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Liebespaare: Anna-Lena, Korbinian und die WG-Anzeige
Anna-Lena, Berlin, 22, studiert Modejournalimus „SEX SEX SEX“ stand in der Überschrift der Wohnungsanzeige. Aber auch „Zimmer für 300 € in der Innenstadt“. Und dieses Zimmer brauchte ich ganz dringend. Verzweifelt über die Münchner Wohnsituation, war ich sogar bereit, zu übersehen, dass der Vermieter Korbinian-Ludwig hieß. Ihn zu stalken konnte ich aber nicht lassen - der Vornahme war ja quasi eine Einladung dazu. Nach umfassenden Spionagemaßnahmen bei Studi-VZ, Google und Lokalisten kam ich recht schnell zu der Überzeugung, dass der potentielle Mitbewohner der unerträglichste Klischeemünchner seit Stefan Effenberg war. Auch ein Hang zum Proletentum war nicht zu übersehen: Hochgesteller Polokragen - check. Gel in den Haaren - check. Blond, braungebrannt, selbstgefälliges Grinsen - check. Und auf jedem Bild eine andere "Germanys Next Topmodel"-Kandidatin. Puh. Die Verzweiflung siegte dennoch, ich rief ihn an. Wie gedacht: Ein Idiot, aber kein so Riesenidiot, wie vorher vermutet. Und eine erotische Stimme hatte er auch. In den nächsten Wochen schrieben wir eifrig hin und her und ließen keine Gelegenheit aus, uns wegen entscheidender Nichtigkeiten anzurufen. Jedes Telefonat kurbelte das Kopfkino an und binnen weniger Wochen mutierte mein Mitbewohner in spe vom Ekel zum Antwort auf alle meine Sehnsüchte.
„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.
Nach wochenlanger Konstruktion von potentiellen Haus-Kind-Sonnenuntergang-über-Starnberger-See-Konstellationen war das erste Treffen eher ernüchternd. Gehemmt, nervös, unsicher stand ich vor der Tür und auch er war – gehemmt, nervös, unsicher. Nur eben nicht auf die uncoole Berliner Art, sondern München-Style. Das sieht dann aus wie: arrogant, desinteressiert, genervt. Auch die Wohnung war gewöhnungsbedürftig: Die Dusche war in der Küche, der Klo auf dem Gang und an der Wand stand in großen Lettern: „Pisi Kaka Scheide Pfurz“. Auf dem Sofa in der Küche, erzählte Korbinian, ist die alte Vormieterin gestorben. Nachdem die Phantasie von der großen Zukunft mit Kind dem rauen Männer-WG-Alltag weichen musste, war es Zeit für Plan B: Bier kaufen, zusammen sitzen, eine Unterhaltung aus Grummellauten führen - wie das echte Männer eben so machen. Und Berliner Mädchen auch ganz gut raus haben. Damit war das Eis endlich am Tauen. Am nächsten Tag guckten wir DVDs auf der Tote-Oma-Couch, ganz unschuldig. Später zogen wir – natürlich ausschließlich aus Komfortgründen – in Korbinians Riesenbett um. Dort verbrachten wir Woche für Woche jede Nacht ohne dass irgendetwas Nennenswertes geschah. Wir besprachen das Tagesgeschehen, Ex-Beziehungstraumata, die neuesten Entwicklungen beim Bullen von Tölz. Mit der Zeit wurden glühende Liebesgeständnisse auf den Tisch gepackt. Korbinian verkündete, dass wir sowieso irgendwann heiraten werden, ich zierte mich aber noch. Vollzogen wurde die Ehepflicht übrigens sehr viel später. Wer zuerst die Initiative ergriffen hat - daran scheiden sich bis heute die Geister. Meine Version: Korbinian war‘s. Beziehungsweise sein Alter Ego, der Partytransvestit. Es war Fasching. Ich hütete das Bett, Korbinian war unterwegs. Gegen frühen Morgen fiel er auf mich drauf, betrunken und ausgestattet mit blonder Frauenperücke, bauchfreien Top und Kajal. Dann haben wir geknutscht, der Transvestit und ich. Im Hintergrund lief bizarrerweise Wagners "Tannhäuser". So nahm unsere Liebelei ihren Lauf. Dabei nahm der wunderbare Korbinian jedes Spielchen und jede Verkomplizierung meinerseits gelassen hin und bewies vor allen Dingen eins: Dass er nicht der bekloppte Hallodri war, für den ich ihn gehalten hatte. Nachdem ich schweren Herzens wieder nach Berlin zurückgezogen war, stand er nach drei Wochen vor meiner Tür. Er hatte zufälligerweise einen Studienplatz im verhassten Berlin bekommen. Und jetzt hab ich ihn eben hier: Den besten, klischeehaftesten Münchner. Meinen Korbinian-Ludwig eben. Auf der nächsten Seite erzählt Neu-Berliner Korbinian seine Version
