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Anne und ihre Jobs: Als ich Hostess war
Das mit der Fernbeziehung ging nur ein knappes Jahr lang gut. Dann stieg ich zum letzten Mal in das Flugzeug von Mailand nach Hannover und wußte: es war besser so. Trotzdem übermannten mich danach Liebeskummer und absolute Lethargie. Ich hatte Semesterferien, im Archiv war Flaute, und so ging ich kaum vor die Tür. „Das kann man ja nicht mehr mit ansehen“, sagte meine Mitbewohnerin Lena nach einer Woche zu mir. Es war zwölf Uhr mittags, sie war schon joggen gewesen, hatte geduscht und gefrühstückt und wahrscheinlich nebenher mehrere Personen vor dem Elend bewahrt. Ich setzte im Schlafanzug die dritte Kanne Espresso auf und steckte mir meine fünfte Zigarette an. Sie rechnete mir vor, was ich alles zu tun hatte: Aufräumen, Küche putzen, ein Referat und zwei Hausarbeiten schreiben, etc. pp. Ich nahm wortlos meinen Kaffee und legte mich wieder ins Bett. Lenas Klopfen ignorierte ich. Erst, als die Wohnungstür zuschlug, ging ich zurück in die Küche. Lena hatte mir einen Zettel auf den Tisch gelegt mit der Überschrift: To-do-Liste. Ich schwöre: der Sound aus „Psycho“ dröhnte in meinem Kopf dazu! Ich habe nicht per se etwas gegen diese Listen. Manchmal tut es gut, Punkt für Punkt abzuhaken, das ist unbestritten. Aber wenn man gerade im Selbstmitleid versinkt, ist jeder Punkt auf einer solchen Liste ein ordentlicher Tritt gegen das Schienbein. So ähnlich, wie lebenslänglich Inhaftierten Reiseprospekte zu zeigen. (Bei Liebeskummer sieht man halt alles etwas drastischer.) Vor allem bei Lenas Zusatzaufgaben: - Sport machen - Mit Freunden treffen - Täglich fünf Sorten Gemüse/Obst essen - Tanzen gehen - Neue Leute kennenlernen Während ich das las, wurde ich furchtbar müde. Eine gefühlte Woche später stürmte Lena in die Küche. Ich saß immer noch vor der To-do-Liste. Sie war nicht kürzer geworden. Lena meinte, jemand sei krank geworden und sie brauche eine Vertretung als Hostess auf der Messe in Hannover. Und ich müsse ihr den Gefallen tun und am nächsten Morgen um halb sechs ginge es los. Sie warf dabei gekonnt die Hände in die Luft und sagte das mit Bestimmtheit. Ich war zu perplex, um abzulehnen. Am nächsten Morgen um fünf Uhr rüttelte mich Lena wach und steckte mich in mein altes Kellnerinnenkostüm: schwarzer Rock, schwarze Schühchen, weiße Bluse. Nur die Fliege ließ sie weg. Ehe ich richtig wach war, saß ich schon im Auto und blickte wehmütig in den Rückspiegel.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Lena bugsierte mich in einen Raum – und verschwand. Jemand drückte mir ein Klemmbrett in die Hand, etliche Fragebögen dazu, und bombardierte mich mit Instruktionen. Es stellte sich heraus, daß ich 120 Asiaten auf Englisch über ihre Zufriedenheit mit der Messeorganisation befragen sollte. Nicht gerade, was man sich wünscht, wenn man allein sein will. Funktioniert auch schlecht mit zusammengepressten Lippen.
Ich hätte mir vorstellen können, Kontrolleur zu sein oder Knöllchen auszustellen. Etwas, für das die Menschen mich hassen könnten – und wofür im Gegenzug ich einen Grund hätte, sie zu hassen.
Doch die asiatischen Geschäftsleute waren rührend. Sie drückten mir Wasserbecher in die Hand, boten mir Stühle an und überhäuften mich mit Visitenkarten. Sollte ich je nach Asien reisen, hätte ich wenigstens schon einmal genug Anlaufstellen.
Aber ich wollte gar nicht nach Asien. Ich wollte nur in mein Bett zurück. Ich wollte haufenweise Chips und Schokolade essen, ich wollte die traurigsten Filme der Welt sehen, ich wollte sehr lange schlafen und nie wieder sprechen.
Ich teilte Fragebögen aus, erläuterte die einzelnen Punkte, sammelte Fragebögen ein, verbeugte mich hin und wieder. Laut Liste sprach ich insgesamt mit 123 asiatischen Standinhabern. Die Gespräche ähnelten sich – nach zehn Stunden kam es mir vor, als hätte ich nur ein einziges, sehr sehr langes Gespräch geführt, bei dem mein Gegenüber das gerade Gesagte immer wieder vergaß. Mein Wortschatz schwand rapide.
Als ich am Feierabend in dem Raum vom Morgen wieder auf Lena traf, konnte ich gar nicht mehr sprechen, sondern nur noch den Kopf schütteln.
„Komm doch noch mit auf die Standparty“, sagte Lena.
Ich schüttelte den Kopf.
„Laß dich nicht so hängen. Du mußt dich mal mit neuen Leuten unterhalten.“
„Lena, ich habe heute mit 123 Asiaten gesprochen.“
„Das zählt nicht.“
„Das ist mir egal.“
Ich sah in Lenas enttäuschtes Gesicht. Da trapste keine Nachtigall leichtfüßig heran, sondern ein ausgewachsener Uhu krachte mir geradewegs vor die Füße. Das ganze ist bloß ein billiger Trick gewesen, um mich vor die Tür zu locken!
Zugegeben, manchmal ist Ablenkung prima. Aber nur, wenn man auch bereit ist, sich ablenken zu lassen. Meine To-do-Liste sah einfach völlig anders aus als Lenas. Ich nahm mir vor, wenn sie das nächste Mal Liebeskummer haben sollte, die 123 Asiaten zu uns zum Essen einzuladen und sie dann mit ihnen alleine zu lassen. Ihre Telefonnummern und Mailadressen hatte ich ja jetzt.
Ich ließ Lena stehen und fuhr mit dem Zug nach Hause. Auf der Fahrt schrieb ich meine eigene To-do-Liste und hakte sie in Hildesheim gleich Punkt für Punkt ab:
Ich lieh mir einen ganzen Stapel traurige Filme aus.
Ich deckte mich mit Chips und Schokolade und Getränken ein.
Ich zog den Telefonstecker.
Ich schloß meine Zimmertür ab.
Vorher tackerte ich allerdings noch die alte To-do-Liste von Lena an ihre Zimmertür.
Die Überschrift hatte ich durchgestrichen und ersetzt durch: Tu-du-Liste.
Text: anne-koehler - Illustration: Katharina Bitzl