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Wie Tinder und ferngesteuerte Vibratoren unsere Liebe verändern

Illustration: Federico Delfrati

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Laut herauslieben – „Love out loud!“ Das Motto der diesjährigen re:publica klang nach Liebesschwüren und Lustschreien. Am Stand des Sextoy-Startups Amorelie surrten vernetzte Vibratoren, auf den Bühnen sprachen Speaker über „Safer Digital Sex“, und viele Besucher fragten sich: Was macht denn nun das Netz mit der Liebe? Und dem Sex? Und dem sahnigen Dazwischen?

Für die meisten war klar: Es macht einiges. Tinder, Sex-Tech und Virtual Reality beeinflussen unser „Intimleben massiv“, wie der RBB die Erkenntnis der dreitägigen Konferenz zusammenfasste. Aber: Ich glaube das alles nicht. Ich glaube, wir überschätzen den Einfluss von Technologie auf die Liebe maßlos. 

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Sieht so die ultimative Sex-Maschine der Zukunft aus?

Illustration: Federico Delfrati

I. Die Liebe in Zeiten der Pornographie

Vor gut 15 Jahren startete Youporn. Spätestens seitdem gibt es im Netz unendlich viel schönen und hässlichen Schweinkram. Schon Teenager kommen einfach an virtuelle Deep Throatings und Gangbangs. Von zart bis hart, von Missionarsstellung bis Foltersex. Wächst also eine verrohte, hypersexualisierte Kohorte von Pornojunkies heran? 

Die „Generation Porno", von der man annahm, dass sie Sex früh und oft und gierig auslebt, gab sich in der Studie „Jugendsexualität 2015. Die Perspektive der 14- bis 25-Jährigen" eher zugeknöpft. Das Durchschnittsalter des ersten Mals deutscher Jugendlicher stagniert schon seit den 90ern bei 16 Jahren. Die ersten Erfahrungen sind meistens sogenanntes „Petting", also langsames Herantasten an den harten Stoff. Von Orgien in Klassenzimmern ist nichts bekannt. "Annahmen, wonach immer mehr junge Menschen immer früher sexuell aktiv werden, bestätigen sich nicht", betont Dr. Heidrun Thaiss, Leiterin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Das Fazit der Forscher: Der Mensch kann sehr gut zwischen echtem Sex und der künstlichen Pornowelt unterscheiden. „Positiv ist auch zu sehen, dass eine feste Partnerschaft jungen Menschen beim 'ersten Mal' wichtig ist“, so Dr. Thais weiter. Das Fehlen des oder der „Richtigen" ist unabhängig von Geschlecht und Herkunft der Hauptgrund für Zurückhaltung. Obwohl sie sich nicht verpflichtet fühlen, warten junge Menschen mit dem Sex gerne. Und haben ihn mit ihrer ersten großen Liebe. So wie ihre Eltern und Großeltern.

Natürlich sollten Kinder keinen Hardcore-Sex sehen. Genau so wenig wie Gewalt oder andere extreme Darstellungen, die sie noch nicht einordnen können. Und natürlich gibt es leider eine kleine Minderheit, die süchtig wird nach dem inflationär verfügbaren Reiz. Manche von ihnen nennen sich dann „Nofapper“ und schwören in youtube-Videos ihre Abstinenz. Aber auf der gesellschaftlichen Skala haben Pornos, nach heutigem Stand der Forschung, keinen „massiven" Einfluss auf unsere Sexualität. Ob VR-Brillen das entscheidend ändern? Es wäre das erste Mal in unserer Geschichte, dass wir Fiktion mit Realität verwechseln.

Auch Netzwerke wie Facebook oder WhatsApp oder gar Snapchat, bei dem Nachrichten sofort wieder gelöscht werden, verführen die Jugendlichen nicht zu kollektiven Peepshows, genannt „Sexting". Natürlich testen junge Menschen ihre Grenzen, zumal im Sexuellen. Natürlich machen sie Fehler. Und natürlich ist Datenschutz umso sensibler, wenn Kondome die Daten sammeln. Aber der Mensch bleibt dabei ein vorsichtiges, schamhaftes Tier. Er wird nicht durch eine App plötzlich zum exhibitionistischen Sexmonster. 

