Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Therapiert euch doch selber!

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Die Mädchenfrage

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Neulich habe ich auf einer Party ein echtes Gespräch mit einem Jungen geführt. Es ging um Freunde und wie das ist, wenn die doof werden. In jenem besonderen Fall handelte es sich um einen ehemaligen guten Freund des Jungen, der in den letzten Jahren ein wenig komisch geworden war. Statt zu einem verantwortungsvollen Staatsbürger heranzureifen, habe er die schlechte Angewohnheit entwickelt, erst zur Tagesschau aufzustehen und dann in Clubs abzuhängen. Das habe zwar den Vorteil, dass man in seiner Begleitung Rabatt bekomme, allerdings sei mit ihm ansonsten nicht mehr allzu viel anzufangen. Zu allem Überfluss wasche er sich auch nicht mehr besonders gerne und seine sozialen Kernkompetenzen scheinen auch enorm nachgelassen zu haben. Der Junge, mit dem ich mich unterhielt, kam zu dem weisen Schluss: was sein Freund bräuchte, sei eine Freundin. Da dachte ich kurz: Ihr seid mitunter ganz schön komisch. Kann es denn wirklich sein, dass ein Junge, der offensichtlich an einer ernstzunehmenden depressiven Verstimmung leidet und es vielleicht mal mit Therapie oder zumindest Johanniskraut versuchen sollte, dass also dieser Junge eurer Meinung nach nichts weiter braucht als eine Freundin, die ihn wieder zurechtbiegt? Glaubt ihr wirklich, dass Mädchen dafür da sind, euch aus euren emotionalen Tiefdruckgebieten rauszuholen? Und wie genau sollen sie das anstellen? Einfach nur vorhanden sein oder sollen sie euch einen strengen Tagesplan aufstellen und dessen Einhaltung ständig kontrollieren? christina-kretschmer Die Jungenantwort

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Bei deiner Frage musste ich sofort daran denken, wie ich in der dritten Klasse von Frau Englmair erst neben die Aline und später neben die Sarah gesetzt wurde. Aline und Sarah waren die besten, höflichsten und ruhigsten Mädchen unserer Klasse. Ich hingegen wurde als schwätzender Störer gehandelt. Alle Jungs waren wir schwätzende Störer, außer vielleicht Paul, der war nur komisch. Wir anderen aber wurden je nach Intensität unserer Ausfälle von Frau Engelmair neben die braven Mädchen gesetzt, denn die hätten eine „beruhigende Art“ und sollten uns damit ein wenig erziehen. In den Pausen hatten diese Mädchen viel Spaß daran, ihre Erziehungserfolge an uns ernsthaft zu betratschen, während wir unsere Pausenbrote sprengten. Ob Klassenkameradin, Kindergärtnerin oder eben Mutter - wir sind es also gewöhnt, dass ihr uns erzieht, dass ihr vorbildlich seid etc. Und weil wir klare Strukturen lieben, übertragen wir das eben auch auf Partnerschaften. Ohne Freundin bedeutet Bierfondue und 24 Stunden Punkbereitschaft. Mit Freundin bedeutet chinesisches Gemüsefondue und 24 Stunden Reiß-dich-mal-zusammen-Bereitschaft. Das ist natürlich gemein pauschal und völlig ungerecht – ihr seid genauso wild und versifft wie wir, weiß schon. Aber ihr habt eben, ob ihr wollt oder nicht, als Zusatzausstattung dieses Modul in euch, dass euch Kinder angrinsen lässt oder keine größeren Tiere zertreten. Ihr seid eben die Topmodelle der Menschheit. Und komm, so anstrengend ist das auch nicht, ihr müsst euch doch nicht extra einen Therapieplan für uns ausdenken. Es reicht, dass ihr da seid und wir kriegen wieder mehr auf die Reihe. Wir wollen wieder ein richtiges Leben und wissen endlich auch wieder warum. Um euch zu lieben. Ist das nicht wunderbar?

  • teilen
  • schließen