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Mein Freund kommt aus einer reicheren Familie als ich

Illustration: Jessy Asmus

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„Brauchen wir noch Milch?“, frage ich meinen Freund. Wir sind gerade im Supermarkt. „Lass uns lieber noch eine Packung mitnehmen“, antwortet er. Er nimmt nicht die günstige Milch aus dem Kühlregal, sondern greift automatisch nach der teuren. Kommentarlos landet sie in unserem Einkaufswagen. 

Ich beobachte ihn den restlichen Einkauf dabei, wie er durch die Gänge streift und immer nach Lebensmitteln aus den oberen Regalfächern greift. Kein einziges Mal bückt er sich, um etwas aus den „billigen“ unteren Fächern zu nehmen. Am Ende geben wir fast doppelt so viel aus, wie ich sonst für einen ganzen Wocheneinkauf bezahlt hätte. Wobei „wir“ an dieser Stelle falsch ist: Mein Freund zahlt den Einkauf. Ganz selbstverständlich und ohne den Betrag zu thematisieren. Als ich das Nutella in die Einkaufstasche packe, denke ich daran, dass es für mich immer etwas Besonderes war, wenn meine Mutter das „richtige“ Nutella kaufte. Für meinen Freund gibt es nur das „richtige“. 

Wir sind seit einem Jahr zusammen. Über Geld haben wir bisher kaum gesprochen, ist ja auch nicht das erste Thema, wenn man sich toll findet. Ich weiß nicht, wie viel er in seinem Nebenjob verdient oder wie viel ihm seine Eltern überweisen. Warum auch, schließlich scheinen wir auf den ersten Blick gar nicht so unterschiedlich: Wir sind ungefähr gleich alt, studieren und wohnen beide in WGs.  

Aber in unseren Familien gibt es materielle Unterschiede. Seine Mutter arbeitet in der Verwaltung und sein Vater ist Abteilungsleiter in einem Unternehmen. Meine Eltern sind geschieden. Meine Mutter, meine Schwester und ich haben eine Zeit lang von Hartz IV gelebt. Meine Mama hatte mehrere Putzstellen, um uns beide durchzubringen. Und das, unsere Herkunft also, sorgt dann doch dafür, dass mein Freund und ich unterschiedlich sind. Obwohl unsere heutige Lebenssituation sich eigentlich sehr ähnlich ist.

Für meinen Freund ist es normal, dass für wichtige Dinge immer genug Geld da ist

Es gibt bis heute immer wieder Kleinigkeiten, die mir das bewusst machen. Vor einigen Wochen etwa ist sein Handy kaputtgegangen. Für ihn war es selbstverständlich, sofort ein neues zu kaufen. Wenn er irgendwohin möchte, kann er sein eigenes Auto nehmen. Zwar arbeitet er auch neben seinem Studium, ist aber nicht auf das Geld angewiesen, um seine Miete zu bezahlen. Im schlimmsten Fall könnten seine Eltern einspringen. 

Meine Eltern unterstützen mich. Aber ich sehe sofort, worauf sie verzichten, damit ich zum Beispiel studieren kann. Meine Familie war mehrere Jahre nicht im Urlaub, weil das Geld dafür fehlte. Bei ihm ist das anders, mindestens eine Reise im Jahr ist selbstverständlich. Ich bin auf einen Nebenjob angewiesen, um mir mein WG-Zimmer leisten zu können. 

Es ist nicht so, dass mein Freund das Geld ständig überall und wahllos raushaut. Sein neues Handy ist gebraucht, für Kleidung gibt er nur das Nötigste aus und er geht nur selten in Bars. Aber für ihn ist es normal, dass für wichtige Dinge immer sofort genug Geld da ist. Er muss sich nicht mit seiner Familie beraten, wie jetzt schnell genug zusammenkommt, um einen neuen Laptop zu kaufen. Er kauft ihn einfach. Er muss sich auch keine Gedanken machen, ob er ohne seinen Nebenjob weiter seine Miete bezahlen kann. 

Als mein Freund mich am Anfang unserer Beziehung manchmal ins Kino oder zum Essen eingeladen hat, dachte ich noch: „Das macht man halt so.“ Jetzt, nach einigen Monaten, zahlt er immer noch öfter für mich als ich für ihn. Wenn ich mich entschuldige, dass ich den Einkauf gerade nicht bezahlen kann, weil mein Geld knapp ist, antwortet er: „Alles gut.“ Er glaubt mir, dass ich nicht aus bösem Willen oder Geiz weniger ausgebe. Gleichzeitig habe ich nicht das Gefühl, ihn auszunutzen. Ich bestelle ja nicht extra das teuerste Gericht, wenn wir zusammen essen gehen. 