II. Ein Sündenbock aus Zunder

Dating-Seiten gibt es nunmehr seit zwanzig Jahren. Aber spätestens mit Tinder meinten viele Technikskeptiker so etwas wie den "Ego-Shooter“ der Liebe erkannt zu haben. Der uns zu schlechteren Menschen macht. Kurze Beziehungen, belangloser Sex, Fremdgehen? Tinder ist schuld. Schon der Name „Tinder“ – zu deutsch Zunder – steht symbolisch für alles, was in dieser kalten, hyperaktiven Postmoderne schief läuft in der Liebe. Regelrecht peinlich ist uns die Nutzung. So berichtet ein Reporter des „Tagesspiegel“ ausgerechnet von einem Besuch des Organisations-Teams der re:publica, dass auf die erste Frage, wer schon einmal getindert habe, nur ein Finger hochging. Als er Ehrlichkeit anmahnte, waren es plötzlich sieben. Obwohl die App Menschen nicht entzweien, sondern zusammenbringen soll. Warum ist Tinder der Sündenbock?

 

Man kennt das: Wenn irgendwo jemand unerwünschtes oder nur von der Norm abweichendes Verhalten zeigt, ist die Technik schuld. Nicht der Mensch, die Gesellschaft, die Umwelt oder gar die eigene Perspektive, die etwas für abnormal hält. Oder das Gegenteil tritt ein: Die Technik wird vergöttlicht. Weil sie einen neuen Menschen erschafft. So trauen die Autoren des Buches "10000 Jahre Sex" Tinder gleich eine "Neuerfindung der Romantik" zu. Was natürlich Quatsch ist.

 

Denn egal ob Tinder oder Kontaktanzeige in der Zeitung, letztlich ist es der gleiche Pool an Kandidaten, aus dem wir auswählen. Einer oder eine wird passen. Diesen Menschen gilt es zu finden. Der Weg dorthin ist völlig egal. „Dabei wird uns vermittelt, das einzige Problem sei, die richtige Person zu finden. Alles andere regele sich wie von selbst", sagt der Philosoph Alain de Botton. Und wir glauben diese Heilsversprechen. Weil sie zutiefst romantisch sind. Und dieser romantischen Idee von Liebe liefen wir schon hinterher, als die heißesten Sex-Medien noch anzügliche Kupferstiche waren.  

III. Wir sind keine Maschinen. Nicht mal im Bett.

 

„Ferngesteuerte Vibratoren?“, fragt eine junge Frau am re:publica -Stand von Amorelie spöttisch, und stellt einen summenden grünen Gummi-Penis zurück ins Regal, „wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mir längst eine Fernbeziehung angeschafft.“ Sie trifft die Kausalitätenverwirrung damit auf den Kopf: Der Mensch braucht Technik, die sein Verhalten unterstützt. Und keine, die sein Verhalten ändert. „Veränderung passiert nicht, wenn die Menschen neue Technologie nutzen“, sagt der Netz-Theoretiker Clay Shirky, „sondern wenn die Menschen neues Verhalten üben.“ Technologie kann dabei helfen. Mehr nicht.

 

Die Antibabypille etwa ist ein seltenes Beispiel für eine Erfindung, die eine gesellschaftliche Veränderung entscheidend ermöglicht hat. Doch wenn das Bedürfnis nach Empfängnisverhütung – also Sex ohne Kinder zu machen – nicht schon sehr stark gewesen wäre, immer, in vielen Menschen, hätte dann irgendjemand an einer Pille dafür geforscht? Hätte sie jemand genommen, bei allen Nebenwirkungen? Hätte man darüber gesprochen? Oder anders gefragt: hatte man ohne sie gar keinen Sex?

 

Technologie ist keine Einbahnstraße im Sinne von: Technik beeinflusst Menschen. Sondern immer wechselseitig beeinflusst: Mensch schafft Technik, die ihn beeinflusst, weitere Technik zu schaffen, die nicht funktioniert, woraufhin er andere schafft, die ihn ein wenig beeinflusst, usw. usf.. Technik fällt nicht vom Himmel. Sondern entsteht immer aus vorhergehender Technik plus Erfindergeist mal unsere Wünsche minus unsere beschränkte Phantasie bei der Nutzung.

 

Vibratoren beleben den Sex. Tinder und Parship erleichtern die Partnersuche. Sei es für Sado-Sex, Liebesheirat oder einen entspannten Lebensabend in der Toskana. Aber sie verändern unsere Bedürfnisse nicht. Ein ferngesteuerter Vibrator macht aus uns keine Stubenhocker. Tinder macht aus uns keine sexsüchtigen kaltherzigen Narzissten, genau so wenig wie das Auto aus uns temposüchtige entwurzelte Nomaden gemacht hat. Kein Algorithmus, keine Benutzeroberfläche, kein Bit kann uns einfach so umpolen wie eine Maschine. Nichts, nicht einmal die angebliche unendliche Verfügbarkeit von Sex-Partnern bei Tinder, kann uns Menschen zu etwas anderem machen, als wir sind: Nähebedürftig. Unsicher. Liebende Affen eben. Und die brauchen kein Spielzeug. 

