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Liebespaare: Megan, Chris und die fünf Meter Luftlinie
Megan, 21. Studiert Soziologie und Politikwissenschaften am Centenary College, New Jersey, USA. Zusammen mit Chris seit neun Monaten. Chris stand schon seit einer Stunde allein vor dem Haus, in dem die Sportlerparty stieg. Er telefonierte nicht, er rauchte nicht. Er stand einfach nur da. Ich saß auf dem Sofa zwischen Kiffern und halb leeren Partypizzakartons und schaute ihm durchs Fenster dabei zu. Angeblich habe ich schon auf der Halloweenparty mit ihm getanzt. Angeblich hätten wir uns sogar fast geküsst. Das alles wusste ich nur aus Erzählungen meiner Freundinnen, ich selbst erinnerte mich alkoholbedingt an nichts, weder an die Party noch an Chris. Schade eigentlich. Er sah gut aus, hatte einen Haufen Muskeln und spielte Baseball in der Unimannschaft – niemand also, den man am nächsten Morgen heimlich durch die Wohnheimflure schleusen muss. Im Gegenteil. Ich konnte beim besten Willen nicht mehr rekonstruieren, warum wir damals nicht rumgemacht hatten. Jetzt war es vermutlich zu spät, er wusste bestimmt nicht mehr wer ich war. Halloween war zwei Wochen her, außerdem war ich damals als Räuber verkleidet gewesen - mit schwarzem Ganzkörperkostüm und Gesichtsstrumpf.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Eine halbe Stunde später hing Chris immer noch allein noch vor dem Haus rum und ich beschloss die Gelegenheit zu ergreifen, bevor mein Schnapsmut verflog. „Warum stehst du ganz allein im Dunkeln rum, wie ein Perverser?“ fragte ich ihn. Nicht mein bester Abschleppspruch, zumal ja eigentlich ich die Seltsame war, die ihm anderthalb Stunden lang beim Stehen zugeguckt hat. Chris sprang trotzdem darauf an. Ich war ganz erstaunt, dass er noch wusste, wer ich bin. Und dass er so ein netter Kerl war. Collegesportler haben es eigentlich selten nötig, besonders freundlich zu Mädchen zu sein. Als das Bier alle war, wollten meine Freunde zurück zum Campus fahren. Chris‘ Fahrer war schon weg und ich schlug vor, ihn mitzunehmen. Auch wenn die Konsequenz war, dass wir uns zu acht in einem Fünfsitzer stapeln mussten. Ich lag quer über vier Kerlen auf der Rückbank, mit meinem Kopf auf Chris‘ Schoß, was alle anderen im Auto irre witzig fanden. Aber dann hat seine riesige Pranke nach meiner Hand gegriffen und es hat die Enge und alle die dummen Sprüche wett gemacht. Wir haben uns nicht losgelassen, bis das Auto uns vor meinem Wohnheim ausspuckte. Ich habe ihn nicht rein gebeten, mit der Begründung, dass meine Mitbewohnerin da war. Was natürlich Quatsch war: Ich hätte das Mädchen, mit der ich mein Zimmer teile, problemlos ins Sexil schicken können. Wir wohnen schon seit zwei Jahren zusammen und sind in solchen Sachen ein eingespieltes Team. Chris abzuschleppen schien in dem Moment aber irgendwie nicht angebracht. Außerdem wollte ich ein bisschen mit ihm spielen. Gucken, ob er trotzdem dran bleibt. Und ganz außerdem hatte ich einen Freund. Aber der war eigentlich der kleinste Faktor. Ich war zu dem Zeitpunkt eh nicht mehr wirklich an ihm interessiert. Das größte Hindernis war Chris‘ Alter. Wie sich rausgestellt hat, war er ein Freshman, sprich: in seinem ersten College-Jahr. In der Altersklasse also, um die sich alle Collegefilme drehen - und der wir zu verdanken haben, dass alle Europäer glauben, wir würden die ganze Zeit Trichtersaufen machen und unsere Dödel in Apfelkuchen stecken. Die Freshmen sind in der Tat ein Haufen verwirrter Teenager - zum ersten Mal ohne elterliche Aufsicht, freiheitsbesoffen und nervig. Nicht, dass ich früher anders gewesen bin. Aber sobald man in höhere Semester kommt, will man nichts mehr mit den Frischlingen zu tun haben. Und schon gar nicht mit ihnen zusammen sein. Konstellation Freshman-Mädchen mit Senior-Junge, das geht vielleicht noch. Andersrum ist ein Unding. Außerdem sind die Minderjährigen ein Klotz am Bein: In Clubs und Bars müssen sie draußen bleiben und bietest du ihnen ein Budweiser an, bist du gleich ein Verbrecher. Kurz gesagt: Mit ihnen abzuhängen ist anstrengend. Aber dann hat Chris so viel Geduld und Reife an den Tag gelegt, wie kaum ein älterer Kerl. Drei Monate lang habe ich ihn hingehalten, mit ihm gekuschelt, geknutscht - und ihn dann wieder nach Hause geschickt. Und er ist immer anstandslos gegangen. Als ich mir beim Lacrosse-Training die Schulter ausgekugelt habe, und kurz darauf auch noch aus dem Doppelstockbett in meinem Zimmer gestürzt bin, hat er mich umsorgt wie eine Krankenschwester. Anstatt feiern zu gehen, hat Chris Abend um Abend mein Gejaule angehört und mich unzählige Male in dieses verfluchte Bett gehievt. Von da an durfte er mir dort Gesellschaft leisten. Auch wenn er minderjährig war, ein Aufreißer und ein Freshman. Was soll’s, habe ich gedacht. Einen, der sich so um dich sorgt, findest du nicht wieder. Und wann war Liebe schon unanstrengend? Auf der nächsten Seite erzählt Chris von dem zähen Kampf um fünf Meter.
