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Anne und ihre Jobs: Als ich Kolumnistin war
Die letzten Monate habe ich von Gespartem gelebt und mich zweifach ausschließlich ums Schreiben gekümmert: 1. um mein literarisches Dings, und 2. um diese Kolumne. Das erste nenne ich „Dings“, weil es kein gutes Wort dafür gibt. „Roman“ lähmt einen schnell bis zum Scheitern, und „Projekt“ müffelt inflationär nach Belanglosigkeit und Amateurtum. Früher ging bei dem Wort „Projekt“ möglicherweise noch ein ehrfürchtiges Raunen durch die gereckten Hälse. Heute hat nahezu jeder ein „Projekt“ am laufen: den Fernsehkonsum, das Rauchen und das Trinken reduzieren, das Altglas wegbringen oder in eine Live-Performance integrieren, eine Tradition hochhalten, oder irgendwelche exotischen Fleischsorten probieren, die letztendlich doch immer so ähnlich wie Huhn schmecken.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Das Dings erwähnte ich (außer meinen Freunden gegenüber) in den letzten Monaten nie. Denn sonst muß man immer viel erklären und bitteschön zuversichtlich klingen, bald auf aller Welt Bestsellerlisten zu landen und vielleicht eines Tages sogar auf dem Mond. Von Selbstzweifeln will keiner etwas hören. Wenn jemand also fragend mit dem Finger auf mich zeigte, sagte ich souverän: Ich bin Kolumnistin. Eine Berufsbezeichnung, die seltsamerweise keine Fragen offenließ. Kein ungläubiges: „Und damit kannst du genug verdienen?“, wie sie das beim literarischen Schreiben gerne fragen. Und mit einer einzigen Kolumne verdient man nun wirklich nicht genug Geld, nicht einmal, wenn man Mietnomade wäre. Aber die Ausfrager gaben sich zufrieden, mit einer Kennermiene wie „Gourmets“ bei dem wahnsinnig erlesenen Projekt Olivenölverkostung. Da will sich ja keiner die Blöße geben, indem er einfach mal profan „Pfui Teufel“ sagt. Das Dings wartete jeden Morgen geduldig auf dem Schreibtisch, die Kolumne krakeelte dagegen ruppig und lautstark – vor allem, wenn der Dienstag näherrückte und die Ideen draußen herumtollten und sich einfach nicht einfangen lassen wollten. Angefangen hatte ja damals alles in der Bar, als Felix fragte, was ich mal hatte werden wollen, als ich klein war. Dadurch waren die Überlegungen, was ich letztendlich geworden bin, überhaupt erst ins Rollen geraten. Gestern wieder die Bar, wieder mit Felix. Als Kinder wollten wir beide Ganoven werden. Welche von den Guten selbstverständlich, wie Butch Cassidy und Sundance Kid oder Johnny Hooker und Henry Gondorff. Betrübt über unsere weniger heldenhafte Entwicklung in der Wirklichkeit war Felix in die Wodkapfütze auf dem Tisch gesunken. Doch gestern ließ Felix sich nicht hängen. Im Gegenteil. Aufrecht saß er da am Tisch und meinte, es müsse endlich mal losgehen, jetzt wäre Schluß mit den Ausreden, wir würden jetzt mal anfangen, und zwar so richtig. „Womit denn?“, wollte ich wissen. „Mit den Träumereien aufzuhören“, sagte Felix. Ich dachte, er meinte, wir sollten uns mit unserem Zustand abfinden oder gar anfreunden. Aber nichts da. Felix sprach von Nägeln mit Köpfen, von einer wichtigen Mission, von dem ganz großen Coup. Seine Stimme war heiser vor Aufregung und Geheimniskrämerei. Er trug mir auf, das Buch in meinem Bestand zu suchen, für das ich mich am meisten schämte. Er würde sich beizeiten wieder melden. Was er vorhabe, fragte ich zurück, und da wedelte er mit den Händen, machte „Psssssst!“ und tat auffällig unschuldig, bevor er klammheimlich ohne ein Wort verschwand. Doch jetzt habe ich mich erstmal um die letzte Folge der Kolumne zu kümmern. Es ist schon Montag, und die Illustration will ja auch noch gemacht werden. Auf die freue ich mich nun seit fast fünf Monaten wöchentlich. Und ganz ehrlich: das Eichhörnchen habe ich nur deshalb in Folge 4 hineingeschmuggelt, damit es mit aufs Bild kommt! Außerdem war es schön, mal eine direkte Reaktion auf Texte zu bekommen, ein bißchen unmittelbarer zu arbeiten. Aber mit den Kommentaren ist das so eine Sache. Denn bei literarischen, fiktiven Texten gilt die Kritik in der Regel dem Stück Text und dem Handwerk des Autors. Schreibt man jedoch über sich selbst, macht man