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Liebling und IVY: Magazine für alte Hedonisten und junge Gutmenschen
Die Philosophie der Seife Einfach ist der Liebling nicht. Sperrig und schwer kommt er daher: 178 Seiten Zeitungspapier, ungeheftet im Ultra-Großformat. Aber einfach soll er ja nicht sein, sondern exklusiv. Es geht, laut Editorial, um den „Glamour der Empathie“. Darunter fällt zum Beispiel Seife. Ganze elf Seiten sind dem Waschutensil gewidmet. Neun davon zeigen nichts anderes als ein farbiges Stück Seife auf weißgrauem Papier. Auf den anderen beiden Seiten erzählen Star-Autoren wie Eckhard Nickel, Peter Glaser und Johanna Adorján über ihre persönliche Beziehung zu diesem Objekt.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Natürlich stehen im Liebling auch noch andere Geschichten: Ästhetikprofessor Bazon Brock sinniert über die nationale Bedeutung von Udo Lindenberg, die Schönheit der Fraktur-Schrift wird gelobt und eine Autorin beschreibt die Flirt-Chancen bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker. Die gesellschaftliche Relevanz der Liebling-Themen hält sich also in Grenzen. Dafür sieht die Zeitschrift ziemlich gut aus: Großporträts, Produktstrecken (bunte Seife!) und doppelseitige Anzeigen (die ersten 14 Seiten) ist man eher von Hochglanzmagazinen gewöhnt. Auf Zeitungspapier entsteht dadurch eine gewisse zeitlose Ästhetik. Das Magazin erschien bereits viermal zwischen 2005 und 2006, doch ab dem Frühjahr soll Liebling monatlich erscheinen. Über Liebling würde man eigentlich gar nicht so viele Worte verlieren, hieße der Herausgeber nicht Markus Peichl. Der war in den frühen 80ern Chefredakteur des Magazins Wiener. 1985 gründete er die legendäre Zeitschrift Tempo und war bis 1990 dessen Chefredakteur. Was den „Glamour der Empathie“ betrifft, ist Peichl aber auch ratlos. In einem Interview sagte er: „Ich habe das auch gelesen mit einem kleinen Schmunzeln und habe mir gedacht: Das klingt gut. Aber was genau damit gemeint ist, weiß ich auch nicht.“ Wer soll das kaufen? „Menschen, die so etwas wie eine Ästhetisierung des Alltags im Sinn haben.“ (Markus Peichl). Gealterte Tempo-Leser, die das Interesse für Seife und Kunst als logische Folge der wilden Neunziger sehen. Wo liest sich’s am besten? Auf dem Parkettboden oder auf dem Glastisch einer riesigen Altbauwohnung. Nicht in der S-Bahn. Bester Satz aus dem Editorial: „Uns geht es um die Liebe zu den Menschen und den Dingen, um die Ästhetisierung des Alltags, das Bekenntnis zur Emotionalität, um den Glamour der Empathie.“
Dasselbe in Grün Auf dem Cover von IVY guckt Heike Makatsch (seit 15 Jahren reibungsfreie Identifikationsfigur für junge Menschen zwischen 16 und 25) im Wintermantel kokett zwischen Efeublättern hervor. Darunter prangt die Schlagzeile „Eco-Style – Sexy? Korrekt! Grün ist das neue Cool“. Letzteres könnte auch der Claim dieses neuen Magazins sein. IVY ist eine Art NEON für junge Gutmenschen: Format, Layout und Einteilung sind bestechend ähnlich.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Auf 162 Seiten geht es um Energiesparen, Bioprodukte, Ethical Fashion – kurzum um korrektes Coolsein. IVY erzählt, wo man ökologisch korrekt Urlaub macht („Korrekt entspannen“). Die Rubrik „Kleine Ursache“ informiert über die Energiebilanz von Fleischessen („Einen Vegetarier-Tag pro Woche einlegen: Gesünder und umweltfreundlicher, denn Vegetarier verbrauchen nur ein Zehntel der CO2-Emission im Verhältnis zum Durchschnitt), Kaffeemaschinen („Eine Thermoskanne spart 70 Prozent der Energie“) oder Plasmafernsehern („LCD-Bildschirme sind deutlich energiesparender.“). Eine junge Familie aus Friedrichshain erzählt, wie sie angefeuert von ihren Kindern eine Demo organisierte und man erfährt: Auch Bio-Bier knallt. Zählt man sich selbst nicht gerade zu der Gruppe der kompromisslosen Hedonisten, muss man IVY natürlich „korrekt“ finden. Geht ja schließlich um eine gute Sache. Nur: eine gute Sache macht eben noch kein gutes Magazin. Wer soll das kaufen? Junge Familien und Gutmenschen aus Baden-Württemberg, die seit fünf Jahren in einem renovierten Altbau am Prenzlauer Berg wohnen. NEON-Leser, die bei dem Magazin ab und an „Korrektheit“ vermissen. Wo liest sich’s am besten? In einem Cafe auf der Kastanienallee zu einer Bionade, nachdem man gerade für 200 Euro bei American Apparel eingekauft hat. Bester Satz aus dem Editorial: „Wenn wir finden, eine lässige Jeans ist noch lässiger, wenn die Materialien fair gehandelt, umweltfreundlich gefärbt und unter menschlichen Bedingungen zusammengenäht wurden, dann werden morgen viele und übermorgen alle Hersteller ihre Jeans so produzieren. Aber eine Jeans muss schon noch zuallererst lässig sein.“