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Jungs, wann wird es Zeit für einen neuen Anzug?

Illustration: Janina Schmidt

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Die Mädchenfrage:

Liebe Jungs,

es gibt unter euch jene, die jeden Tag im Anzug zur Arbeit müssen und darum fünf  (oder mehr?) verschiedene haben. Oder jene, die totale Klassische-Herrenmode-Checker sind und sich regelmäßig ein neues Jackett kaufen oder wissen, welche Anzugwesten gerade in sind. Aber die meisten von euch denken vermutlich eher so: „Oh, ich muss auf eine Hochzeit, da zieh ich wieder den einen Anzug an, den ich seit Jahren im Schrank hängen hab, vielleicht bring ich ihn diesmal hinterher sogar zur Reinigung!“ Und so geschieht’s dann auch.

An sich verstehen wir ja gut, dass ihr bei dem einen Anzug bleibt. Wir beneiden euch sogar darum, dass ihr zu sämtlichen festlichen Anlässen immer Dasselbe tragen könnt, während wir uns bescheuert und unmodisch vorkommen, wenn wir zum achten Mal dieses eine Kleid oder diesen einen Hosenanzug tragen. Denn so ein Kleid oder so ein Hosenanzug ist einfach schnell überlebt.

Wobei das beim Anzug ja auch irgendwann der Fall ist. Denn er mag zeitloser sein als ein Kleid, aber dennoch folgen auch seine Schnitte, Stoffe oder Muster irgendwelchen Trends. Was den meisten von euch aber völlig egal zu sein scheint. Von außen betrachtet sieht es für uns folgendermaßen aus: Euer Abschluss- oder Abiturzeugnis nehmt ihr im Konfirmationsanzug entgegen. Oder in irgendeinem Äquivalent. In einem Kleidungsstück jedenfalls, dass ihr mit etwa 14 Jahren von Mutti und einer engagierten Verkäuferin aufgedrückt bekommen habt und in das eure länger gewordenen Beine ein paar Jahre später gerade noch so reinpassen. Danach kauft ihr euch dann irgendwann den zweiten Anzug eures Lebens, für ein Vorstellungsgespräch oder eine Hochzeit – und das war’s. Den tragt ihr dann jahrelang, sofern ihr nicht extrem an Gewicht oder Muskelmasse zu- oder abnehmt.

Und da fragen wir uns schon manchmal: Habt ihr eigentlich keine Angst, irgendwann wie der amerikanische Präsident auszusehen, dessen Anzüge ja immer ein bisschen so wirken, als habe er sie aus den Neunzigern herübergerettet? Fühlt ihr euch nicht unmodisch und altbacken in so einem vor fünf bis zehn Jahren erstandenen „Ich brauche dringend einen Anzug“-Anzug? Wenn ihr ihn anzieht, dreht und wendet ihr euch dann manchmal vorm Spiegel und denkt „Puh, ich fürchte, die Hose trägt man heute eigentlich enger“ oder „Ich bin wohl noch mal gewachsen, aber gut, nackte Knöchel sind ja jetzt in, glaub ich“? Vergleicht ihr euch aus dem Augenwinkel mit anderen Anzugträgern? Und letztlich: Wann wird es eurer Meinung nach wirklich Zeit für einen neuen Anzug?

Erzählt doch mal. Ihr dürft euch dafür auch gerne was Bequemes anziehen.

Eure Mädchen

Die Jungsantwort: 

jungsfrage text
Illustration: Katharina Bitzl

Liebe Mädchen,

tatsächlich fragte ich mich genau das neulich auf einer Hochzeitsfeier. Ich stand da in einer Ecke, Bier in der einen, Zigarette in der anderen Hand. Ich trug einen meiner Meinung nach zeitlos klassischen Anzug, schwarze Hose, weißes Hemd, schwarzes Sakko. Nichts Besonderes, aber stilvoll. Hatte ich vor fünf Jahren für 350 Euro gekauft und hatte ihn vielleicht sechs Mal getragen. Ich wurde gerade seit einer Stunde von einem Typen vollgelabert, wie schön doch München und der bayerische Dialekt seien, dieses gerollte R, grrrandios, haha, so authentisch – bis er sich irgendwann endlich wieder um seine Freundin kümmerte.

