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Jungs, warum seid ihr nicht so wie in den Liebesliedern?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Manchmal können banale Dinge eine große Wirkung auf unsere Gefühlswelt haben. Dann schaffen es die allerschönsten Liebeslieder oder Filme, dass wir nervös werden und den Leidenschaftsgehalt unserer Beziehung in Frage stellen. Denn ihr konfrontiert uns seit Jahrhunderten mit euren Geschichten über eure pathetischen Liebestaten. Mit Geschichten wohlgemerkt, manchmal getarnt in Liedern oder Gedichten, aber nicht mit den Taten und genau da beginnt die Zweifelmaschinerie in unseren Köpfen zu arbeiten. Warum, fragen wir, seid ihr nie so, wenn ihr „anything for love“ tun würdet? Obwohl es immer heißt, dass Romantik eine „Mädchensache“ ist, beweist ihr uns spätestens auf dem Konzert eurer Lieblingsband das Gegenteil. Da sind nicht selten die Lovesongs an und über uns unter euren Favoriten. Nehmen wir Oasis: bei "Wonderwall" liegt ihr – du und deine Jungsfreunde – euch in den Armen. Inbrünstig und lautstark grölt ihr „nobody feels the way I do about you now“ und „maybe you're gonna be the one who saves me“. Und dann schenkt ihr uns Mixtapes, auf denen quasi die gesamte Bandbreite männlicher Zuneigungsbezeugung besungen wird. Auf denen Death Cab For Cutie uns in „I Will Follow You into the Dark“ frei nach Shakespeare bis in den Tod folgen, Tomte sich unsere Namen ins Herz tätowieren und The Cure uns mit dem ultimativen „Lovesong“ die ewige Liebe schwören. Ihr seid es, die mit den erfolgreichsten Lovestories in die Filmgeschichte eingehen (James Camerons „Titanic“, anyone?). Denn ihr schreibt verzweifelt Liebenden ein klebriges Happy-End oder eine bittersüße Liebesgeschichte ins Filmscript, auf dass wir dahin schmelzen. Egal, ob Bond und seine Girls, Neo und Trinity oder Luke und Leia, ihre Liebesgeschichten stammen aus eurer Feder. Nicholas Sparks, ebenso männlich wie ein Johnny Cash und ein Michel Gondry, drückt unseren Tanten mit „abgedroschenen“ Erzählungen auf die Tränendrüse während uns Robs abenteuerliche Liebesgeständnisse an Laura in Nick Hornbys „High Fidelity“ zum Schmunzeln bringen. Euer Liebesbild schmeichelt uns, aber es weckt auch Sehnsüchte in uns, die in der Realität selten bis gar nicht erfüllt werden. Das Mixtape, das Gedicht oder das Lied, in dem ihr im schönsten Konjunktiv versprecht uns im Regen eure Jacke zu schenken und für uns dem Fleischverzehr abzuschwören ist nun mal kein Ersatz dafür, dass ihr für uns tatsächlich hin und wieder nass werdet oder uns unaufgefordert bis ans andere Ende der Stadt nach Hause eskortiert. Klar, wir sehen auch nicht alle aus wie auf Zeitschriftencovern und verhalten uns auch oft nicht so wie die Mädchen in euren Filmen und Liedern - aber auch wir freuen uns über pathetische Liebestaten, denn kleine rhetorische Beweise ziehen bei uns eben nicht. Auf eurem Rücken die Pfütze zu überqueren, die Nachricht auf dem Kopfkissen oder ein Herz auf dem Badezimmerspiegel reichen da völlig aus. Da ihr schon davon singt, warum seid nicht auch wirklich mal so, wie in euren Liedern?


