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Wenn Familienkonflikte sich nicht lösen lassen
In jeder Familie gibt es Konflikte, die trotz aller Lösungsversuche bestehen bleiben. Oft kommen diese bei Feiertagen oder Familienfesten an die Oberfläche und lassen einen auch Wochen und Monate nach dem letzten Treffen nicht los. Jeder Gedanke daran macht einen erneut traurig, wütend, enttäuscht, ratlos. Aber was ist ein guter Umgang mit diesen Konflikten? Ignorieren? Immer wieder darin rumwühlen? Kontakt abbrechen?
Das haben wir eine Familientherapeutin gefragt: die Diplom-Psychologin Elisabeth Raffauf, Autorin mehrerer Familien-Ratgeber. Und damit es möglichst konkret wird, haben wir in der Redaktion Beispielfälle gesammelt, die viele so oder in abgewandelter Form aus dem eigenen Leben kennen.
Bevor Raffauf sich der einzelnen Fälle annahm, war es ihr wichtig, etwas Grundsätzliches zum Thema zu sagen:
„Es gibt tatsächlich Konflikte innerhalb einer Familie, die sich nicht lösen lassen. Sich das klar zu machen, ist deshalb so wichtig, weil auch bereits erwachsene Kinder noch oft denken, sie seien vielleicht an einem bestimmten Problem schuld und könnten dafür sorgen, dass es in der Familie wieder besser klappt. Doch das können Kinder nicht. Das ist manchmal bitter, aber auch entlastend. Der Anspruch, für alles und jeden Verantwortung zu tragen und die anfallenden Probleme lösen zu können, ist einfach zu groß. Es ist wichtig, zu verstehen: Einige Probleme kann ich nicht lösen. Und es ist auch nicht meine Aufgabe. Meine Aufgabe ist es, herauszufinden, wie ich mit dem, was meine Eltern oder Geschwister hergestellt haben, so umgehen kann, dass es mir möglichst gut damit geht.“
Meine Eltern mögen meinen Partner nicht
Seit einigen Jahren bin ich in einer glücklichen Beziehung. Das einzige Problem: Meine Eltern können meinen Partner nicht leiden, sie finden ihn ‚nicht gut genug‘ für mich. Entweder haben wir deshalb Streit oder wir schweigen das Thema aus, er kommt schon lange nicht mehr zu meiner Familie nach Hause. Ich überlege, den Kontakt zu meinen Eltern deshalb abzubrechen – denn eigentlich sollten sie meine Lebensentscheidung doch akzeptieren, oder?
Elisabeth Raffauf: „Das Problem ist genau das: Warum akzeptieren meine Eltern mich nicht? Ich habe mir diesen Partner ausgesucht. Was mögen sie an mir nicht? Das ist vielleicht das eigentliche Thema, das lediglich über den Freund ausgehandelt wird. Sie können Ihre Eltern nur fragen: „Er macht mich glücklich, was wünscht ihr euch denn anderes, als eine Tochter die glücklich ist?“. Manchmal ist es tatsächlich nicht anders möglich, als für eine Zeit lang den Kontakt zu unterbrechen. Auf jeden Fall aber ist es wichtig, den Eltern deutlich zu machen: „Ihr kränkt mich damit und ich komme dadurch in einen unlösbaren Konflikt: Ich muss mich zwischen euch und meinem Freund entscheiden. Das möchte ich eigentlich gar nicht.“
Ich kann meinem Vater nicht verzeihen, dass er die Familie verlassen hat
Als ich Teenager war, ist mein Vater von zuhause ausgezogen. Er hatte sich neu verliebt. Leider hat er sich nach der Trennung aufgeführt wie ein Arsch: Er hat keinen Unterhalt gezahlt, Kontakt zu ihm gab es nur unter der Auflage, dass wir sein neues Leben mit seiner neuen Frau akzeptieren. Heute sprechen wir zwar wieder miteinander, über das Thema will er allerdings nicht reden, weil es dann Streit gibt. Verzeihen kann ich ihm das nicht.
„Es ist schon einmal gut, dass Sie überhaupt wieder miteinander sprechen. Ein klärendes Gespräch zu dem Thema, das Sie belastet, können Sie leider nicht erzwingen. Aber Sie können bei der Haltung bleiben, dass die Sache für Sie nicht erledigt ist und Sie sich eine, vielleicht professionell begleitete, Aussprache wünschen. So haben Sie Ihr Anliegen platziert und Ihr Vater weiß darüber Bescheid. Mehr geht nicht. Möglicherweise kommt er irgendwann darauf zurück, vielleicht auch nicht, das hat man nicht in der Hand. Es ist natürlich auch möglich einen Brief zu schreiben, so können Sie das, was Sie auf dem Herzen haben, schriftlich loszuwerden. Wichtig bei so einem Brief wäre, darin zu beschreiben, was Sie an der Situation verletzt und kränkt, aber keine Vorwürfe zu formulieren. Es kann hilfreich sein, den Brief vor dem Absenden einer vertrauten Person zum Gegenlesen zu geben, damit sie eventuelle Spitzen herausnimmt oder unnötige vorwurfsvolle Füllwörter, die man vielleicht unbewusst eingebaut hat.“
Wer kümmert sich um Familienmitglieder?
