetzen. Über das, was übrig bleibt.

Text: anne-koehler - Illustration: Katharina Bitzl

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