- • Startseite
- • Mädchenfrage
-
•
Jungs, warum klugscheißt ihr so gerne?
Liebe Jungs,
wir wissen ja, ihr seid schlau. Und ihr wisst, wir sind schlau. Trotzdem haben wir das Gefühl, dass ihr das manchmal mehr nach Außen tragen und euch mit eurem Intellekt schmücken müsst, als wir das tun. Es kommt uns so vor, als hättet ihr eine Art inneren Drang, uns zu beweisen, dass ihr dieses oder jenes ganz genau wisst. Dabei geht es uns gar nicht ausschließlich um den Vorgang, den man „Mansplaining” nennt. Ihr macht das ja auch untereinander.
Ein Beispiel: Wir sitzen zu dritt am Tisch, zwei Männer, und ich. Einer der Männer verspricht sich beim Namen eines Politikers. Sagen wir, er betont den Namen „Özdemir” in der Hitze der Diskussion wie „Ötzdemir” anstatt es weich auszusprechen, „Cem Ösdemir”. Sofort fällt der eine Freund dem anderen ins Wort: „Alter, das heißt Össssdemir! Mit ‘s’! Wie Wasser!” Natürlich weiß auch ich, dass man den Namen mit weichem „s” ausspricht. Aber es weiß ja jeder, wer gemeint ist, warum also sollte ich den Anderen darauf hinweisen? Damit er sich blöd fühlt?
Ihr hingegen scheint manchmal zu denken: „Das ist falsch! Muss das sofort korrigieren! Sonst! Geht! Welt! Unter!” Warum nur? Fühlt ihr euch danach superschlau, geil, wie der König der Welt? Oder kommt ihr euch manchmal selber ein bisschen blöd dabei vor?
Warum nur wollt ihr uns – und euch gegenseitig – so oft eures Wissens versichern?
Ein anderes Beispiel: Ich schaute vor kurzem eine Folge Gilmore Girls. In einer Szene, in der Lane am Schlagzeug sitzt, sagte mein Freund, der mir über die Schulter sah: „Alter, die kann ja GAR nicht Schlagzeug spielen.” Mir ist, ehrlich gesagt, absolut wurscht, ob diese Schauspielerin Schlagzeug spielen kann, oder nicht. In der Fiktion der Serie kann sie es. Ich hatte mir noch nie Gedanken darüber gemacht. Ich hatte meinen Freund aber auch nicht danach gefragt. Es war mir einfach egal. Aber als er mich darauf hinwies, ärgerte ich mich – warum war das denn ein wichtiges Detail? Was wollte er mir damit sagen?
Kleinigkeiten, die wir gar nicht als Fehler wahrnehmen oder bewusst übersehen, sind euch oft einfach nicht so egal wie uns. Woher kommt das? Wir haben manchmal das Gefühl, als würde der Drang des Klugscheißens in euch aufsteigen wie Wasser in einem übersprudelnden Topf, bis ihr es nicht mehr aushaltet. Warum nur wollt ihr uns – und euch gegenseitig – so oft eures Wissens versichern? Das würden wir gerne wissen.
Eure Mädchen
Die Jungsantwort:
Liebe Mädchen,
gleich beantworten wir eure Frage, aber zunächst mal: Es heißt ja nicht nur „Össsdemir“ sondern auch „Dschem“ und nicht etwa „Tschemm“, wie 90% der Deutschen immer noch sagen. Das war jetzt vielleicht wieder Klugscheißerei, aber irgendwie ist der Fall Özdemir auch so einer, in dem wir unsere Anmerkungen – und das ist eigentlich grundsätzlich so – nicht als solche bezeichnen würden. Wir finden eher : Also bitte, wenn jemand zehn Mal hintereinander Francois Hollande „Franzojs Hollandeee“ aussprechen würde, würdet ihr ihn doch sicher auch korrigieren, oder? Und nach zig Jahrzehnten des Zusammenlebens könnten wir doch mal den ein oder anderen türkischen Namen aussprechen lernen, nicht nur französische und englische.
Ihr merkt: Wenn wir jemanden korrigieren oder ungefragt unsere Meinung zu Fake-Schlagzeugerinnen im Fernsehen preisgeben, dann immer mit einer Mission, niemals aus reiner Geltungssucht. „Diese pseudo-musizierenden Schauspieler im Fernsehen, das muss doch endlich mal realistischer aussehen!“ wäre im zweiten Fall die eigentliche Aussage – nicht etwa die Zurschaustellung unserer eigenen Schlagzeug-Expertise.
Unsere Einmischung in die faktischen Schieflagen des Alltags bewegt sich also stets auf einer Achse zwischen berechtigtem Zwischenruf und dem völlig unnötigen Rumzeigen unseres (vermeintlichen) Intellekts. Und zugegeben – auf dieser Achse verorten wir unsere eigenen Aussagen meist eher auf der ersten Seite. Aber ist das bei euch nicht genau so?
Vielleicht nicht ganz, zumindest nicht, was den Drang zum ständigen Loslabern betrifft: Dass man zu allem und jedem eine Meinung zu haben hat, wird uns schon früh vorgelebt. Sei es vom eigenen Vater, der bei der Tagesschau mehr spricht als der Nachrichtensprecher oder vom Onkel auf dem Familienfest, der für wirklich jeden den besseren Lebensentwurf parat hat, obwohl ihn niemand danach fragt. Euch hingegen wird gerne nahegelegt, eine „gute Zuhörerin“ zu sein.
Noch etwas anders gelagert sind die Fälle, in denen wir nicht nur das Welt- oder Fernsehgeschehen kommentieren, sondern andere in deren Anwesenheit korrigieren: Einen Fehler, ein falsch ausgesprochenes Wort oder eine schlichte Unwahrheit einfach im Raum stehen zu lassen, widerstrebt uns. Und hier muss man auch mal sagen: Das ist ja auch oft gut so.
Was wäre die Welt ohne Klugscheißer?
Stellen wir uns zum Beispiel mal vor, besagter Onkel haut nach ein paar Bierchen unhinterfragt seine Alternativfakten zur Islamisierung Europas in die Runde – ist es dann nicht manchmal besser, einen Klugscheißer mit tatsächlichen Fakten am Tisch sitzen zu haben? Sicher, oft fehlt uns hier der Maßstab, wir unterscheiden nicht zwischen dem tatsächlich Relevanten und der völlig überflüssigen Korrektur, im Schlimmstfall auch noch einer sachlich falschen. Aber was wäre die Welt ohne Klugscheißer, egal welchen Geschlechts?
Ein Problem männlicher Selbstüberschätzung ist dabei allerdings, das wir uns oft eine eine Expertise anmaßen, die wir überhaupt nicht haben. Oder unsere Sicht der Dinge als absolute Wahrheit begreifen. Ihr hingegen – und das hängt sicher mit gesellschaftlichen Voraussetzungen, Erziehung und zu hinterfragenden Rollenbildern zusammen – solltet im Gegensatz zu uns vielleicht noch öfter die Stimme erheben, pedantischer sein, auf eurem Recht beharren.
Insofern wäre es wohl ganz schön, wenn wir uns in der Mitte treffen könnten. Im besten Fall ist Klugscheißen nämlich konstruktiv. So weiß ich zum Beispiel erst seit einem Jahr, dass man Thomas de Maizière nicht “Mäijzieeeh” sondern “Mäjziehjäar” ausspricht. Dank meiner klugscheißenden Freundin.
Eure Jungs