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Liebespaare: Laura, Chris und die rätselhaften Alpakas
Laura, 22, studiert Politikwissenschaften in Berlin. Sie ist seit drei Monaten mit Christian zusammen. Wären wir bei der MTV-Sendung Roomraiders gewesen, wäre Chris ziemlich sicher durchgefallen. Ähnlich wie in der Show, habe ich sein Zimmer lange vor ihm kennengelernt – und nicht für gut befunden. Chris war für zwei Semester im Ausland, stattdessen wohnte in der Wohnung sein bester Freund Martin, den ich aus einem Seminar kannte. Als ich ihn zum ersten Mal zu Hause besuchte, fühlte ich mich eher wie in einem IKEA-Katalog als in einer Jungs-Wohnung. Es gab keine Geschmacklosigkeiten, keine peinlichen Poster oder Flecken, aber auch nichts, woran das Auge haften blieb. Eine Musterwohnung. Als würde in diesem Raum ein Mensch hausen, dessen Leben daraus besteht, Fehler zu vermeiden. Es gab nur einen Fauxpas, einen ganz furchtbaren: Eine Flasche Selbstbräuner. Martin und ich haben dann gewettet, ob die tatsächlich Chris gehört und ihn angerufen. Er stritt alles ab - na klar.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Bei Martins Umzugsparty ein paar Monate später lernte ich dann den Besitzer der Wohnung kennen. Er war verdächtig gut gebräunt und tatsächlich ein bisschen wie sein Zimmer: einen Tick zu makellos. Chris sah zu gut aus, als dass man ihn schön hätte nennen können. Letzteres heißt für mich, dass Gesichtszüge zusammengewürfelt sind, die an sich unperfekt sind, in der Anordnung aber zumindest interessant. Chris hingegen sah auch in echt irgendwie gephotoshopped aus, mit korrigiertem Hauttonwert und einer Frisur, die nie lochte oder strähnte und wirklich nie ihren Urzustand verließ. Zum Gähnen schön. Wir versuchten Smalltalk zu führen, aber das war ganz ungelenk, wie es immer so ist, wenn man enge Freunde von engen Freunden kennenlernt. Man weiß durch den Dritten alles übereinander, traut sich aber nicht recht, die Information zu verwenden und kratzt dann an der Oberfläche entlang. Außerdem baggerte er gerade ein passend perfektes weibliches Gegenstück an. Ich habe ein paar garstige Gedanken gedacht, mich dann gleich dafür geschämt und vermutlich deswegen nicht weiter mit ihm befasst. Vielleicht wollte ich mir aber einfach selbst nicht eingestehen, dass ich doch ein bisschen geschwärmt habe. Nach der Party sahen wir uns dann noch ab und zu an der Uni, sagten hallo und das war‘s. Das erste Mal, dass ich mich ernsthaft um Konversation bemühte, war halb Not, halb Vorwand. Ich musste dringend in die Unibibliothek, durfte aber nicht rein, ohne mein Zeug einzuschließen. Wie immer waren alle Schließfächer belegt, außer denen in der obersten Reihe. An die kam ich aber nicht heran, außer hüpfend oder mit fremder Hilfe – beides eine ganz entwürdigende Angelegenheit. Mit krachend schlechter Laune stampfte ich aus der Bibliothek und sah davor Chris mit Handy am Ohr. Er war groß. Und hatte außerdem Martin an der Strippe. Wir haben zu dritt telefoniert und dann beschlossen, zu zweit Kaffee trinken zu gehen. Schließfächer und schlechte Laune habe ich bald vergessen und auch schnell festgestellt, dass mein Urteil zu voreilig war. Chris war nicht langweilig fehlerlos, er war einfach nur jemand, der alles richtig machen wollte. Ich hatte mir aus äußeren Hinweisen ein ganz falsches Bild zusammengepuzzelt. Chris war nicht der unangreifbare Schönling, sondern sogar richtig von mir verunsichert. Jedes Mal wenn ich versuchte, ihm in die Augen zu gucken, schaute er weg und lächelte dann ganz entschuldigend. Es war ein ganz tolles Lächeln, ein Lächeln, das der bis dato glatten Gedankenvorlage Leben einhauchte. Und er lächelte oft. Ein paar Tage später hat Chris gefragt, ob wir nicht Babyalpakas im Zoo angucken wollen. Ich hatte keine Ahnung, was Alpakas waren (vielleicht eine Art Hund?), tat aber ganz begeistert. Ich war ja schon ein bisschen verknallt. Wir haben dann einen Tag im Zoo verbracht, wobei ich die Alpaka-Thematik gekonnt umschiffte. Vielleicht haben wir sie gesehen, vielleicht auch nicht – eigentlich waren sie mir wurst. Aber das konnte ich ja kaum zugeben. Erst in der U-Bahn nach Hause habe ich mich getraut, meine Unwissenheit zu entblößen. Chris gab daraufhin zu, ebenso keine Ahnung zu haben. Wir haben dann die Alpakas aufgemalt, jeder so, wie er sie vorstellt, und gewettet, wessen Version am nächsten ran kommt. Mein Hund hat gewonnen. Ich weiß nicht mehr genau, was der Einsatz war, irgendwas mit DVDs und Eis - es ging primär darum, zu zweit in vier geschlossenen Wänden zu sein. Ein paar Tage später habe ich den Wetteinsatz eingefordert. Und seitdem übernachte ich oft in dem viel zu aufgeräumten Zimmer. Und mache morgens Unordnung. P.S.: Ein Alpaka ist ein südamerikanisches Wollkamel. Auf der nächste Seite erzählt Christian seine Version der Liebesgeschichte