sich auch als Person angreifbar. Man kritisierte meine Entscheidungen, meinen Lebenswandel, meine Einstellung. Wenn ich einen Job als „Nebenjob“ bezeichnete, der für jemand anderen der Hauptjob war, bekam ich Rüffel. Dabei ist genau das ja mein Dilemma: mit meinem Hauptjob (dem Schreiben) verdiene ich eben noch nicht genug – trotzdem kann alles andere nur ein Nebenjob bleiben, ein Brotjob. Ich finde ja, das gleicht sich aus, denn andersherum ist das Schreiben für die meisten ja auch bloß ein Hobby, wenn überhaupt. Und darüber bin ich schließlich auch nicht beleidigt. Jetzt sitze ich also an der letzten Folge, und muss die Kolumnistin bald wieder aufgeben. Nur: wie geht es dann weiter? Was werde ich morgen sein? Und in einem Jahr? Und in zehn Jahren? Bevor ich richtig Angst bekommen kann, ruft zum Glück Felix an. Ob ich die Ware aufgetrieben habe, fragt er mich im Flüsterton. „Ach so, das Buch? Ja. Aber Felix, kannst du lauter sprechen, bitte?“ „Pssssst.“ „Was...?“ „Keine Fragen!“, brüllt er. Es gehe um einen streng geheimen Austausch von peinlichen Gütern, sagt er, und: „ich melde mich wieder“, und legt auf. Einige Sekunden später verlangt eine SMS nach Aufmerksamkeit: "Heute in den Arkaden. Verpackung: Kaisers-Tüte. Austausch ohne Kennwort auf der Rolltreppe. 14:45, du von oben (Thalia), ich von unten. Es wird nicht ganz einfach. Tüte auf dem Rollband ablegen, und dann umgreifen. Unbedingt Uhrenvergleich. Keine Namen. F." Felix macht wirklich ernst. In den letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, daß es nichts bringt, sich Felix und seinen seltsamen Ideen zu widersetzen. Ich schreibe zurück: "Roger. Der Adler ist gelandet. A." Ich nehme ein Buch aus dem Regal, das ich hinter einer Reihe anderer versteckt habe – weil es mir peinlich ist, ich es aber auch irgendwie nicht weggeben kann. Ich wickle es in Zeitungspapier und stecke es in die verabredete Kaisers-Tüte, die wahrscheinlich in jedem Berliner Haushalt irgendwo unter der Spüle herumsumpft. Dann schaue ich sehr lange auf die Uhr, bis mein Herzschlag mit dem Sekundenzeiger gleichgetaktet ist. 13:45 Uhr, Zeit zum Aufbruch. Ich habe keinen Trenchcoat, aber immerhin einen Hut, unter dem ich mich verstecke. In den Arkaden ist reger Betrieb. Hinter jedem Augenpaar, das mich streift, wittere ich einen Detektiv. Plötzlich frage ich mich, ob unser Vorhaben eigentlich verboten ist – auch wenn wir nur peinliche Bücher in den Tüten haben. Gilt das als Vortäuschung einer Straftat? Betont lässig lehne ich mich an die Balustrade, doch als zwei Polizisten an mir vorbeigehen, höre ich deutlich meinen Herzschlag von den Wänden widerhallen. Ich warte, daß die Uhr auf 14:45 umspringt, einatmen, bis drei zählen, ausatmen. Alles läuft perfekt nach Plan. Zeitgleich betreten F. und ich die Rolltreppe, er von unten, ich von oben. Er hat schon seine Hand mitsamt Plastiktüte auf dem Geländer abgelegt. Ich lege meine auch auf auf das Band, das Buch darin mit einemmal bleischwer. Wir kommen uns immer näher, das Herz setzt kurz aus, da greifen unsere Hände auch schon um, ruckartig und ungeschickt. Die Leute hinter mir verstummen, ich spüre tausend Augen in meinem Rücken, mir ist flau, ich ziehe den Hut noch tiefer ins Gesicht, presse die Tüte dicht an meinen Körper. Bloß schnell raus hier, weg vom Tatort, ohne Spuren zu hinterlassen! Wieder zu Hause, schließe ich hinter mir ab und schiebe sogar die Kette vor. Sicher klopft gleich ein Schutzmann gegen die Tür und schreit: „Aufmachen, oder wir schlagen die Tür ein!“ Mein Atem will sich gar nicht beruhigen. Das Ganove-Sein hatte ich mir anders vorgestellt. Ich ziehe den Hut ab, werde das Ganoven-Gefühl aber nicht los, wechsle schließlich die komplette Kleidung, sogar die Unterhose, stopfe alles in die Plastiktüte und verstecke sie unter der Spüle. Eines ist nun klar: einen guten Ganoven werde ich in diesem Leben nicht mehr abgeben. Ab morgen werde ich mir einen anderen Job suchen müssen. Nur: was? Ich gehe ins Bad und schaue mein Spiegelbild an. Aber die Frau darin hat mir nichts zu sagen. Naja, mit Spiegeln sprechen hat ja bekanntermaßen noch nie Glück gebracht.