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Jungs, warum sammelt ihr Alkoholflaschen?
Liebe Jungs,
letzte Woche las ich in der Zeitung (einer echten, aus echtem Papier) eine großartige Geschichte über ein junges Mädchen, das mit 17 schwanger wurde. In einem Abschnitt ging es um die Namenssuche für ihren ungeborenen Sohn. Am Ende kam Paul heraus, aber auch einige andere Namen waren in der engeren Auswahl: Thor zum Beispiel (der dann wegen etwaiger Probleme auf dem Fußballplatz ausgeschlossen wurde) und Jack Daniel's. Vorgeschlagen vom Vater des Kindes mit der Begründung, dass sowohl Mutter als auch Vater selbigen gerne trinken. Glücklicherweise abgelehnt von der Mutter mit der einleuchtenden Begründung, dass das vielleicht doch zu viele Assoziationen mit Alkohol wecken könnte.
Ich bin sehr froh, dass Paul nicht Jack Daniel's heißt! Aber ich glaube, ich weiß, wie Pauls Vater auf diese Idee kam. Denn er ist zu der Zeit der Namensfindung vermutlich durch eine Phase gegangen, durch die scheinbar alle Jungs im Laufe ihres Erwachsenwerdens gehen müssen: Die, in der es cool scheint, sich leere Schnapsflaschen auf den Schrank zu stellen, um sie dort stilvoll einstauben zu lassen.
Ich kann gar nicht aufzählen, wie oft ich in von Jungs bewohnten Jugendzimmern und Studentenbuden diese Batterie von Gin-, Baileys- und Jack Daniels-Flaschen betrachtete. Wenn man bedenkt, wie schmucklos und funktional die meisten Jungs-Zimmer sonst eingerichtet sind (Stuhl, Tisch, Bett, Poster und Reste von Tesa-Powerstrips an den Wänden), kommt dieser Sammlung naturgemäß eine sehr wichtige Rolle zu und es stellt sich die Frage: Was will uns der Kurator dieses Stilllebens damit sagen?
Dass er es nicht bis zum Altglascontainer geschafft hat? Dass er ein Connaisseur der feineren Dinge des Lebens ist? Oder sind diese Flaschen vielmehr eine moderne Form der Jagdtrophäe, vergleichbar mit dem Hirschgeweih an der Wand?
Will der junge Mann mit der Flaschenbatterie anzeigen, dass er viel verträgt? Und wen will er damit beeindrucken? Etwa uns Mädchen? Oder sich beim Anblick der Sammlung in Erinnerung rufen, was er schon für harte Zeiten erlebt hat?
Und – jetzt mal nur so als Vorschlag: Wäre es nicht vielleicht sinnvoller, gefüllte Flaschen auf dem Schrank zu deponieren?
Bis heute habe ich keine Antwort auf diese Frage bekommen, weshalb ich sie heute an euch weitergebe. Also: Jungs, warum sammelt ihr Alkoholflaschen?
Die Jungsantwort:
Liebe Mädchen,
es begann, als wir noch Wisent-jagende Keulenschwinger waren, die sich durch die Tundra schleppten: swaggy Bärenfell umgeschnallt, Filzmatte als Haarpracht, maskuliner Überaugenwulst. Ganz genau: Jäger und Sammler. Ja, ich mach jetzt mal die kulturhistorische Kiste auf und behaupte, das Schnapsflaschensammeln etwas Archaisches ist, der moderne Säbelzahntigerschädel auf der Schrankwand. Was in der Urzeit noch „nur Erlegtes ist Erlebtes“ war, ist heute die Pullen-Kollektion auf der Kommode.
Allerdings muss hier getrennt werden: Denn nicht jeder sammelt gleich. Deswegen lohnt es sich, eine Typologie der Trophäen-Jäger aufzustellen:
1.Der Veteran: Clint-Eastwood-Miene, knorrige Finger, optionaler Bierflaschen-Pistolenhalfter. Der Veteran präsentiert seine Alkohol-Abzeichen in einer Vitrine – abgestaubt und aufgereiht. Er weist nicht drauf hin, aber beim Blick auf seine Orden aus dem Schnapsleichen-Schützengraben raunen seine Freunde vor ehrfürchtigem Respekt.
2.Der Melancholische: die Liebesbrief-Box in Schnapsflaschen-Form. Der Melancholische sammelt statt Zettel von Verflossenen Flaschen von Geflossenem. Und baut über Gebrautes und Gebranntes eine gedankliche Brücke zu wichtigen Stationen in seinem Leben - die andernfalls im Filmriss verschwunden wären.
3.Der Blender: Er stellt sich nicht jeden Billo-Schnaps in den Billy-Schrank. Sorgsam ausgesuchte Pullen-Pokale schmücken die Kommoden: Die „Chivas Regal 12 Special Gentleman Edition“ in der edlen Alubox, der Glenfiddich, 18 Jahre Pappkarton, das kleine Captain-Morgan-Fass. Natürlich längst alles, als Mischung mit Cola, leer gesoffen. Aber hey! Ich habe mal unfassbar viel Geld für teuren Fusel ausgegeben – honoriert mir das!
4.Der Loyale: Schulter an Schulter stehen die Buddeln aneinandergereiht. Die Flaschenhälse stolz vom Sideboard gestreckt. Ein deutliches Signal: Ich klopp mir nichts anderes in die Blutbahn. Ob Jägermeister, Jack Daniel's oder Smirnoff – der Loyale zeigt seine Trinktreue über das endlose Kabinett an Flaschen von ein und derselben Firma. Beim Anbandeln mit einem Brand fühlt er sich ein wenig wie James Bond. Nicht-ganz-so-gute-Freunde wissen deswegen auch immer, was sie zum Geburtstag schenken sollen. Was so lange praktisch ist, bis die Plörre einen eher schüttelt, als rührt.
Auch wenn sich die verschiedenen Trophäen-Typen unterscheiden, so eint sie vor allem der Zeitraum ihrer Leidenschaft. Denn die Fusel-Flaschen-Sammelwut gehört zum Studentenleben wie Bierpong und Pizzakartons. Und verläuft von der Oberstufe beginnend bis zur Exmatrikulation in der immer gleichen Kurve. Es beginnt mit der unausgesprochenen Behauptung im Freundeskreis: „Schaut her, was ich schon schaffe von diesem Feuerwasser“. Auch wenn heimlich ein Großteil der Plörre weggekippt wird. Es folgt die Messie-Phase im Studentenleben: „Wie praktisch, jetzt muss ich nicht mal mehr zum Container.“ Bis zum Schluss die Alkohol-Exzess-Andenken ein daumendicker Staubfilm bedeckt.
Irgendwann kommt dann der Tag, an dem wir merken, dass es ein Pflanze vielleicht auch tut. Dass niemand im hippen Instagram-Einrichtungblog, noch im Ikea-Katalog, Schnaps-Flaschen auf der Fensterbank stehen hat. Oder wir kommen aus dem Ferienlager wieder und Mama sagt: „Ich hab das Altglas mal entsorgt.“ An dem Tag zerbricht etwas in uns. Und das ist gut so. Wie schon Adorno gesagt hat: „Es gibt kein richtiges Leben in Flaschen.“ Oder so.