Chris, 19, studiert Strafjustiz am Centenary College, New Jersey, USA. Plötzlich stand sie vor mir, die Rothaarige von der Halloweenparty und ich versuchte meine Gesichtszüge so anzuordnen, dass sie nach einem freundlichen Lächeln aussehen. Ich fürchte, meine Visage hing trotzdem schief. Innerlich habe ich mich wirklich sehr gefreut, nur meine Mimik wollte nicht dorthin, wo ich sie haben wollte. Ich war zu dreiviertel voll - die mieseste aller Trunkenheitsstadien, in der man noch wahrnimmt, wie betrunken man ist, aber der Körper nicht mehr darauf hört, was der Kopf ihm sagt. Und nach dem nächsten Bier greift. Ich habe mich also an die frische Luft und weg vom Alkohol befördert, zu eigenen Sicherheit. Ich glaube, ich stand ziemlich lang draußen. Zumindest war ich soweit ausgenüchtert, um auf die Sätze des Mädchens zu reagieren. Wir kannten uns vor der Halloweenparty. Ich war als Guido verkleidet gewesen, mit Pomade im Haar und Goldklunkern. Sie war eine Art schwarze Superheldin mit einer komischen Socke im Gesicht, mit ganz vielen Haaren drum rum. Ich bin an diesem Abend mit einer anderen nach Hause gegangen, habe aber von da an öfter Ausschau nach Megan gehalten - was nicht schwer war, wegen der roten Mähne und der Sommersprossen. Irgendjemand aus ihrem Lacrosse-Team hat mir dann gesteckt, dass sie vergeben war. Danach habe ich mich nicht weiter mit ihr befasst. Ist ja nicht so, dass ich sonst nicht genug Auswahl hätte. Auf dem Rückweg von der Sportlerparty, im Auto, hat Meg nach meiner Hand gegriffen. Obwohl ich am anderen Ende des Campus wohne, stieg ich mit ihr aus, weil ich annahm, dass es jetzt irgendwie weiter geht. Meg hat mich aber abblitzen lassen. Angeblich schlafe ihre Nachbarin schon. So ein Blödsinn! Sie hat mich nicht einmal zum Abschied geküsst. Die Abfuhr hat mich aber irgendwie angespornt. Auch wenn ich danach noch eine halbe Stunde lang im Dunkeln zu meinem Wohnheim stiefeln musste. Gleich am nächsten Morgen habe ich Meg eine SMS geschrieben. Ob sie sich an mich erinnert und dass ich sie irgendwie süß finde. Sie hat mich daraufhin zum Fernsehen eingeladen. Da habe ich mich aber wieder zu früh gefreut. Mit Fernsehen hat sie tatsächlich Fernsehen gemeint. Sogar ihre Mitbewohnerin saß mit auf der Couch. Zwischen dem Fernsehsofa und Megs Hochbett liegen nur fünf Meter Luftlinie, aber der Weg dorthin hat drei Monate gedauert. Drei Monate! Ich dachte, ich implodier. Jeden Abend guckten wir zu dritt Schrott bis fünf Uhr morgens, Meg und ich tätschelten ein bisschen aneinander rum und dann lief ich halb frustriert, halb beflügelt zu meinem Wohnheim. Und stand eine Stunde später wieder auf, um meine Sozialstunden abzuarbeiten. Ich war zuvor mit einem Bier erwischt worden, und da ich noch nicht 21 bin, musste ich als Strafe jeden Morgen den Müll aus allen Campusgebäuden entsorgen. Und außerdem Suchtpräventions-Unterricht besuchen. Eigentlich habe ich nie vorgehabt, in meinem Freshman-Jahr eine Freundin zu haben. Die ersten Semester sind dazu da, um sich auszuprobieren. Da drücken noch alle ein Auge zu. Du kannst dich bis zur Besinnungslosigkeit trinken. Du kannst pöbeln. Du musst nicht nett zu Frauen sein. Wenn du Freshman bist, hast du quasi eine Lizenz, sich daneben zu benehmen. Seit ich Meg kenne, habe ich irgendwie nicht das Bedürfnis von ihr Gebrauch zu machen. Nennt mich Weichei, aber Meg hat mich irgendwie gezähmt.
Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König