Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Jungs, was soll das Expertentum?

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Liebe Jungs,

Der Kollege hat’s neulich aufgeschrieben, das mit der neuen Expertise seiner Freunde für Gin. Und wenn man sich den Text noch mal anschaut, fällt auf: Es geht darin ausschließlich um männliche Freunde. Frauen aus seinem Bekanntenkreis scheinen sich nicht so sehr für Schnaps zu interessieren.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Mich wundert das erst mal nicht. Denn wenn ich mal quer durch meinen eigenen Bekanntenkreis denke, dann finde ich darin Experten für verschiedenste Alltags-Kleinklein-Dinge – und es sind immer, immer Männer. Der Schnaps-Mann, der schwört, 39 Whisky-Sorten am Geruch zu erkennen. Der Koch-Mann, der stundenlang über Fleischmarinaden und Garmethoden referieren kann. Der Zigarren-Mann, der sehr viel über die Grade der Tabak-Fermentation weiß. Der Fahrrad-Mann, der mehr über Fahrräder weiß als ich über, keine Ahnung, das Schreiben oder so.

Klar, ich kenne auch Frauen, die sehr gut und teils auch sehr ausgefallen kochen oder einen guten von einem schlechten Schnaps zu unterscheiden wissen. Aber bei denen läuft das mehr so nebenher. Was sie nie machen: über die perfekte Zubereitung eines Chateaubriand dozieren, auf einer Party eine Diskussion über Cognacschwenker anzetteln oder eine Whiskymesse besuchen.  

Nur damit das klar ist: Es geht hier nicht um Expertentum in den Bereichen, mit denen man sein Geld verdient. Und auch nicht um Altherren-Expertentum, das sich in Papas Hobbykeller rund um die Modelleisenbahn abspielt. Es ist dieses Expertentum in Dingen, mit denen man sich das Leben irgendwie schöner macht. Expertise in Genießer-Freizeit-Chichi.

Mir wäre das viel zu langweilig. Und auch zu anstrengend. Es gibt tausend Dinge, die mich interessieren, ich möchte lieber überall mal reingucken. Meine Nase in ein Nosing-Glas stecken, aber danach dann in den Fahrradladen gehen und mich kurz beraten lassen, und danach dann ein Steak essen, das schmeckt, und danach, keine Ahnung, mal gucken halt! Ich habe gar keine Ambitionen, mich eingehend mit Whiskey-Sorten und Fahrradmechanik zu beschäftigen, Hauptsache es schmeckt und es fährt.

Ich kann mir zwar eigentlich nicht so recht vorstellen, dass das eine typisch weibliche Eigenschaft sein soll – aber wenn ich mir die Mädchen um mich herum so anschaue, wirkt es schon so, als ob wir eher mal hier gucken und mal da und dann irgendwann abwinken und „Lass mal gut sein“ sagen. Als ob wir uns für vieles interessieren, aber uns der Ehrgeiz fehlt, in irgendeinem Bereich streberhafte Alleswisserinnen zu werden.

Vielleicht ist es ja so: Genuss ist für uns wirklich noch Genuss. Die Radfahrluft um die Nase und dieser Geschmack eines gut gebratenen Steaks, das nehmen wir einfach so hin, ohne es zu zerdenken. Aber ihr, ihr neigt dazu, euch zu verkrampfen. Es voll und ganz verstehen zu wollen. Wir streicheln die schönen Dinge und freuen uns, dass sie sich gut anfühlen. Ihr aber greift mit voller Wucht rein. Und erzählt danach lang und breit davon.

Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage:

WARUM?

>>>Die Jungsantwort von elias-steffensen.<<<



Liebe Mädchen,

„Hauptsache es schmeckt und es fährt.“ Pah. Ganz selten nur, und gerade ist so ein Moment, da wünschte ich mir doch, in den Fünfzigerjahren zu leben. Da könnte ich jetzt sagen: Und genau dieser eurer Wurschtigkeit wegen waren es Männer, die Feuer, Strom und das Rad erfunden haben. Mit ihren überlegen, nach Tiefe forschenden Gehirnen. Und dann würde ich mir eine perfekt fermentierte Cohiba anzünden und Ringe paffen.

