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Jungs, warum so hölzern zum Abschied?
Die Mädchenfrage
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Zwei Jungs, zwei Mädchen und ich, neulich in einer Bar: Ein exzessiver Abend mit viel Bier, vielen Zigaretten und der dazugehörigen Portion an gnadenlos ehrlichen Intimgeschichten. Es ist eine dieser Nächte, in denen einem die Herzenstür ganz weit offen steht und man am liebsten alle dort hinein einladen würde. Liebevoll lallen wir also auf unseren Barhockern viele Stunden lang durcheinander - bis der Wirt den Bierhahn abdreht. Wir werden hinausgekehrt und überlegen vor der Tür, noch zu einem von uns nach Hause zu gehen, um einen letzten Schnaps zu trinken. Die Nacht, finden wir, ist noch jung und unsere Geselligkeit gerade erst auf ihrem Höhepunkt. Weil wir uns nicht entschließen können, folgt aber doch der Abschied: Zwischen Oh-es-war-so-schön-machen-wir-bald-wieder-schlaft-gut-danke-toll-Rufen gibt es eine wilde Abschiedsumarmerei. MädchenMädchen, MädchenJunge, JungeMädchen und noch einmal MädchenMädchen. Aber dann wird es plötzlich heikel: Die JungeJunge-Umarmungen sind an der Reihe. Stillschweigend hinten angestellt, werden jetzt mit schüchterner Miene auf beiden Seiten die Hände gezogen, und aus einer zögerlichen Bewegung, die in einer Umarmung hätte münden können, wird eilig ein starr abgehackter Händedruck. In der Luft liegt eine Unsicherheit, so klamm, dass sie selbst unser betrunkenes Mädchenschnattern zum Schweigen bringt. Sehr betreten stehen wir um die merkwürdige Abschiedssituation herum und als sie endlich vollbracht ist, torkeln wir in verschiedene Richtungen nach Hause. Am nächsten Morgen lasse ich diese Handschlagsache Revue passieren und finde: Sich an einem so herrlich emotionalen Abend bloß durch einen kalten Händedruck von seinen Freunden zu verabschieden, das ist wie eines jener belämmerten Anstandsrituale von 1918 – wie zum Beispiel seine eigene Mutter zu siezen. Versteht mich nicht falsch Jungs, ich will diesen „Die neue Zärtlichkeit“-Trend unserer Zeit keinesfalls in den Himmel loben: Mädchen, die sich bei jeder Gelegenheit auf den Mund küssen müssen, allesamt „Süße“ heißen und stets beteuern, dass „sich total lieben!“ sind mir auch suspekt. Ebenso Jungs, die mit großem PR-Grinsen im Gesicht ständig BussiBussi machen, obwohl man noch nicht einmal ihren Namen weiß. Aber in einer Zeit, in der es gesellschaftlich schon fast zum guten Ton gehört, dass Jungs erzählen, hin und wieder auch einmal weinen zu müssen; in einer Zeit, in der gleichgeschlechtliche Liebe schon lange nicht mehr verpönt ist und in einer Zeit, in der „Klassische Rollenverteilung“ beinahe ein Schimpfwort ist, finde ich es doch befremdlich, wenn ihr euren Freunden nach einem ausgelassenen Abend immer noch mit verklemmter Miene und steifem Handschlag begegnet. Handschläge sind für Geschäftsmänner! Nicht für Freunde und gute Bekannte. Es gibt nichts Sympathischeres, als eine locker-leichte Jungs-zu-Jungs-Umarmung. Das zeugt von gesundem Selbstbewusstsein, natürlicher Zugänglichkeit und einem unverklemmten Elternhaus. Und auf die Gefahr hin, dass ihr das jetzt wieder für Mädchengerede haltet: Eine feste Umarmung dann und wann ist übrigens auch Sprit für die Seele! Aber insgeheim wisst ihr das doch auch - oder? Ihr traut euch nur nicht, stimmt‘s? Wieso denn bloß? Wurde euch das zu Hause so beigebracht? Umarmt ihr wohlmöglich nicht einmal euren eigenen Vater? Was ist mit eurem Bruder? Dem allerbesten Freund aus der Sandkiste? Und: Seid ihr eigentlich neidisch auf unsere emotionale Unverklemmtheit?
