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Jungs, wann fühlt ihr euch "kastriert"?

Illustration: Jessy Asmus

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Die Mädchenfrage:

Liebe Jungs,

Ich hab' eine Frage, die mir ein bisschen auf der Seele brennt, gerade jetzt, wo die Sportkommentatorin Claudia Neumann so einen Shitstorm im Netz erfahren hat. Weil sie ein EM-Spiel kommentiert hat. Männer haben da Fußball gespielt. Und Männer haben sich danach aufgeregt, dass eine Frau das kommentieren darf.

Und das Phänomen kennt man ja schon auch im echten Leben: Wenn wir Frauen uns in einer Männerdomäne versuchen, dann ernten wir manchmal erst Skepsis. Und wenn wir uns auch noch erlauben, darin gut zu sein, kommt manchmal sogar blanker Hohn.

Klar, das sind Idioten, um die ich persönlich einen weiten Bogen mache. Aber wie ist das bei euch anderen?  Wird es denn auch Feministen und klugen Jungs manchmal etwas mulmig in der Magengegend, wenn eine Frau schneller läuft, das Wlan selbst einrichten kann oder – Gott bewahre – beim feierabendlichen BBQ die Grillmeisterin macht? Wann fühlen sich Jungs von uns Mädchen kastriert?

Würde mich mal interessieren.

jungsfrage text
Illustration: Katharina Bitzl

Die Jungsantwort:

 

Liebe Mädchen,

 

diese Antwort wäre anders gewesen, hätte ich nicht eben noch „Neumann Shitstorm“ gegoogelt. Denn dabei habe ich das Grauen gesehen und jetzt stehe ich etwas unter Schock. Das Grauen hat weißteigige Speckvisagen und hartgesoffene Bierbäuche und Gehirne. Es schwitzt jahrhundertealten Dreck aus talgigen Poren und stinkt aus dem Maul nach abgestandenem Dosenbier und Marlboro. Es beherrscht keine Grammatik oder Interpunktion. Es geht wahrscheinlich zu Mario Barth. Vielleicht auch zu Monstertruck-Rennen. In jedem Fall schaut das Grauen Fußball. Und wenn es Fußball schaut, und ein Spiel von einer Frau kommentiert wird, dann schreibt es unter Klarnamen: "Ne FußballkommentatorIN. Wie geil ist das. Bestimmt ne Lesbe. Yeeeaaah, Homos an die Macht!" Oder: "18.41 zeit Abendessen zu machen liebe Frau :)."

 

Das Grauen hat aber auch vom Rom-Kultur-Urlaub gebräunte Clooney-Gesichter und an der Rudermaschine trainierte Waschbrettbäuche. Es kennt sich mit Wein aus und mit Manet. Es ging früher zu Roger Willemsen. Und jetzt halt nur noch zu Götz Alsmann. Es schreibt selbst tolle Bücher und bezeichnet Stefanie Sargnagel dann als "sprechenden Rollmops". Und auch dieses Grauen schaut Fußball. Und wenn es Fußball schaut, und ein Spiel von einer Frau kommentiert wird, dann schreibt es unter Klarnamen, dass die "Olle besser zum Dressurreiten passt". Oder: "Frauen können ja gerne Frauenfußball kommentieren – aber keine richtigen Spiele."

 

Und weil ich das jetzt alles wieder so geballt gesehen habe, weiß ich, dass es den Feminismus noch lange braucht (auch wenn er mich grad oft nervt) und zwar auch den, der mit aller Kraft und Wut und Humorlosigkeit gegen diese homophoben, sexistischen, überheblich-paternalistischen Arschgeigen ankämpft.

 

Aus eigener Erfahrung: Es ist höchstens sportlicher Ehrgeiz. Aber ohne Angst.

 

Denn ja: Es gibt diese Männer, die sich kastriert fühlen, wenn Frauen etwas besser (oder auch nur genauso gut) können. Und nein: Ich glaube nicht mehr, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie mit ihren Ansichten in einer Eichenkiste unter der Erde verrotten. Denn diese Männer haben Kinder und sie haben Söhne. Und es sind ja besonders diese Männer, die ihre Söhne nach ihrem Ebenbild formen. Und damit trägt sich dieser ganze Dreck weiter und immer weiter. Und weil man ja nicht einfach einen Stuhl nehmen und ihnen sechs Sorten Scheiße aus dem Leib prügeln darf, weiß ich auch nicht, was man mit oder wegen denen tun kann. Reden halt wahrscheinlich. Wahrscheinlich kann man sogar mit solchen Leuten reden.

 

Was ich nicht kann: Für solche Leute reden. Ich weiß nicht, was und wie die denken. Deshalb kann ich euch da nicht weiterhelfen. Keiner, den ich in meinem Umfeld gefragt habe, kann das. Und das macht ja auch wieder ein bisschen Hoffnung. Denn was ich sagen kann, ist:

 

Ab auf den Fußballplatz oder ans Mikrofon. Ab ans Steuer und auf den Chefsessel. Bitte sofort das Wlan installieren und danach für uns grillen. Das klingt toll. Und bequem. Und macht uns keine Angst. Sage ich aus Überzeugung. Und aus eigener Erfahrung:

 

Die Frau, die mich gut kennt, verdient mehr als ich und zahlt im Lokal genau so oft wie ich. Die Frau von Freund S. ist im Taekwondo doppelt so gut wie er und könnte uns alle verprügeln. Die Kollegin C. und die Kollegin N. schreiben dauernd Sätze und Texte, bei denen sich mir das Hirn aushängt, weil die Gedanken und Ideen so verflucht gut sind. Und – halt! –, nein, bei den geilen Texten, das muss ich zugeben, da ärgere ich mich schon manchmal ein bisschen. Dass ich auf so was nicht komme. Das nervt schon. Aber halt anders. Aus sportlichem Ehrgeiz. Oder aus Neid. Aber auf jeden Fall ohne Angst. Und Punkt.

 

Ach so: Manchmal werdet ihr so ein kurzes Zögern bei uns bemerken, wenn ihr plötzlich mal einen Lichtschalter installiert oder ein Regal, gell? Wenn ihr euch vor uns auf einen Fußball stürzt oder auf den Grill. Der Grund dafür ist Empirie: Wir sehen das nicht oft. Weil ihr das nicht oft tut. Doch, doch! Keine Diskussion. Das ist belegt: Nur sieben Prozent von euch grillen zum Beispiel selbst. Hat der Kollege für die Jungsfrage "Mädchen, warum grillt ihr nicht?" recherchiert.

 

Aber das bekommen wir schon auch noch hin. Zusammen. Leider aber eher noch ohne die Arschgeigen.

 

Eure Jungs

 

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