In dieser sehr willkommenen Gesprächspause fiel mir auf, dass mein Anzug nicht so recht zu denen der anderen Typen auf der Party passte. Die anderen hatten alle ziemlich eng geschnittene Hosen an, vor allem an den Füßen unten, aber auch der Rest des Anzugs war eher tight. So Pep-Guardiola-mäßig. Schwarz trug auch niemand, dafür aber viele diese blauen Anzüge, die so eine Aura von mittlerem Management und geleastem SUV ausstrahlen. Und wahrscheinlich deutlich teurer als meiner waren. Wie ihr sicher schon gemerkt habt, es gibt eben diese seltsamen Anzugchecker-Jungs. Und es gibt die, die sich der Konvention aus Liebe oder Zwang fügen. Für die ersteren kann ich hier nicht sprechen.

Ich schaute jedenfalls an mir runter und merkte, dass meine Hosenbeine im Vergleich schon recht weit waren. Um nicht zu sagen: Sie schlabberten. Mein Hintern verlor sich auch irgendwie in der Hose. Und die Farbe Schwarz kam mir auf einmal so originell vor, wie einen neuen Friseursalon GmbHaar zu nennen. Oder Haarakiri. Immer noch ein bisschen witzig, aber eigentlich nur, weil es so unfassbar ausgelutscht ist. 

Diese Erkenntnis traf mich unerwartet und hart. Hatte ich mich doch bei der Auswahl meines Anzuges damals an der zeitlosesten Ikone orientiert, die ich kenne: Johnny Cash. Der Anzug, den er bei einem Besuch in Folsom Prison trägt. Dunkel, schlicht, cool. Und jetzt kam ich mir plötzlich vor wie ein kleiner Junge, dem seine Mama versehentlich eine Schlaghose rausgelegt hatte. Ich versuchte, mich gegen diesen Gedanken zu wehren, der da langsam und unaufhaltsam in mir hochkroch: Was, wenn ich zu denen gehöre, die es irgendwann einfach versäumt haben, mit der Zeit zu gehen? Und denen das schon seit Jahren nicht mehr auffällt? Was, wenn ich einer von diesen Onkels bin, die man immer nur auf Beerdigungen und Hochzeiten trifft? Die karierte Baumwollsakkos tragen, mit Schulterpolstern. Oder so seltsam glänzende Anzüge mit orangenen Nadelstreifen.

Klar, so wollen wir nicht sein.

Um auf deine Frage zurückzukommen. Ob wir uns nicht unmodisch und altbacken in so einem vor fünf bis zehn Jahren erstandenen „Ich brauche dringend einen Anzug“-Anzug fühlen?

Doch, manchmal schon. Aber unsere Schmerzgrenze liegt in diesem Fall offenbar höher. Ich kenne eigentlich niemanden, der sich einfach so einen neuen Anzug kauft, weil er gerade Zeit und Lust hat. Dafür muss es schon sehr gewichtige Gründe geben. Entweder braucht man einen, weil man durch seinen Job dazu gezwungen wird. Oder der alte ist halt kaputt, weil man vergessen hat, ein feuchtes Tuch zwischen Sakko und Bügeleisen zu legen. Oder er ist einfach zu klein geworden. Und sicherlich gibt es auch eine Altersgrenze. Aber einfach so? Nö.

Ich persönlich will auch nicht plötzlich einen neuen Anzug kaufen, nur weil irgendein namenloses Model in irgendeinem Herrenmagazin ihn getragen hat. Oder irgendein Fußballtrainer. Zugegeben, das ist von der Denke her schon gefährlich nahe an dem Onkel und seinem karierten Baumwollsakko dran. Aber wenn ich schon jemandem nachlaufe, dann jemandem, für den ich mich nicht schämen muss. Johnny Cash zum Beispiel.

Es gibt allerdings einen Haken an der Sache. Wir wollen natürlich auch euch Mädchen gefallen. Das macht mindestens 50 Prozent unserer Motivation aus, einen Anzug zu tragen. Und das funktioniert ja auch öfter, als wir denken. Mädchen sind immer angenehm überrascht, wenn Jungs einen Anzug tragen. Das passiert oft aus purer Höflichkeit und ist dann eine bloße Würdigung der Tatsache, dass wir uns auch schickmachen können. Manchmal allerdings sagt ihr das mit so einem Lächeln im Gesicht, bei dem wir schon das Gefühl haben, ihr findet uns im Anzug heiß. Und das ist dann auch der Moment, ab dem wir uns einigermaßen wohl fühlen. Passiert das irgendwann nicht mehr, dann ist es womöglich wirklich Zeit für einen neuen Anzug.

Eure Jungs

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