Die Jungsantwort:
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Über das richtige Umarmen habe ich neulich auch nachgedacht, dabei ging es aber eher um die Frage, ab welchem Innigkeitsgrad ich ein entfernt bekanntes Mädchen umarmen darf und soll. Schließlich ist die Umarmung zweier Menschen unterschiedlichen Geschlechts die sich kaum kennen, schon eine relativ intime Handlung und ich will mich als untadeliges Mannsbild nun mal ungern dem Vorwurf aussetzen, ich würde diese schinden zum Zwecke niedriger Interessen. Aber nun zu den Jungsumarmungen. Ich sehe das in deinem geschilderten Fall weniger als ein Problem eines kleinmännlichen Körper-Emotion-Homoangst-Cocktails, sondern als eine banale Zwickmühle der Pärchenthematik. Geht man als Paar durch die Welt, kennt man irgendwann zusammen viele andere Paare. Meistens ist es aber so, dass einer von Paar 1 mit einem von Paar 2 befreundet ist und bei beiden die jeweiligen Anhängsel dann eben auch mit im Boot sind, sobald die Trinkstiefel angezogen werden. Also, einfach gesagt: Die besten Freundinnen meiner Freundin haben immer mal wieder einen neuen Partner und etwa drei bis viermal im Jahr gehen wir jeweils in Vierer-Konstellation weg oder machen sonst was. Ich kenne diesen Mann überhaupt nicht, eigentlich, ich kenne ja nicht mal die beste Kumpeline von meiner Freundin so richtig, würde ich sagen, aber sie war eben schon immer da. Kommt es nun zur Verabschiedung ist es klar, dass sich die beiden Mädchen umarmen und die beste Freundin und ich uns auch, weil wir uns gegenseitig sozusagen als Teil des von uns geliebten Menschens betrachten. Den Jungen aber, selbst wenn ich ihn gut leiden mag, würde ich nur umarmen, wenn ich auch sonst einfach jeden umarme, den ich mit Vornamen kenne. Mir stehen aber als zivilisiertem Menschen unterschiedliche Mittel der höflichen Distinktion zur Verfügung. Ich erkenne in unserem Verhältnis noch Steigerungspotenzial, also gebe ich ihm heute fröhlich die Hand und kann mir gleichzeitig auch vorstellen, dass wir uns irgendwann mal umarmen werden. In fünf Jahren oder so. Momentan jedenfalls, wäre in dieser Umarmung nichts als Krampfigkeit und schon gar kein Sprit für die Seele. Meine drei besten Freunde umarme ich kurz und lustig, wie es sich für uns eben gut anfühlt. Ich verstehe, während ich das schreibe, sehr gut deine Verwunderung über dieses schleppende Moment der Alltagsdiplomatie. Klar wirkt es bei so einem bierseligen Abend irgendwie unrund, weil du das Händeschütteln eben als das Siezen der Körper empfindest und die Umarmung als Duzen. Ich glaube aber auch, dass du das aus Mädchenperspektive einfach anders wahrnimmst. Dem Vorwurf der positiven Diskriminierung wacker entgegen reitend, behaupte ich: Als fröhliches Mädchen darfst nahezu jeden umarmen, egal ob Mann, Opa, Kind oder Pflegepferd, es ist fast niemandem unangenehm, von einem netten Mädchen nett umarmt zu werden. Ihr netten Mädchen genießt dabei sozusagen Immunität, habt wahrscheinlich noch nie ein leises Zurückzucken erfahren, ihr dürft euch frei auf andere Körper zubewegen und diese empfinden es, zumindest meistens, als Bereicherung. Wir Jungs aber wissen, dass nicht alle Menschen jederzeit von uns berührt werden wollen und schon gar nicht unbedingt an unsere durchzechte Brust gedrückt werden. Das ist ja auch okay, denn in ihrer Außenwirkung und Körpersprache sind Mann und Frau eben nicht gleich. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn mich ein niedliches goldiges Hundchen anspringt, finde ich es ganz erträglich, wenn mich eine unkastrierte dänische Dogge anspringen will, verbitte ich mir das. Das eine ist reizend, das andere nicht, obwohl beides Hunde sind. Egal, ob ich jetzt von den Mitmenschen eher als eher niedlich oder eher unkastriert wahrgenommen werde - ich bin vorsichtig, wenn ich einen anderen anspringe und nicht so unbefangen wie du. Lass es Erziehung sein oder gesellschaftliche Steinzeit, ein bisschen ist es auf jeden Fall auch, weil ich den anderen respektiere. Dazu kommt, ganz simpel unser Wissen, dass viele Männer Männerberührungen nicht nur nicht gewohnt sind, sondern aus verschiedenen Gründen als unangenehm einordnen. Ob das nun wieder kleinliche und nicht zeitgemäße Gründe sind oder nicht, ist egal, es ist eben so und bevor wir unnötig riskieren, eine dieser Grenzen des anderen (oder eben meine eigenen) zu überschreiten, geben wir uns die Hand. Ich finde übrigens auch, ein gutes Händeschütteln ist eine sehr schöne, kräftige Geste, die kaum ein Mädchen richtig gut beherrscht. Weil man dabei Augenkontakt hat, ist ein Händedruck - vielleicht mit einer leichten Hand auf der Schulter des anderen - eigentlich auch sehr viel sprechender als dieses mechanische gegenseitige Andrücken der Oberkörper bei gleichzeitig scheibenwischerartigem Herumfahren der Hände auf anderen Rücken. max-scharnigg