Default Bild

„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Leider habe ich nicht die geringste Ahnung, wer das alles tatsächlich erfunden hat und wie. Und ziemlich genau da fängt – Blödsinn jetzt beiseite – unser Problem auch schon an. Das eigentliche. Das große. Das andere, das kleinere, das geht nicht sehr tief und ist schnell abgehandelt: Unsere Auskennerei ist natürlich verkrampftes G’schaftlertum. Aber aus eigentlich ehrbaren Motiven. Etwas mit ehrlich empfundener Leidenschaft richtig gut tun zu wollen, ist ja toll. Speziell. Aber auf sympathische Weise. Nerdtum ist niedlich. Punkt!

Das Problem sind eher die Felder, auf denen wir das dann tun. Und die Art, wie wir sie bestellen. Weil: Wir wollen ja nicht immer niedlich sein. Also suchen wir uns markiges Zeug, das wir tief durchdringen wollen. Und nehmen dabei leider zu oft die Abkürzung: Gin-Auskenner, Chateaubriand-Zubereiter und Cognacschwenker suchen nach Distinktion in ihrer am leichtesten zugänglichen Form: bisschen was anlesen, bisschen in ein Glas reinschnüffeln, paar Ringe paffen. Muss man nicht jahrelang ein Instrument lernen oder sich eine aufwendige Drogensucht zulegen und wird trotzdem für interessant gehalten. Ein bisschen jedenfalls. Gute Kosten/Nutzen-Relation.

Warum das bei uns jetzt verbreiteter ist als bei euch? Weil wir euch immer noch mehr beeindrucken müssen als ihr uns, damit was geht. Noch! Das gleicht sich ja zum Glück langsam an. Aber Waffengleichheit herrscht noch lange nicht. Und wenn sie je herrschen sollte, wette ich, dann kennt ihr euch auch mit irgendwas richtig nerdig aus.

So, und dahinter liegt jetzt aber noch ein tieferer, ein stumm peinigender Grund. Die grundsätzliche Ahnungslosigkeit. Wir sind ja eben eigentlich gar keine Experten. Und zwar in nix. Wir können vieles ein kleines bisschen. Und wenig ziemlich gut. So etwas wie eine wirkliche, eine durch Manie erlangte Expertise, das haben wir quasi gar nicht. Wir können mit einer elektrischen Bohrmaschine vielleicht Schrauben in die Wand treiben. Aber was Strom eigentlich ist, das wissen wir nicht. Wir können mit einem Computer womöglich tolle Layouts, Texte oder Kalkulationen produzieren, aber warum die auf diesen grünen Platinen gespeichert werden – und was das überhaupt ist, „gespeichert werden“ –, das kapieren wir nicht.

Die Welt, das soll das heißen, überfordert uns also auf die grausamste Weise. Und wenn wir versuchen, irgendeinen winzigen Aspekt dieses Planeten mit beiden Hände und richtig Schmackes zu durchwühlen, dann ist das letztlich auch der Versuch, Halt zu finden. Einen Fixpunkt. Wenn wir, so der Gedanke, die Sache mit dem Gin erst auf einem Niveau begriffen haben, auf dem uns keiner mehr was vormachen kann, dann ist der Rest ja quasi auch schon geritzt. Fast jedenfalls.

Ich habe übrigens, denn das scheint mir nach all dem das größere Mysterium zu sein, lange überlegt, warum ihr das nicht macht. Warum ihr nicht vor der großen, großen Welt in eine winzige Nische flüchtet. Und ich komme immer wieder zum gleichen Ergebnis: Ihr müsst mental stabiler sein als wir. Und wir bewundern euch dafür.


Text: valerie-dewitt - Illustration: dirk-schmidt; Cover: Bratscher/photocase.de

  • teilen
  • schließen