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Liebespaare: Terry, Jan und die zwanzig Jahre dazwischen

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Terry, 22, studiert in Berlin Publizistik und Kommunikationswissenschaften, verlobt seit 2008 Jungs haben mich nie interessiert. Ich wollte schon immer Männer. Selbst als Teenager habe ich nie Boybands angebetet, ich fühlte mich zu Menschen hingezogen, die Verantwortung übernehmen können, die etwas gesehen haben von der Welt. Ich wollte einen Freund, der sich schon gefunden und deswegen den Kopf für mich frei hat. Ich hing gerne mit Gleichaltrigen rum. Für eine Beziehung kamen sie aber selten in Frage. Sie waren mir zu unfertig, zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Als ich Jan kennen lernte, war ich 17, er 37. Ich war schon vorher mit Älteren zusammen gewesen und hatte auch sonst viele erwachsene Freunde. Jan war aber der erste, der sich mit mir auf Augenhöhe unterhalten hat. Damals arbeitete er in einer Produktionsfirma in Berlin, in der ich ein Schülerpraktikum machte - diese berufsorientierende Pflichtwoche in der zehnten Klasse. Jan hat mich vom ersten Tag an für voll genommen, als einziger in der Redaktion. Sein Vorschlag, mir an meinem letzten Abend das Berliner Nachtleben zu zeigen, kam also ganz natürlich. Meine Eltern haben sich gewundert, hatten aber nichts dagegen. Sie kannten ihn ein bisschen, und dachten vermutlich: Lieber so, als dass sie alleine durch die Clubs gurkt. Ich fand Jan natürlich schon damals toll, aber es war eher eine spielerische Schwärmerei. Eine Verliebtheit um der Verliebtheit willen, von der man wusste: wird sowieso nie wahr. Ich war mir ja im Klaren darüber, dass Jan verheiratet war. Und ich eine Zehnklässlerin. Der Abend war harmlos, hat aber trotzdem genug Stoff für rosarote Erinnerung geliefert. Am nächsten Morgen fuhr ich nach Hause, nach Wiesbaden. Ein paar Monate später ging ich für ein Jahr in die USA, ab und zu schrieben wir uns E-Mails. Jan trennte sich von seiner Frau. In der zwölften Klasse fuhr ich wieder nach Berlin, allein, meine Mutter sollte einen Tag später nachkommen. Ich übernachtete im Hotel, Jan kam zu mir. Wir haben wenig geschlafen in dieser Nacht. Am nächsten Morgen musste ich mit Mama Berliner Unis angucken. Ihr zu erzählen, mit wem ich die Nacht verbracht habe – unmöglich. Inzwischen sind meine Eltern froh darüber, dass ich glücklich bin, egal mit wem. Damals hätten sie es nicht verstanden. Ein Jahr lang versteckten Jan und ich uns in Hotels. Er jettete viel um die Welt und dehnte für mich seine Zwischenstopps in Frankfurt aus. Ich fuhr nachts aus Wiesbaden heimlich zu ihm. Erst als klar wurde, dass ich in Berlin studiere und mit Jan zusammenziehe, sind wir geständig geworden. Es war weniger schlimm, als gedacht. Meine Eltern geben sich Mühe, auch wenn Papa Jan bis heute nur ungern duzt, und Mama sich Sorgen macht, dass er mir meine besten Jahre klaut. Ich selbst fühle mich nicht um meine Jugend betrogen. Jan ist kein Reihenhauserwachsener. Wir wohnen in einer Vierer-WG im Prenzlauer Berg, haben einen VW-Bus, fahren, so oft es geht, ins Ausland. 19 Länder haben wir schon auf dem gemeinsamen Reisekonto und fast alle Kontinente. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich etwas verpasse. Und wenn Jan mir erzählt, wie er früher war, bin ich froh, dass ich ihn erst jetzt kennen gelernt habe. Manchmal spürt man den Altersunterschied natürlich doch: Jans Stieftöchter sind älter als ich, er war 25 Jahre lang mit seiner Exfrau zusammen. Früher bin ich sehr eifersüchtig auf seine Vergangenheit gewesen. Ich dachte, seine alte Liebe wiegt mehr, weil alles danach an ihr gemessen wird. 25 Jahre – wie soll ich dagegen ankommen? Ich bin ja noch nicht mal so lang auf der Welt! Heute weiß ich: In der Liebe gibt es kein besser und schlechter. Überhaupt: Liebe ist so ein schwammiger Begriff. Man sollte lieber gucken, was man aneinander hat. Und an sich arbeiten. Das mit Jan und mir ist nicht Schicksal. Es ist ein Riesenglück. Unsere Beziehung hat viel Selbstbewusstsein gebraucht. In Berlin guckt uns niemand schräg an, aber vorher, in Wiesbaden, musste ich mich oft rechtfertigen. Manchmal habe ich mich gefragt: Ist dir das alles wert? Die Entscheidung für Jan ist in seiner Abwesenheit gefallen. Nach dem Abi bin ich nach Peru geflogen - ein Mörderflug, ich habe 48 Stunden lang nicht geschlafen. Danach saß ich übernächtig auf einem Berg in Cuzco, ein bisschen high wegen der Höhenluft und zum ersten Mal in meinem Leben hundertprozentig glücklich. Wiesbaden lag hinter mir, mein Leben vor mir. Und das, da war ich mir plötzlich sicher, wollte ich mit Jan teilen. Auf der nächsten Seite erzählt Jan vom Moment, als die Liebe kam