Christian, 24, studiert Politikwissenschaften in Berlin. Die Geschichte von Laura und mir ist eine Geschichte von vielen „ich-hab-mir-nichts-dabei-gedacht“-Situationen und ein paar Wetten. Und es ist eine Geschichte, die stückchenweise passierte. Lauras Stimme kannte ich zum Beispiel schon viele Monate, bevor ich dem Klang ein Bild zuordnen konnte; das Bild kannte ich wiederum lange, bevor sie mir in echt gegenüber stand. Aber der Reihe nach. Es muss im Frühjahr 2008 gewesen sein, ich war für zwei Semester in Madrid und hatte mein WG-Zimmer meinem besten Freund Martin vermietet. Mein Mitbewohner weilte zur gleichen Zeit in Paris, seine Bräunungscreme seltsamerweise in meinem Regal. Ich lief also durch Madrid, das Handy klingelte, Martins Nummer, aber eine unbekannte Mädchenstimme. „Ist das deine Bräunungscreme?“, fragte die Stimme lachend, Martin gluckste im Hintergrund. Es ging wohl um eine Wette. Ich verneinte; die Anruferin verlor. Zurück in Berlin, es war mittlerweile Winter, feierte Martin seinen Umzug in die eigenen vier Wände. Laura, das Telefonmädchen, sollte kommen, viele andere Freunde und Freundinnen sollten kommen, ich war Single, seit ein paar Wochen erst, das erste Mal seit über zwei Jahren. Als Laura kam - zu spät, wie immer, aber damit, ebenfalls wie immer, der Hingucker der Party - war ich weder beeindruckt noch unbeeindruckt. Martin hatte mir schon Fotos gezeigt, ihr Äußeres war also keine Überraschung. Überraschend war die Synchronisierung von Bild und Ton. Lauras Stimme, die ich bereits kannte, passte nicht ganz zu ihrer zierlich kleinen Gestalt. Ein Widerspruch, der mich eigentlich gefesselt hätte – wäre ich nicht gerade in ein Gespräch mit einer anderen Dame vertieft. Der Smalltalk blieb Smalltalk und Laura blieb die Freundin eines guten Freundes, mehr nicht. Es war im Mai, als sich das änderte. Und es war Schicksal, davon bin ich als schicksalsgläubiger Mensch überzeugt. Ich schlenderte in Richtung Bibliothek, wo noch ein paar Texte auf mich warteten. Auf dem Weg rief mich Martin an. Ich blieb stehen, wir telefonierten, ich sah mich um, Laura kam auf mich zu. Sie lächelte. Die Texte blieben, wo sie waren, wir gingen Kaffee trinken, Mensa-Kaffee aus Mensa-Bechern. Laura war anders als ein halbes Jahr davor, ich kann nicht sagen, weshalb, aber sie sah mich anders an. Auch das Gespräch war kein Smalltalk mehr und auch tiefer, als man es von einem ersten gemeinsamen Kaffee erwarten würde. Ich war fasziniert. Laura hatte ganz anziehende Augen, Augen wie ein Sumpf: Schaut man zu lang rein - wird man eingesogen. Ich guckte kaum hin und trotzdem: Je länger wir da saßen, desto mehr versank ich. Einige Tage später habe ich Laura in den Zoo eingeladen. Junge Alpakas hatte ich versprochen und doch bekamen wir den ganzen Tag keine zu sehen. Auf dem Rückweg haben wir gewettet, wer das unbekannte Tier besser zeichnen kann; Laura gewann. Der Wetteinsatz ließ mich die Niederlage verschmerzen: Am folgenden Wochenende kam Laura zu mir nach Hause, zum ersten Mal als mein Gast. Diesmal habe ich mir, zugegeben, schon etwas gedacht. Meine Mitbewohner hatten auch ganz wissend gefeixt, als ich ihnen erzählte, wer mit einigen Scrubs-Staffeln vorbei kommen würde – umsonst. Es flimmerten zwei oder drei Episoden über den Bildschirm, bis Laura… einschlief. Sie hat die Nacht ziemlich dreist untätig in meinem Bett verbracht. Ich habe kaum schlafen können in dieser Nacht, sie umso besser. Aber eigentlich war es gar nicht so schlimm. Ziemlich schön sogar. Und ein paar Tage später war die stückchenweise Geschichte endlich komplett.
Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König