Die Jungsantwort: Es ist eine ziemliche Weile her, da habe ich ein Liebesgedicht geschrieben. Ach was, ich habe es verfasst. Es war für das Mädchen, das eigentlich meine zweite Freundin hätte werden sollen. Um mich an den Wortlaut erinnern zu können ist das Ganze schon zu lange her. Aber ich weiß noch, dass ich die Zeilen mit weißem Stift auf schwarzes Tonpapier geschrieben habe. Es war kein richtiger Reim in dem Gedicht enthalten. Jede Zeile ist im Nichts geendet, jede Zeile war eine Andeutung einer neuen Welt, war die Andeutung von Gefühl und es war meine Idee von der Verbalisierung von Liebe. Es kam super an. Aus uns beiden wurde am Ende zwar nichts, aber darum soll es mir nicht gehen. Ich bin eigentlich kein Gedichteschreiber. In jenem Fall habe ich die Form Gedicht benutzt. Ich habe mir damals einfach ein Vehikel gesucht, um mich mit einer gewissen gedanklichen Tiefe zu umgeben. Die Zeilen haben mir damals dabei geholfen, ein paar Zauberschnipsel um meine Person zu streuen. Sie haben Dinge angedeutet und ich finde das noch heute nicht schlimm. Gerade beim Kennenlernen ist doch ein bisschen Geheimnis erlaubt. Im Lauf der Jahre sind mir viele Mädchen begegnet, die, anders als ich, immer Tagebuch schreiben. Mädchen, die in der Lage sind, Geschenke individuell zu verpacken, die in Briefen Gefühle in einer Art beschreiben, dass einem das Herz stehen bleibt. Ich habe selten von Jungs gehört, die ihre Gefühle so dringend, so erforschend immer wieder befragen. Womöglich sind wir manchmal zu feige, uns unserem Gefühlsleben bis zum Letzten zu stellen. Ihr seid da besser und ich beneide euch deswegen. Manches Mal habe ich das Gefühl, dass es ausschließlich Mädchen vorbehalten ist, dem Leben eine zweite Ebene hinzuzufügen, in der Romantik und Träume eine große Rolle spielen. Kann das sein? Es gibt ja Mädchen, die gehen noch weiter. Sie verlieren sich vor lauter Träumerei manchmal in einer romantischen Vorstellung von der Wirklichkeit. Die Romantik liegt dann wie ein Netz über dem Echten. Wer solch ein Netz auswerfen kann, der ist dann vielleicht auch in der Lage, bei Dirty Dancing zu weinen. Das sind jene Mädchen, die in einer Phase ihrer Jugend auch in eine Boyband verschossen waren, weil Boybands eine herrlich ungewöhnliche Union von Romantik und Mann darstellen. Erst später versteht man, dass Boybands dazu da sind, Romantik zu verkaufen. Die Manager von Boybands und auch die Mitglieder solch tanzender Sängergruppierungen wissen, was gewünscht wird. Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend, wenn ein Geschlecht, dem man Romantik im Alltag häufig nicht so recht zutraut sich doch an die Romantik wagt. Liegt vielleicht auch darin der Erfolg von Johnny Cash oder von The Cure? Weil herbe Typen süße Gedanken singen? Ich sage gar nicht, dass sie nur Erfolg haben, weil sie bei Mädchen gut ankommen. Ich mag das ja auch. Johnny Cash zum Beispiel war ein vom Leben hin und hergeworfener Mann, der allen Grund gehabt hätte, garstig zu werden. Aber er machte etwas, das ich von einem solchen Mann nicht erwartet hätte: Er öffnete sein Herz. Das finden Frauen zauberhaft. Aber das rührt auch Jungs an, weil sie auf diese Weise etwas über ihre eigenen Gefühle lernen, die sie manchmal vielleicht wegen ein bisschen zuviel Coolheit vorschnell verstecken. Wir Jungs erwecken diese Bilder von mit Rosen bedeckten Betten also absichtlich. Weil wir wissen, dass ihr uns dafür liebt. Wenn wir singen, gehen wir ein Spiel ein, an dessen Ende wir euch gewonnen haben wollen. Dass nach einem solchen Gewinn eines Herzens der Alltag kommt, ist eine andere Geschichte. In diesem Alltag geht es uns wie euch. Wir sind nicht immer in der Lage, das echte Zusammenleben jederzeit mit jedem denkbaren Zauber anzufüllen. Aber ich finde das nicht schlimm. Wäre es nicht viel schlimmer, wenn wir uns gleich gar nicht auf die Suche nach diesem Zauber einlassen würden? Wenn wir gar nie unsere Ideale und Träume und Gefühle in Worte fassen würden? Und wenn es auch nur einmal geschieht - in einem Lied? stefan-winter

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