IV. "Bin ich der einzige? Nein!"

 

Auf der Webseite der Sadomasochistischen Jugendgruppe e. V. München steht ein Zitat: „Die Antwort auf die Frage „Bin ich der einzige?“ lautet grundsätzlich: nein."

 

Das ist das größte Potenzial der Technologie: Aufklärung. Entstigmatisierung. Solidarisierung. Technisierte Sex-Bildung – bei der Biologielehrer an 3D-Modellen der Klitoris demonstrieren können, was viel zu lange verschwiegen wurde, statt verschämt Kondome über Bananen zu ziehen – kann uns nur offener machen. Vom sexuellen Mainstream geschmähte, die sich in Foren zusammenfinden, werden stärker. Die Heteronormativität, das grundsätzliche Denken in Vater-Mutter-Kind, das Abwerten von anders gestalteter Liebe, hat es schwerer, je bunter der Diskursraum des Netzes wird. Und gleichzeitig können „konservative“ Liebesmodelle bleiben, wie sie sind. Damit erfüllt Technik nur unsere sowieso vorhandenen Wünsche. Sonst würde sie kein Geld verdienen.

 

Aber sie macht damit auch nichts schlechter. Die Digitalisierung führe nur schwer herbei, „was wir uns von einer romantischen Begegnung wirklich erhoffen: von einander bezaubert sein, verhext zu sein, dem anderen und seinem Charisma zu verfallen“, schrieb die israelische Soziologin Eva Illouz 2016 im Spiegel. Und beobachtete eine „Rationalisierung der Romantik“.

 

Kurz darauf wurde der 41jährige Niederländer Alexander Pieter Cirk in Changsha, China, in ein Krankenhaus eingeliefert. Er hatte zehn Tage am Flughafen auf seine Internetliebe Zhang gewartet. 8600 Kilometer war er von Amsterdam zu ihr geflogen. Aber sie war in einer anderen Stadt. Er wartete am Flughafen, ernährte sich nur von Instantnudeln und musste schließlich wegen körperlicher Erschöpfung behandelt werden. Wo war Zhang? Ein Fernsehsender konnte sie schließlich ausfindig machen. Sie habe ein Foto des Flugtickets von Cirk bekommen, allerdings gedacht, es handele sich um einen Scherz, sagte sie. Welcher Mann würde heute noch um die Welt fliegen für eine Frau, wenn man doch per Klick eine neue kennenlernen konnte? Der arme Circa reiste heim nach Amsterdam, ohne Zhang getroffen zu haben – und glaubt noch an ein Happy End: „Ich konnte sie nicht sehen, aber unsere Beziehung ist stärker geworden."

V. Schmetterlinge statt Drohnen!

 

Die Anbahnung von Liebe mag sich verändert haben. Der Rausch der Verliebtheit sicherlich nicht. Er hält nicht länger oder kürzer an, er ist nicht stärker oder schwächer als früher. Doch die Zweifel, die jede, ausnahmslos jede Liebe irgendwann mit sich bringt, prallen nicht mehr auf eine Wand von gesellschaftlichen und ganz banal pragmatischen Zwängen. Zusammenzubleiben, weil es nicht anders geht – das ist vorbei. Heute kann man sich leicht trennen und zumindest in der Theorie leichter denn je jemand neuen finden. Was unser Liebesleben jedoch nicht unnatürlicher oder kaputter macht, sondern wenn, dann nur ehrlicher.

 

Im Umkehrschluss ist keine Liebe weniger wert, weil sie online entstand. Weil man mit vernetzten Vibratoren vielleicht eines Tages tatsächlich die Fernbeziehung erträglicher macht. Weil man SMS sammelt, keine Liebesbriefe. Im Gegenteil: Wer trotzdem zusammenbleibt, hat sich das ganze eher besser überlegt und fühlt tiefer, als jemand, der gar keine andere Wahl sieht.

 

Dort, wo Liebe wirklich ist, bleibt sowieso alles beim Alten. Seit 200.000 Jahren. Die Schmetterlinge im Bauch sind Schmetterlinge, keine Drohnen. Das Herz, nicht das Handy klopft uns bis zum Hals, wenn wir uns verknallen. Wer liebt, dem ist Technik egal.

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