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Der Gedichtband "milk&honey" der Instagram-Künstlerin Rupi Kaur erscheint auf Deutsch
Rupi Kaur fängt ganz vorne an. Im Kindesalter, beim ersten Kuss. „der erste junge der mich küsste / packte mich bei den schultern / wie die lenkstange des ersten fahrrads / auf dem er gefahren war“, schreibt sie. Diese Zeilen machen direkt deutlich, wer hier wen beherrscht. Dass sich der Junge den Körper des Mädchens packt und ihn da hinlenkt, wo er ihn haben will.
Der weibliche Körper, wie er gesehen, beherrscht und missbraucht, aber auch geliebt wird, von der Frau selbst und von anderen, das ist das Thema, das sich durch Rupi Kaurs Gedichtband „milch&honig“ zieht, der am 10. April im Lago-Verlag erschienen ist. Das englische Original „milk&honey“ hat zuvor schon eine erstaunliche Erfolgsgeschichte erlebt: Die 24-jährige Kanadierin hatte es Ende 2014 zunächst im Eigenverlag bei Amazon veröffentlicht. Das Buch verkaufte sich daraufhin so gut, dass der US-Verlag Andrews McMeel Publishing darauf aufmerksam wurde.
Dort erschien „milk&honey“ im Herbst 2015 erneut – und schaffte auf die Bestseller-Liste der New York Times. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als eine halbe Million Exemplare verkauft und 16 Auflagen gedruckt. Rupi Kaurs Verlegerin Kirsty Melville war selbst überrascht von diesem Erfolg und sagte dem Guardian, wie ungewöhnlich diese Absatz-Zahlen im Lyrik-Bereich seien – das Maximum bewege sich da normalerweise bei 30.000 Exemplare. Mittlerweile stehen die Menschen schon mal für eine von Rupis Lesungen Schlange oder sie trägt ihre Lyrik im Rahmen eines TED-Talks vor und bekommt eine Menge Lob dafür, mutig und authentisch Missbrauch und Gewalt gegen Frauen zur Sprache zu bringen. Das kanadische Mode-Magazin Flare hat ihr kürzlich das (zugegeben oft recht voreilig vergebene) Label „Stimme ihrer Generation“ angeheftet.
Rupi Kaurs Erfolg hat auch damit zu tun, dass ihre Gedichte berühmt waren, bevor sie gedruckt wurden: Seit 2014 veröffentlicht Rupi sie auf ihrem Instagram-Account, der mittlerweile mehr als eine Million Follower hat. Von Rezensenten wird sie oft als „Instapoet“ bezeichnet: Ihre sprachlichen Miniaturen sind kleine Grafiken, perfekt an das quadratische Bildformat angepasst, und sie illustriert sie oft mit zarten Skizzen. Aufgelockert wird ihr lyrischer Feed mit Fotos, oft ebenfalls mit der Instagram-Ästhetik spielende Selbstporträts, auf denen ihre langen, dunklen Haare oder ihre Hände, ein geöffnetes Fenster oder ein schöner Dielenboden im Mittelpunkt stehen. Häufig sieht man Rupi im Bademantel oder im Bett – Fotos, die immer ein bisschen geheimnisvoll und auch ein bisschen sexy sind, aber in dem feministischen Umfeld ihres Feeds gleichzeitig laut verbieten, sie sexy zu finden. Eine Selbstvermarktung, die sich sehr klug zwischen Kalkulation und Authentizität bewegt und gerade darum spannend ist.
