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“Hier in Berlin gehen die meisten ja nur kopfschüttelnd an Wahlplakaten vorbei”

Foto: Bergpartei

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Seit gut vier Wochen kleben sie wieder in Berlins Straßen: Plakate, große und kleine, sehr gerne mit einem Politikergesicht versehen – und niemals ohne Parole und Parteilogo. Am 18. September wird in Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt, und bis dahin will sich jede der großen Parteien an zehntausenden Stellen dem Wähler empfehlen. Das kostet die Parteien zehntausende oder hunderttausende Euro, und am Ende sehen die Plakate doch alle irgendwie ziemlich ähnlich aus.  

Fast alle. Da gibt es noch diese Plakate, die handgemalt sind. Oder im Siebdruckverfahren hergestellt. Die linksalternative Bergpartei/ÜberPartei, 2006 gegründet, hat sie aufgehängt. Die Kleinstpartei entstammt der Hausbesetzer-Szene, bezeichnet sich selbst als öko-anarchistisch und fiel schon öfter durch dadaistische Aktionen auf. Mitglieder hat sie zurzeit um die 200. 

Die Bergpartei-Kandidaten malen oft selbst. Wollen sie Plakate wie früher herstellen, total retro? Haben sie einfach zu viel Zeit? Sollen die politischen Aushänge Einzelstücke sein – oder sogar Kunst? Ein Anruf bei "Pastor Leumund", dem Parteivorsitzenden.

jetzt: Gibt es Feedback auf eure Plakate diesen Sommer?

Pastor Leumund: Feedback gibt es, ja. Manchmal kommen welche, die sagen "tolle Plakate". Aber ich glaube, viele sehen das auch und wir kriegen nichts davon mit. Wir denken uns einfach, dass Leute sich darüber freuen.

Ist doch ärgerlich, dass das Feedback anonym bleibt und ihr nicht wisst, wie viele Neuwähler die Plakate bringen.

Es ist ja gar nicht unser Ziel, gewählt zu werden. Wir wollen nur sagen, was wir denken und dabei nicht potentiellen Wählern hinterherschielen. Diese Freiheit brauchen wir auch, um überhaupt entspannt Plakate machen zu können.

In eurem Wikipedia-Eintrag steht, dass ihr mit den Wahlplakaten "die Rückeroberung des von massiver Hirnwäsche besetzten öffentlichen Raumes" in Angriff nehmen wollt.

Das ist ja vor allem bei Wahlen so. Die normale Werbung regt einen nicht so auf, weil man sich daran gewöhnt hat. Hier in Berlin gehen die meisten ja nur kopfschüttelnd an Wahlplakaten vorbei. Wir wollen mit unseren Plakaten vielleicht ein Kopfnicken daraus machen.

Welche Partei hat euer Meinung nach die schlimmsten Wahlplakate?

Grundsätzlich die NPD. Ich war gerade in Mecklenburg-Vorpommern, und die sind da flächendeckend mit ihren populistischen Sprüchen am Start. Andere Wahlplakate sind einfach nur dämlich, das ist ganz amüsant. Amüsant, weil ich denke, dass die Parteien so nicht mehr Stimmen gewinnen, sondern eher weniger. Die FDP ist diesmal ganz lustig, sie wirbt mit: "Riskieren wir, dass etwas funktionieren könnte". Sie meint damit natürlich die Berlin-Politik – aber viele beziehen das auf die FDP selbst. Noch peinlicher finde ich aktuell die Plakate der Grünen, die Kinder mit Start-ups vergleichen.

Eure Parolen sind "Selbermachen", "Träumt weiter" oder "Naturgesetze verschärfen". Stimmt ihr das in der Partei ab?

Jeder Kandidat kann bei uns seine Plakate selber gestalten. Klar wird sich ein bisschen abgesprochen, wenn die Slogans provokanter sind, sollte man das schon machen.

Wie viele Plakate habt ihr, und wie lange dauert es, eins zu malen? 

Wir treten diesmal nur in Friedrichshain-Kreuzberg an – weil es zu viel Arbeit wäre, flächendeckend Berlin zu plakatieren. Der Wahlbezirk ist ein überschaubares Gebiet, bei dem wir gesagt haben, das schaffen wir. Wir sind dort jetzt an 15 Verkehrsinseln, also mit 15 beidseitigen Plakaten. Da ist man dann ganz schön am Malen. Und dann gibt es noch die kleinen Siebdruck-Plakate an den Laternenmasten.

Und die Kosten dafür?

Also wir haben noch nie die 1000-Euro-Marke überschritten bei unserem Wahlkampf. Eigentlich ist das alles recycled: Wir malen auf Schrankrückwänden rum, mit gefundener Farbe – wir wollen eigentlich überhaupt kein Geld ausgeben.

Bei so viel Arbeit, wie geht es euch, wenn die Plakate abgerissen werden?

Das ist allerdings ein Problem, vor allem bei den Großplakaten. Die anderen Parteien haben ja Metallgestänge, aber wir bauen die selber aus Holz. Da kannst du einmal dagegen treten und dann ist es kaputt. Das passiert schon öfter, weil es so leicht ist. Und dann müssen wir halt immer wieder hin und die Dinge flicken und das ist schon demotivierend.  Also, mit so wenig Budget gegen die Großparteien anzustinken. Denen ist das vielleicht egal, wenn drei oder vier Plakate entfernt werden.

Mir kommen Wahlplakate aus anderen Jahrzehnten oft künstlerischer vor.

Früher waren die halt handgemacht. Da machte man sich richtig lange Gedanken. Und jetzt ist es Massenware und die Grafiker setzen auf billige Photoshop-Effekte. Heute sind das Werbefirmen, die das für Parteien machen und die machen dann gleich 20 verschiedene. Der Prozess ist ein total anderer.

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