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Mädchenfrage: Ist euch das Leben eurer Freunde egal?
Liebe Jungs,
wir leben in schwierigen Zeiten. Erasmus, USA-Stipendien, Fernbeziehungen und praktikumsbedingte Wohnortwechsel verteilen uns überall auf dem Erdball. Um in Kontakt zu bleiben, sind wir auf Whatsapp und Skype angewiesen. Ohne die modernen Kommunikationsmittel würde man die alten Schulfreunde und die neuen Studienfreunde ziemlich schnell aus den Augen verlieren. Sollte man meinen.
Letztens traf ich einen Kumpel, der nach einem halben Jahr aus Wien zurückgekehrt war. Er erzählte mir, dass sich die Schreibfreudigkeit seiner männlichen Freunde während der Wien-Zeit in Grenzen hielt. Und das ist noch untertrieben: Er hat keine einzige Nachricht erhalten. Aber kaum sahen sie sich zum ersten Seminar des neuen Semesters im Institutsgebäude wieder, war alles wie immer. Als sei die Zeitrechnung stehen geblieben, als der Kumpel die Stadt verlassen hat – und hätte wieder eingesetzt, als er zurück war. Was mich am meisten irritierte: Mein Kumpel schien die Nicht-Beachtung während seiner Abwesenheit gar nicht schlimm zu finden.
Das ist für mich schwer nachzuvollziehen. Freundinnen kriegen spätestens nach zwei Wochen ein schlechtes Gewissen, wenn sie sich untereinander nicht melden. Dazu muss die Beziehung nicht einmal besonders eng sein. Wir wissen einfach, dass eine lange Funkstille zu beleidigt verzogenen Mundwinkeln und Verbitterung führen kann. Ich selbst unterstelle dem Nicht-Melder dann häufig mangelndes Interesse – an der Freundschaft und damit letztendlich an mir.
Bei euch scheint das ein bisschen anders zu laufen. Der Freundschaft tut es keinen Abbruch, wenn man sich nicht meldet. Niemand von euch scheint sich zu wundern, wenn einen der Kumpel nach monatelangem digitalen Schweigen fragt, ob man nicht Lust auf ein Bier hätte. Oder auf eine Reise nach Madrid mit der Crew. Auf die Idee, den Kumpel während des Auslandssemesters mal zu fragen, wie es ihm so geht, kommt niemand.
Und ich rede hier nicht von zehnminütigen Sprachnachrichten oder so was, davor graut es auch uns. Die beanspruchen nämlich jede Menge Zeit – die Antwort darf schließlich auf keinen Fall kürzer ausfallen, da einem sonst Nachlässigkeit attestiert werden könnte. Aber alle paar Wochen mal ein „Und, alles klar?“ wäre doch kein übermäßig großer Aufwand, oder?
Ist es euch wirklich nicht so wichtig zu wissen, was eure Kumpels machen? Ist eure Brüderschaft derart innig, dass ihr sowas wie Kommunikation gar nicht mehr braucht, um euch auf dem Laufenden zu halten? Dass ihr grundsätzlich schon in der Lage seid, Lebenszeichen von euch zu geben, wissen wir nämlich: Uns schreibt ihr schließlich auch. Oder liegt das nur daran, dass ihr wisst, wie sauer wir werden, wenn man uns mit Missachtung straft? Vielleicht haben wir aber auch ein unnötig umständliches Verhältnis zu moderner Kommunikation. Vielleicht ist eure ja die gesündere Lösung.
Also, liebe Jungs, erklärt doch mal: Warum meldet ihr euch nicht bei euren Kumpels?
Liebe Mädchen,
mich erwischt ihr mit dieser Thematik punktgenau, ich bin fast erleichtert, dass es sich hierbei wohl um ein gesamt-männliches Phänomen handelt. Es passiert mir nämlich tatsächlich oft, dass ich im Gespräch mit euch feststelle, wie wenig ich über den Verbleib meiner Freunde in Amsterdam, Berlin oder Shanghai weiß.
Eine beiläufig von euch gestellte Frage nach dem Wohlbefinden von, sagen wir: Tobi in Köln, muss ich fast immer mit einem ziemlich defensiven "Joa, ganz gut, so viel ich weiß" beantworten. Wobei ich meist nicht die geringste Ahnung habe, ob besagter Tobi gerade mit vier Frauen im Cabrio am Rhein entlang cruist oder in irgendeinem Kellerloch die Crackpfeife kreisen lässt, um es mal drastisch auszudrücken. So lange das Grundgefühl da ist, dass der Freund gerade nicht komplett am Rad dreht, gibt es für uns nichts nachzufragen.
Warum ist das so? Zunächst einmal braucht für uns jede Kommunikation einen Anlass. Ein einfaches "Na, geht es dir wirklich gut?" kommt uns ohne Vorahnung nur selten über die Lippen oder die Smartphone-Tastatur. Im Allgemeinen gilt bei uns nämlich die Regel: Wenn was wäre, dann wüssten wir's ja. So lange sich niemand bei uns meldet, wird es dem Freund schon gut gehen. Und so lange Tobi nicht nach meinem Wohlbefinden fragt, geht er wohl davon aus, dass bei mir gerade auch alles glatt läuft.
Zu einem gewissen Teil ist dieses Verhalten sicherlich unserem Streben nach Unantastbarkeit, der Angst vor offenen Gesprächen und tröstenden Worten geschuldet. Aber es hat auch seine positiven Seiten:
Im Gegensatz zu euch müssen wir uns unserer Freundschaft nämlich nicht ständig gegenseitig vergewissern. Sie ist selbstverständlich. Wie oft habe ich schon von zerbrochenen Mädchen-Freundschaften gehört, die nach einer räumlichen Trennung und als Folge eines gefühlten Auseinanderlebens gescheitert sind. Auf der männlichen Seite – keine einzige!
Das Faszinierende an diesem Grundvertrauen ist, dass selbst beim tatsächlichen Wiedersehen nicht unbedingt das große Aufrollen der Zeit seit dem letzten Treffen erledigt werden muss, bevor man zur Gegenwart übergeht. Natürlich gibt es da mal die eine oder andere Anekdote aus dem Liebesleben, der Arbeit in der neuen Stadt oder irgendwelche Statusvergleiche. Aber solche Vergleiche können Druck schaffen, deswegen stehen sie bei uns nicht an erster Stelle.
Dass das dauernde Abfragen der Grundkoordinaten Seelenheil, Liebe und Kontostand nicht als Pflicht gesehen wird, kann entspannend sein. Vor allem, wenn manche Dinge im Leben gerade nicht sonderlich vorzeigbar sind. Die meisten davon kann man nicht über Whatsapp besprechen. Und wenn man sich für ein Reunion-Wochenende in einen Zug setzt, hat man die Sorgen des Alltags ja oft bewusst daheimgelassen.
Erst mal ein Bier, über alles mögliche reden. Und wenn jemand was auf dem Herzen hat: Er wird es schon sagen. Und wir werden zuhören. Wir sind ja schließlich Freunde.
Eure Jungs