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Jungs, lernt ihr auch ständig jemanden in der Kloschlange kennen?

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Als ich vor ein paar Tagen mit meinem Freund auf einer Party war und nach einer guten halben Stunde endlich zu ihm und meiner Weinschorle zurückkehrte, sagte ich: „Tschuldigung, ich habe mich ein wenig verquatscht.“ Auf die Frage wen ich denn getroffen hätte, antwortete ich: „Ach, da war so ein Mädchen auf dem Klo, weiß ihren Namen nicht mehr!“ Erstaunt schaute mein Freund mich an: „Und über was habt ihr geredet?“ Als ich so einige lustige Geschichten dieser Klobekanntschaft angefangen bei ihrem Studium bis hin zu wilden Sexgeschichten auspackte, machte er große Augen: „Das hat sie dir alles gerade eben erzählt?!“
 
„Klar, passiert doch fast immer, wenn man ausgeht und am Klo ansteht.“ Er verneinte und behauptete er sei froh, wenn er schnell wieder aus dem Männnerklo zurück sein könne und er habe noch nie jemanden in der Klowarteschlange kennengelernt.
 
Ich erzählte ihm weitere Geschichten, von Mädchen, die mich fragten, ob ich nicht in freier Natur ein Lied anstimmen könnte, weil sie nicht in völliger Stille pinkeln konnten. Eine Andere erzählt mir total betrunken ihre gesamte Lebensgeschichte, wen sie auf der Party alles kannte und welches Konzert sie mir gar nicht empfehlen würde. Manchmal redet man auch einfach über andere Mädchen und wer wohl warum gerade so lange braucht. „Dass die aber auch nur ein Klo für Mädchen haben“, bekommt man nicht nur ein Mal zu hören und die Warteschlangensympathie ist somit perfekt. Gemeinsam leiden, gemeinsamen warten, wenn auch nur für höchstens zehn Minuten. Später begegnet man sich auf der Party wieder, lächelt sich kurz an und sagt vielleicht „Hallo!“. Danach sieht man die Klofreundin für gewöhnlich nie wieder und wenn doch, wäre das ein dermaßen großes Wunder, dass man sich eigentlich wirklich anfreunden müsste.

Aber, Jungs, nun zu euch: Lernt ihr auch den ein oder anderen Jungen in der Kloschlange kennen oder seid ihr froh, wenn euch niemand anspricht? Redet ihr zumindest mit dem Wartenden neben euch oder ist eure Wartezeit in der Regel sowieso zu kurz, um sich mit solchen Fragen zu beschäftigen?


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert



Im Menschen steckt das Tier und es kommt hervor, so bald Grundbedürfnisse erledigt werden müssen. Der Fortpflanzungstrieb lässt Jungs geifernd sabbeln, der Sommerschlussverkauf Mädchen zu garstigen Furien am Wühltisch werden. Eine Kloschlange ist deswegen nicht gerade als Ort prädestiniert, um Solidarität mit dem eigenen Geschlecht zu zelebrieren.

Dafür, das muss man einmal sagen, geht es hier erstaunlich gesittet und diszipliniert zu. Vielleicht ruft eine volle Blase auch nach sechs Bier die eigene Schwäche ins Bewusstsein. Der Druck untenrum pazifiziert die Gemüter, meines Wissens ist es selbst im Bierzelt auf dem Oktoberfest noch nie zu einer Schlägerei in einer Kloschlange gekommen.

Vorgedrängelt wird nicht, gepöbelt nur in den seltensten Fällen und meist dann, wenn in der Schlange eine Frau entdeckt wird, der die Schlange ihrer Geschlechtsgenossinnen zu lang geworden ist. „Die darf da nicht sein“, sagt einer. „Lass sie halt“, der andere. „Frauen raus“, brüllt der Dritte. Seltener klopft an die seit zehn Minuten verschlossene Tür des Sitzklos und ruft „Zwick ab!“, was bei dem einen oder anderen Wartenden ein Schmunzeln hervorruft.

Zu Verbrüderungsszenen, Herzausschüttungen oder auch nur für den Abend dauernden Bekanntschaften kommt es nicht. Das Kommunikationsniveau der Kloschlange ähnelt am ehesten dem eines Kampfsporttrainings: Die körperlichen Beanspruchung ist hoch, so dass Wortlosigkeit dominiert. Kommunikation ist auch nicht zwingend notwendig, da kein Teamsport. Vor dem Pissoir schließlich ist jeder für sich alleine. Danach gehen wir wieder getrennte Wege.

Und all das zusammengenommen, Einzelkämpfer, vorübergehend in einer Leidensgemeinschaft vereint, in Wortkargheit verbunden, um am Ende doch ganz alleine vor einer Aufgabe zu stehen, all das ist die letztlich die Essenz männlichen Zusammenseins.

stefan-winter

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