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Jungs, wer zieht euch an?
„Hast du Saschas neue Jacke gesehen?" fragte mich kürzlich meine gute Freundin Lena bei einem Bier, als unser Gespräch auf ihren langjährigen, festen Freund kam. Lena war gerade aus beruflichen Gründen monatelang durch die Weltgeschichte gereist, während Sascha zu Hause geblieben war. Ja, antwortete ich, er habe sie mir kürzlich gezeigt und ich fände sie sehr hübsch. Lena pflichtete mir kräftig nickend bei und fügte an: „Und weißt du was? Die hat er sich während meiner Abwesenheit tatsächlich ganz allein gekauft!". Ich lachte über diese vermeintlich ironische Bemerkung - doch Lena beharrte auf ihrer Begeisterung. „Mal im Ernst: Normalerweise berate ich ihn bei solchen Sachen. Du weiß ja gar nicht, wie der rumgelaufen ist, bevor wir zusammen waren! Eben naja, ... eher latschig!"
Daraufhin war ich ziemlich verwundert, immerhin halte ich die beiden nicht nur für ein gleichermaßen stilvolles, sondern überhaupt für ein sehr emanzipiertes und intelligentes Paar, in deren Beziehung sich beide Beteiligten auf gleicher Augenhöhe begegnen. Keiner scheint dem anderen etwas vorauszuhaben oder es für nötig zu empfinden, ihn in einem Belang herunterzuputzen oder ernsthaft bloßzustellen. Dass das jetzt auf Klamottenebene irgendwie doch passierte, erschreckte mich ein wenig. Doch als ich ein wenig darüber nachdachte, musste ich schnell einsehen, dass es etwas ganz anderes war, wenn ein Mädchen in Modebelangen so über ihren Freund redete als andersherum. Würde ein Junge seiner Freundin sagen, was sie anzuziehen habe, wäre das eine glatte Unverschämtheit. Von uns Mädchen wird schließlich erwartet, dass wir uns stilsicher und selbstständig bekleiden – und selbst, wenn wir es nicht täten, fiele es den Jungs wahrscheinlich gar nicht auf.
Und das ist der Punkt: Den meisten Jungs sind ihre Anziehsachen eben herzlich egal. Als Mädchen stöhnt man allenfalls wissend auf, wenn man erfährt, dass sie klamottentechnisch noch immer von Seiten Omas (Socken, Schlafanzüge), Mamas (Unterhosen, Hemden, T-Shirts, Schals, Mützen) oder eben der Freundin (Hosen, Schuhe, Jacken, Schmuck) umsorgt werden. Ähnlich ging es mir kürzlich bei meinem älteren Bruder, der neuerdings in einer festen Beziehung ist. Ich war es gewohnt, dass seine Hosen manchmal einen Tick zu kurz waren, seine Hemden irgendwie ausgeleiert und der Rest der selbstgekauften Garderobe zwar nie schlecht, aber immer etwas ungepflegt wirkte. Und plötzlich sah er richtig gut aus! Gut sitzende Pullover, nette kleine Auffälligkeiten wie ein hübscher Gürtel oder eine gut sitzende Hose. Auf jedes meiner Komplimente war seine Antwort: „Danke, das hat Marie letztens für mich ausgesucht!" Irgendwie scheinen wir Mädchen es also tatsächlich immer wieder zu schaffen, euch von Geschmacksverirrungen weg- und zu Stilsicherheiten hinzuwinken – egal ob heimlich, oder mit dem Zaunpfahl.
Natürlich gibt es auch Ausnahmen. Doch von diesen Ausnahmen wollen wir jetzt nicht reden. Was ist mit euch Jungs, bei denen es läuft wie bei Sascha oder meinem Bruder, die mit Hilfe ihrer Freundin immer irgendwie noch einen Tick besser und stilsicherer aussehen? Liege ich richtig, wenn ich behaupte, dass ihr für diese Hilfestellung nicht nur sehr empfänglich, sondern irgendwie auch dankbar seid? Kann man euch Jungs tatsächlich in den meisten Fällen nicht alleine zum Einkaufen lossschicken, weil ihr hilflos zwischen den Regalen stündet? Oder werden euch hier nur wieder alte Geschlechterklischées auf den Leib geschneidert und in Wahrheit ist alles ganz anders, als wir denken?
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Wenn die Oma uns zu Weihnachten aufs Neue einen Pyjama aus Frottee, die Mama ungefragt ein Hemd, Modell „Party in den Siebzigern", schenkt, heißt das noch lange nicht, dass wir drei Jahre jung wären. Und es heißt ebenso wenig, dass wir willenlos, in unserem außerordentlich pragmatischen Modeverständnis, Schlafanzug und Hemd zu den meistgetragenen Lieblingen unseres unaufgeräumten Kleiderschranks erklären. Was können wir dafür, wenn die Mama in einem Reflex aus Kindheitstagen dem Sohn neue Unterhosen bescheren will? Und doch: Diese Geschenke haben etwas Charmantes an sich, es sind nun einmal Liebesbeweise und wir sind alt genug, das zu erkennen. Bei aller Liebe gilt dennoch: Wir ziehen uns an, liebe Mädchen. Doch wir behalten uns die Offenheit, Ratschläge anzunehmen. Wir sind sogar dankbar für die modische Beratung unserer Freundinnen. Der Grund ist wohl der, den unsere Mütter und Omas auch schon längst erkannt haben: Für uns, die Saschas dieser Welt, ist Mode nicht das Wichtigste. Wir müssten richtig Energie investieren, um hier zu Experten zu werden. Seien wir mal ehrlich. Ihr schaut häufiger in Modeblogs, tratscht mit der besten Freundin über Klamottentrends, ihr wisst besser Bescheid. Wieso sollen wir uns also das Leben unnötig schwer machen und uns mit Themen zu lange herumschlagen, die uns tatsächlich nur in Ansätzen beschäftigen? Klamotten sind so ein Thema. Wozu sollen wir Streit anfangen über modische Belange? Da lassen wir doch lieber euch entscheiden. Das geht schneller und ist entspannter. Auch aus Selbstschutz sind wir also auf eure Hilfe angewiesen. Dennoch sind wir keine unmündigen Modezombies, die sich irgendwas anziehen, nur weil es eine Frau sagt – vor dem Frottee-Pyjama machen auch wir Halt.
jurek-skrobala
Text: mercedes-lauenstein - cydonna / photocase.com