Jan, 42, Fernsehregisseur, selbstständiger Projektmanager im Bereich Medien Selbstbewusstsein hatte dieses Mädchen für zwei, wenn nicht für die gesamte Redaktion. Kaum zwei Tage Praktikantin, stiefelte Terry zu mir ins Büro, um sich vorzustellen. Ich trug Anzug und meinen wichtigen Blick und fand, ich sehe sehr nach Chef aus. Terry trug eine Hose in Tarnfarben mit der Aufschrift „Punk Royal“ auf dem Hintern und war von meinem Aufzug überhaupt nicht eingeschüchtert. Ihre vorlaute Art hat mich beeindruckt, ich schlug vor, zusammen wegzugehen. Es war eine gute Nacht: Sonnenuntergang im Club der Visionäre, danach Turntable Rockers im Cookies. Dass Terry zwanzig Jahre jünger war, war nicht relevant, fiel auch gar nicht auf. Erst vor Kurzem hat sie mir erzählt, dass sie eine Heidenangst vor den Türstehern hatte. Sie durfte als Minderjährige eigentlich gar nicht rein. Am nächsten Tag fuhr Terry nach Wiesbaden. Unsere Leben flossen an unterschiedlichen Enden der Welt weiter, in unterschiedliche Richtungen. Terry ging für ein Jahr nach Amerika, ich beendete die Beziehung zu meiner Frau und zog nach Dubai. Gelegentlich schrieben Terry und ich uns nette Mails. Dann hat das Schicksal uns für eine Nacht am gleichen Ort zusammengeführt und wir haben die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Ich musste geschäftlich nach Berlin, Terry war schon dort – ich weiß nicht, ob zufällig, oder auch ein bisschen mit Absicht. Mein Flieger hatte Verspätung, ich schrieb eine SMS, dass es heute wohl zu spät für ein Treffen sein wird. Fünf Minuten später kam Terrys Antwort: „Kein Problem. Bin im Hotel, komm doch vorbei, wenn du willst.“ Ich habe nur gedacht: Wow, das ist mal eine Ansage und ein Taxi zu ihr bestellt. Im Nachhinein betrachtet war Terry der treibende Part in unserer Beziehung. Ich wäre ja nie darauf gekommen, dass sie sich ernsthaft für mich interessiert. Ich dachte zuerst, für sie sei alles ein bisschen Abenteuer, aufregend, nicht von Dauer. Zumal das Abenteuer nur fünf Jahre jünger war, als die eigene Mutter. Terry spielte aber keine Spielchen, das hat mir unheimlich imponiert. Ich selbst habe sie schon immer als gleichwertige Partnerin gesehen. Das Geburtsjahr ist eine Zahl im Pass. Meine Exfrau war 11 Jahre älter, Terry 20 Jahre jünger. Und? Ich stehe außerhalb solcher Kategorien. Manchmal denke ich sogar: Ich bin zeitlos. Ich war mit 20 schon so, wie ich jetzt bin und führte das Leben, das ich jetzt führe. Nur manchmal, wenn Terrys Kumpels zu Besuch sind, merke ich, dass ich wahrscheinlich alt bin. Den Gesprächen über Saufen kann ich wenig abgewinnen. Aber anderseits: Das konnte ich noch nie. Natürlich war es nicht immer einfach. Wenn ich allein dran denke, wie viele Flugmeilen in unserer Beziehung stecken! Wir haben uns nur vier, fünf Mal gesehen, bevor wir beschlossen haben, an unserer Beziehung festzuhalten und unser Leben aneinander auszurichten. Ich bin für Terry von Dubai nach Berlin gezogen - das hätte auch schief gehen können. Ich bin Terrys erste große Liebe, keiner kann mir eine Garantie geben, dass es nicht noch eine zweite oder dritte geben wird. Sie wird zu Ende studieren, einen Beruf ergreifen, sich weiterentwickeln. Natürlich besteht das Risiko, dass sie sich später nach etwas anderem sehnt. Gottseidank bin ich kein Zweifler. Ich mache alles erstmal für immer. Und habe dann keine Angst vor dem, was Entscheidungen nach sich ziehen. Ich denke, von selbst und für immer passt niemand zusammen. Viele Menschen machen es sich zu leicht und gehen, sobald es reibt oder kompliziert wird. Ich glaube, die Gleichung für Liebe ist: Richtiger Mensch zur richtigen Zeit. Aber dann auch an ihm festhalten. In dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ sagt die Heldin einen sehr klugen Satz, der zu meiner Maxime wurde. „Das Glück ist wie die Tour de France. Man wartet so lange und dann rast es vorbei.“ Ich wollte mein Glück nicht vorbeirasen lassen.

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