Korbinian-Ludwig, München/Berlin, Alter: 23 studiert Musiktherapie. Die erste, die auf meine Anzeige anrief, war eine schüchterne Asiatin. Sie war okay, aber dann haben ihre Eltern verboten, mit einem Mann zusammenzuziehen. Eine neue Zwischenmieterin musste trotzdem schnell her, weil meine Mitbewohnerin ein Praktikum in Hamburg machte. Die erhoffte Flut an Bewerbern blieb aber aus, trotz meiner, wie ich fand, sehr einprägsamer Überschrift. Nach einigen Absagen, halben Zu- und dann doch wieder Absagen kam Anna-Lenas Anfrage, in der sie gleich ankündigte, wie eine schwäbische Hausfrau kochen zu können. Ich mochte auf Anhieb ihre unkomplizierte, kecke Art – auch wenn sie mir mit dem üblichen „In Berlin kann man viel besser feiern gehen und München ist ein Dorf“-Schmarrn kam. In den folgenden Wochen ertappte ich mich dabei, dass ich jeden noch so fadenscheinigen Vorwand, sie anzurufen, wie einen Strohhalm ergriff. „Ich habe übrigens keinen Wasserkocher“, so fingen meine E-Mails an. Durchschaubar? Vielleicht. Aber ich habe schon damals geahnt, dass wir mehr teilen könnten, als ein Dach über dem Kopf. Als es nach ein paar Wochen an meiner Haustür klingelte, eilte ich hoch erwartungsvoll zur Tür. Da stand sie nun, die Anna-Lena, bekleidet mit der schwarzen Jeans, die ich bis heute nicht leiden kann, und mit dem blauen Hemd, das ich ebenfalls bis heute nicht ausstehen kann (und schon gar nicht in Kombination mit der schwarzen Jeans). Sie war sehr höflich, viel zu höflich, fast verkrampft. Sagte nie, was sie will, oder wenn sie etwas störte. Fragte ständig um Erlaubnis, bevor sie etwas in der Wohnung machte. Und ich fragte mich langsam: Was ist mit dem lockeren Mädchen aus den E-Mails passiert? Ich war gelegentlich schon richtig grantig, weil sie immer so freundlich war. Die Lösung für das Problem war banal wie genial: Bier. Nach fünf Tagen beschloss ich, mich mit der Anna-Lena zu betrinken, um ein bisserl die Spannung raus zu nehmen. Sie hat wohl meine Gedanken gelesen. Als ich heim kam, hatte sie gekocht und Bier gekauft. Das war wohl der Anfang meiner Verliebtheit. Einige Flaschen später war die Anspannung gelöst und wir verstanden uns prächtig. Das blieb auch erstaunlicherweise die nächsten Tage so, auch ganz ohne Bier. Ein paar Tage später beschloss ich, mich mit meinem Cousin in der Absteige gegenüber (Ausstellungspark, Schwanthalerstraße 185, nur zu empfehlen!) zu betrinken und nahmen Anna-Lena mit. Wenn ich da nicht sowieso schon verliebt in sie war, dann ist das an diesem Abend endgültig passiert. Nicht nur, das wir eine mords Gaudi hatten, sie hat auch noch meinen Cousin unter den Tisch getrunken. Das war großartig! Die nächsten Wochen schliefen wir fast immer in einem Bett, aber es passierte nie etwas. Bis zu jener Faschingsnacht, als ich von einer recht angetrunkenen Anna-Lena geweckt wurde, die knutschen wollte und es mir deutlich kommunizierte indem sie einfach damit anfing. Ich machte nicht mit. Mir war die ganze Geschichte viel zu wertvoll, um sie als einen alkoholisierten Zwischenfall beginnen zu lassen. In der nächsten Nacht waren alle guten Vorsätze dahin. Ich kam vom Biedersteiner Kellerfasching. Ich wollte knutschen. Weil Anna-Lena offensichtlich auch nichts dagegen hatte und es sich auch richtig und gut anfühlte, taten wir dies von nun an öfter. Und so ist aus meiner Mitbewohnerin mein Gspusi geworden und aus meinem Gspusi dann wenig später meine Freundin. Und da mein Studium in München eh a bisserl fad war, verließ ich die geliebte Heimat und zog zur Anna-Lena nach Berlin. Und da wohn ich heute noch.
Text: wlada-kolosowa - Illustration: Katharina König