Rupi Kaur gelang der Durchbruch nicht mit einem Gedicht, sondern mit einem Foto
Es war auch ein Selbstportät und nicht etwa ein Gedicht, mit dem Rupi Kaur der Durchbruch gelang. Im Rahmen eines Uni-Kurses zum Thema „Visuelle Rhetorik“ fotografierte sie eine Serie mit dem Titel „period.“ zum Thema weibliche Menstruation. „Ich blute jeden Monat, um die Menschheit möglich zu machen“, heißt es in der Beschreibung auf Rupis Homepage, und dass diese monatliche Blutung in vielen Gesellschaften trotzdem ein Tabu sei. Ihre Fotos machen sie sichtbar, zum Beispiel in Form von Blut in der Toilettenschüssel oder auf dem weißen Kachelboden der Dusche. Eines der Bilder veröffentlichte Rupi im Frühjahr 2015 auf ihrem Instagram-Account:
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Das Bild allein sorgte schon für Empörung bei einigen Betrachtern. Aber zum Skandal wurde das Ganze erst, als Instagram das Bild mit der Begründung löschte, es verstoße gegen die Richtlinien des Netzwerks:
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Rupi wehrte sich mit einem Statement auf Facebook, das wiederum ihre Fan-Base begeisterte und vergrößerte: Online könne man Seitenweise Bilder von Frauen und Mädchen sehen, auf denen sie objektiviert und sexualisiert würden, schrieb sie. „Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass ich nicht das Ego einer Gesellschaft füttere, die meinen Körper in Unterwäsche sehen will, aber es nicht in Ordnung findet, wenn er an einer Stelle ein bisschen undicht ist.“ Instagram lenkte schließlich ein, heute kann man das Bild dort wieder sehen – mit Rupis Statement dazu.
Wenn jemand derart viele Fans hat, ist der gewagte Schritt, die eigene Kunst aus dem digitalen Raum aufs Papier zu holen, nicht mehr ganz so gewagt – die Fans werden das Buch schon kaufen. Allerdings muss man sagen, dass „milch&honig“ auch darüber hinaus gelungen ist: Es ist vor allem ein schönes, ästhetisch ansprechendes Buch und wird dem Instagram-Feed dadurch gerecht. Die Gedichte sind Rupis Stil entsprechend durchgehend in Kleinbuchstaben gedruckt und auf jeder zweiten Seite mit einer ihrer Skizzen ergänzt.
Inhaltlich ist der Band in vier Teile („der schmerz“, „die liebe“, „das zerbrechen“ und „das heilen“) gegliedert. Die Qualität und Originalität der Gedichte schwankt. Vor allem jene über die Liebe und Liebeskummer wirken teils wie die naiv-kitschige Poesie einer Vierzehnjährigen oder wie wenig kreative Kalendersprüche („du hast mich berührt / sogar ohne dass du mich / berührt hast“; „du warst verlockend schön / doch als ich nahekam hattest du dornen“).
Manche ihrer Gedichte sind wie wenig kreative Kalendersprüche, andere sind nüchtern und kraftvoll
Andere hingegen, wie das zu Anfang zitierte über den ersten Kuss oder eines über die Aufklärung eines Kindesmissbrauchs („die therapeutin legt / die puppe vor dich hin / sie ist so groß wie die Mädchen / die deine onkel gerne berühren“), sind nüchterner und gerade dadurch kraftvoll. Wieder schwelgender, aber trotzdem lesenswert sind jene über die Körper schwarzer und brauner Frauen, die unterschiedliche Schönheitsideale verhandeln („haut von der farbe der erde / die meine vorfahren bebauten / nahrung für generationen von frauen mit / oberschenkeln dick wie baumstämme“).
Das Thema liegt Rupi wohl auch darum am Herzen, weil es sie selbst betrifft: Sie ist die Tochter indischer Eltern, die nach Kanada ausgewandert sind, als Rupi vier Jahre alt war. Sie wurde streng und im Sinne der Kultur ihrer Heimatregion erzogen. Dass sie „Gedichte über Trauma, Missbrauch, Verlust und Heilung aus dem Blickwinkel einer Punjabi-Sikh Einwanderin“ schreibe, sei darum ungewöhnlich, sagte Rupi im vergangenen Sommer dem Guardian. „Südasiatische Frauen müssen eigentlich still sein und dürfen keine Meinung haben.“ Öffentlich über so intime Themen wie Vergewaltigung, häusliche Gewalt oder Sex zu schreiben und zu sprechen, war für Rupi Kaur also eine Grenzüberschreitung. Ihre Eltern sorgten sich darum, was eine potenzielle Schwiegermutter wohl ein mal über diese junge, gar nicht stille Frau denken würde. Doch seit das Buch veröffentlicht und so erfolgreich ist, unterstützen auch sie die Kunst ihrer Tochter.
Und deren Erfolgsgeschichte geht weiter: Schon vergangenes Jahr im Oktober hat Rupi Kaur den Vertrag für einen zweiten Gedichtband unterzeichnet, der im Herbst 2017 erscheinen soll. Gerade überarbeitet sie ihn. Wie man – natürlich – auf Instagram sehen kann.
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