Ich will eigenständig sein und mich nicht von meinem Freund abhängig machen

Trotzdem macht diese Beziehung etwas mit mir. Zum einen fällt mir durch dieses Ungleichgewicht zum ersten Mal auf, dass ich aus einer relativ armen Familie komme. Denn meine Freund*innen kommen aus einem ähnlichen Umfeld wie ich. Uns allen geht es nicht schlecht, aber unausgesprochen ist bei uns klar, dass wir vor allem dienstags ins Kino gehen, weil es dann günstiger ist, und wir achten generell darauf, nicht zu viel Geld auszugeben. Das ist in meiner Beziehung auf einmal anders.

Ein weiteres Problem ist, dass durch den Unterschied zwischen uns auch ein mir sehr wichtiger Beziehungsgrundsatz in Frage gestellt wird und ich Angst habe, ihn zu verletzen: Ich will eigenständig sein und mich nicht von meinem Freund abhängig machen. Egal, wie sehr ich ihn liebe. Stattdessen fühle ich mich manchmal ein wenig wie in einer Soap, in der sich die Frau vollkommen nach ihrem Ehepartner ausgerichtet hat. Während sie zu Hause bleibt und die Kinder erzieht, verdient der Mann das Geld. Zumindest so lange, bis der Ehemann mit seiner Sekretärin durchbrennt. 

Klar, das ist jetzt übertrieben. Aber wir wollen eigentlich eine Beziehung auf Augenhöhe, und dennoch wird mir schon bei kleinen Dingen ständig das Ungleichgewicht in unserem Miteinander bewusst. Wenn ich nun aber darauf bestehen würde, nur das zu kaufen und zu unternehmen, was ich mir alleine leisten kann, würde das unsere Beziehung erst recht in Gefahr bringen. Denn es würde bedeuten, dass ich deutlich weniger mit meinem Freund unternehmen könnte. Wir benutzen sein Auto, um wegzufahren, und ich muss nichts für das Benzin zahlen. Wir gehen oft ins Kino oder essen und mein Freund zahlt öfter als ich die Tickets oder die Rechnung. 

„Ich finde es nicht schlimm, manchmal für dich zu bezahlen“, sagt er

Natürlich sind das alles Dinge, auf die ich verzichten könnte. Nur möchte ich das nicht. In dem Moment, in dem er mein Abendessen bezahlt, habe ich kein schlechtes Gewissen. Die Zweifel kommen dann etwas später. Kann ich von ihm erwarten, dass er für mich Eintritte oder das Abendessen bezahlt, nur, weil ich weiß, dass er mehr Geld hat? Darauf gibt es eigentlich eine ganz einfache Antwort: Nein, kann ich nicht. 

An einem Abend hielt es nicht mehr aus. Mein Freund und ich standen an der Kinokasse, er kaufte die Tickets. „Macht es dir etwas aus, so oft für mich zu bezahlen?“, fragte ich. Er war ein wenig überrascht von meiner Frage, dann sagte er: „Ich finde es nicht schlimm, manchmal für dich zu bezahlen.“ Aus diesem kurzen Dialog ist nach dem Kinobesuch ein langes Gespräch über Geld geworden. Dabei erzählte er mir, dass er sich beim Einkaufen noch nie Gedanken über Preise gemacht habe. Viele Dinge, die ich ihm sagte, sind ihm vorher gar nicht aufgefallen. Er bestätigte meinen Eindruck, dass er sich über Geld nicht so viele Gedanken macht. Ich solle kein schlechtes Gewissen haben, fügte er hinzu. Schließlich bezahle er nicht immer für mich mit. Aber ich kann mich darüber freuen, wenn er es tut. 

Ich glaube mittlerweile, dass es einen Unterschied macht, was er für mich zahlt. Ich würde mich von ihm abhängig machen, wenn wir etwa eine gemeinsame Wohnung hätten, die ich mir ohne seine Unterstützung nicht leisten könnte, oder wenn ich auf sein Gehalt angewiesen wäre, um Lebensmittel kaufen zu können. Aber wenn er manchmal den Einkauf zahlt, kann ich trotzdem unabhängig sein. Und wir können gemeinsam Nutellabrote essen und uns über andere Sachen Gedanken machen, die in unserer Beziehung wichtiger sind als Geld.

Die Autorin dieses Textes hat darum gebeten, anonym zu bleiben, damit nicht jede*r in ihre Beziehung und ihre Finanzen Einsicht hat. Sie ist der Redaktion aber bekannt. Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zum ersten Mal am 15.08.2018 und würde am 23.09.2020 noch einmal aktualisiert.

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