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Jungs, erzählt ihr nie Geheimnisse weiter?

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Die Mädchenfrage:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Es gibt einen Satz, den man ständig in Gesprächen von Mädchen zu Mädchen hört. „Von mir weißt du's aber nicht!“, sagt dann die eine zur anderen, nachdem sie topexklusive News weitergegeben hat, die sie von einer Geschlechtsgenossin erhalten und eigentlich für sich hätte behalten sollen. Deshalb verhängt die Schweigeunfähige mit diesem Satz nun erneut eine Nachrichtensperre – nicht nur, aber auch, um nicht als Quelle der Indiskretion bekannt zu werden. Fraglich, wie erfolgversprechend diese Aufforderung ist. Sie selbst hat ja auch nicht an sich halten können.

Anstatt sich geehrt zu fühlen ob des Vertrauens, das ihm entgegengebracht wurde, offenbaren Mädchen in solchen Unterredungen, dass sie solches Vertrauen gar nicht verdienen. Sondern stattdessen der Tratschsucht erliegen, auch wenn es sich bei der Quelle und Betroffenen um eine gute Freundin handelt. Auch wenn zuvor von jener Dame nicht explizit klargestellt wurde, dass es sich um Vertraulichkeiten handelt, sollte eigentlich klar sein, dass sie ihr Seelenleid oder auch die 1,0 in der Zwischenprüfung nicht zwingend mit weiteren Personen teilen möchte. Oder ihnen selbst davon berichten und selbst entscheiden will, wer, wann und unter welchen Umständen ein Lebensupdate bekommt. Doch das tratschende Mädchen redet sich zu allem Überfluss auch noch gerne ein, die Ausplauderei sei harmlos, weil sie die Informationen ja nur an weitere enge Freundinnen weitergibt. Falls sich bei ihm überhaupt so etwas wie ein Schuldbewusstsein einstellt.

Wenn Mädchen sich immer bewusst wären, wie viel andere Mädchen von Vetraulichkeiten weiterplaudern – und sie könnten es wissen, kennen sie sich doch selbst – so würden sie vermutlich nur noch mit ihren männlichen Freunden derlei Privates teilen. Ich kann mich jedenfalls nur an sehr wenige Indiskretionen erinnern, die mich aus Jungsmund erreichten. Ja, Verschwiegenheit ist nicht unsere größte Stärke und „Von mir weißt du's aber nicht!“ ist ein hässlicher Mädchensatz. Einerseits.

Andererseits ist das zu einfach, weil es die Chose einseitig betrachtet. Handelt es sich bei diesen indiskreten Damen doch nicht um schnatternde Weibsbilder, die sich Lästereien hingeben. Indiskretionen unter Freundinnen beinhalten in den allermeisten Fällen eine tiefe Sorge um das Wohlbefinden jener Person, über die eigentlich private Infos ausgetauscht werden. Eine Freundin von mir wurde vor Kurzem von ihrem Freund verlassen. Sie hatte es noch gar nicht allen Freundinnen erzählt, aber nach wenigen Tagen wussten wir bereits allesamt Bescheid. Die Trennung war in diversen Telefonaten weitergegeben worden, garniert mit ebenjenem Satz. Aber wer es nicht direkt von ihr erfahren hatte, konnte ihr dann unauffällig eine SMS schicken oder anrufen, um ihr die Möglichkeit zu geben, sich auszuheulen und auszusprechen. Von dieser Möglichkeit machten wir Gebrauch. Ein Freundinnennetz fing sie in ihrem Kummer auf. Wir waren fürsorglich – aber wir hatten sie nicht gefragt, ob sie das eigentlich wollte.

Ohne sicher zu wissen, wie Jungs mit anderen Jungs über wieder andere Jungs sprechen: Ihr handhabt das nicht so, sondern haltet eure Klappe, oder? Findet ihr unser Verhalten völlig unverständlich und moralisch verwerflich, irgendwie noch zu rechtfertigen – oder doch auch Zeichen von tiefer Zuneigung dem Opfer der Indiskretion gegenüber?      


Die Jungsantwort:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert


Das ist ja wieder höchst kompliziert bei euch! Die Freundin erzählt euch etwas, das ihr nicht weitersagen sollt, was ihr aber doch tut, weil ihr euch ja sooo um sie sorgt. Eine interessante Denkweise, die uns aber ziemlich fremd ist und mir auch ein bisschen vorgeschoben vorkommt. Frappierend finde ich aber vor allem, dass diese Informationsweitergabe mit angehängter Verschwiegenheitsklausel anscheinend in jedem zweiten Mädchengespräch vorzukommen scheint.  

So viele Geheimthemen, wie ihr verbotenerweise in einer Woche ausplaudert, kommen bei uns nicht mal in einem Monat zur Sprache. In Jungs-zu-Jungs-Gesprächen geht es seltener um ganz intime Dinge und Probleme als bei euch. Wir haben nicht so oft das Bedürfnis, einander unser Inneres auszuschütten und Dinge auszusprechen, die auf keinen Fall weitererzählt werden dürfen. Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum du dich nur an wenige Jungs-Indiskretionen erinnern kannst: Wo wenig ist, kann auch nur wenig weitergetratscht werden.

Mit diesem quantitativen Mangel an Geheimnissen geht ein weiterer Grund für unsere größere Verschwiegenheit einher. Man könnte sagen, dass es sich mit unserer Geheimnishüterei letzten Endes verhält wie mit Angebot und Nachfrage im System der freien Marktwirtschaft: Weil die „Erzähl das bitte niemandem weiter“-Themen bei uns seltener sind und wir diesen Satz deshalb nicht so häufig hören, gewinnt er an Wert und Durchschlagskraft, und wir nehmen ihn ein bisschen ernster als ihr das offenbar tut.

Das heißt natürlich nicht, dass wir nie etwas weitererzählen, was eigentlich nicht dafür gedacht war. Meistens handelt es sich dabei um Dinge, die nicht explizit mit einem Tratschverbot belegt wurden, wo also unser eigener Diskretionsradar gefragt wäre. Der ist nur bei manchen von uns auf dem technischen Stand aus Zeiten des Zweiten Weltkriegs. Uns fehlt ein bisschen die Feinsinnigkeit, um zu erspüren, dass wir eine Information vielleicht für uns behalten sollten. Und so erzählen wir es weiter, weil wir denken: „Ist doch nicht so schlimm, wenn der Basti das auch weiß.“ Im Umgang mit Themen, die nicht eindeutig als Geheimnis gekennzeichnet sind, sind wir euch also ziemlich ähnlich.

Aber das mit der Fürsorge als Tratschrechtfertigung, das bleibt glaube ich exklusiv euer Terrain.

Aber von mir weißt du's nicht.

christian-helten

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