In unserer Verwandtschaft gibt es einige Pflegefälle, aber auch andere, gesunde Familienmitglieder, die viel Aufmerksamkeit wollen – einige mehr, andere weniger beliebt. Meist fahren immer die gleichen von uns dorthin zu Besuch, weil ihr Pflichtgefühl sie dazu zwingt. Andere ziehen sich immer aus der Affäre. Das gibt Zoff! Darf ich jemanden dazu nötigen, Verantwortung zu übernehmen?
„Das klappt nicht. Man kann nur für sich selbst entscheiden, was man wem gerne geben möchte, inwieweit man sich also um bestimmte Familienmitglieder kümmern möchte. Man kann sich mit den anderen Familienmitgliedern, die sich ebenfalls kümmern wollen, so gut es geht absprechen, um die Belastung zu reduzieren. Mehr nicht. Was die anderen machen, ist ihre Entscheidung und liegt nicht in unserer Hand.“
Meine Familie drückt mich in die klassische Frauenrolle
Ich habe mehrere Brüder. Das war eigentlich immer toll, bis mir auffiel, dass ich automatisch von meiner Familie in die „Mädchenrolle“ gedrückt werde. Ich soll immer den Tisch abräumen. Ich soll zu Feiertagen beim Essenmachen helfen. Für sie ist es selbstverständlich, dass ich eine aufgeräumte Wohnung habe und weiß, wie man die Wäsche wäscht, dass meine Brüder hingegen im Dreck versumpfen, finden sie charmant. Wenn ich allerdings meine Eltern oder Großeltern damit konfrontiere, finden sie, ich stelle mich an.
„Sie könnten darauf einfach ehrlich antworten, zum Beispiel, indem Sie sagen: ‚Ja, vielleicht stelle ich mich in euren Augen an, aber so ist es nun einmal. Ich stelle mich an. Dazu stehe ich. Ich werde das nicht weiter so machen.’ Das wäre eine Möglichkeit. Und Sie können sich zu diesem Anlass auch grundsätzlich einmal fragen, warum man eigentlich so oft das tut, was man in den Augen der Anderen tun soll. Vielleicht ist „sich anstellen“ manchmal einfach sehr angebracht.“
In meiner Familie wird alles problematisiert und psychologisch zerredet
Fast alle meiner Familienmitglieder beschäftigen sich amateurhaft mit Sinn- und Selbstfindung, haben schon Therapien gemacht, Familienaufstellungen und Mediationsseminare besucht. Stunden um Stunden wird, sobald auch der Anflug eines Problems in der Luft liegt, wild herumtherapiert, damit niemand Wut und Traurigkeit anstaut. Aber ganz ehrlich: erstens lässt sich meiner Erfahrung nach trotz aller Aussprachen kein Problem final klären, weil wir nun einmal alle unsere unterschiedlichen Standpunkte, Bedürfnisse und Überzeugungen haben, und zweitens steckt in diesen Gesprächen jedes Mal eine solche Schwere, dass ich mich danach nicht erleichtert fühle, sondern oft tagelang schwermütig bin und vor Grübelei kaum meinen Alltag auf die Reihe bekomme. Wenn ich sage, dass ich nicht jedes Problem besprechen möchte, gelte ich als diejenige, die sich der Familie verschließt und nicht mit sich im Reinen ist.
„Wir haben nicht in der Hand, als wer oder was wir bei anderen gelten. Wir können nicht bestimmen, was sie über uns denken oder sagen. Das ist auch gut so. Wir müssen in erster Linie mit uns selbst zurechtkommen. Vielleicht ist Ihr Gefühl der Schwere nach solchen Gesprächen das eigentliche Thema. Was ist das für eine Schwere? Woher kommt die? Gibt es etwas, das in diesen Gesprächen trotz aller vermeintlicher Offenheit doch nicht ausgesprochen wird und untendrunter schwelt? Ansonsten könnten Sie sich einmal überlegen, wie Sie dazu stehen können, dass Sie in einigen Angelegenheiten anders ticken und Sie sich nicht alle Probleme in der Form anschauen möchten, wie die anderen es tun möchten. Jeder hat dafür seine eigene Strategie, seine eigene Zeit, seinen eigenen Rhythmus. Vielleicht können Sie auch das Ihrer Familie gegenüber deutlicher machen.“
Meine Eltern haben ein Lieblingskind - und ich bin es nicht
Ich habe mehrere Geschwister und klar, eigentlich lieben unsere Eltern uns „alle gleich“. Tatsächlich finde ich aber doch, dass sie zwischen mir und meinem Bruder von klein auf immer wieder Unterschiede gemacht haben - bis heute. So studiert mein Bruder zum Beispiel Medizin, was ständig vor Freunden und Familie lobend erwähnt wird. Mein Geisteswissenschaftsstudium, das sehr gut läuft, nehmen sie hingegen einfach so hin. Wenn mein Bruder zu Besuch kommt (was nicht oft passiert), wird sein Lieblingsessen gekocht und es wird gefragt, was er unternehmen möchte. Ich besuche meine Eltern hingegen regelmäßig und das ist total selbstverständlich für sie. Ich mag meinen Bruder und will ihm nicht vorwerfen, dass meine Eltern ihn offenbar lieber mögen als mich. Gut geht es mir damit aber auch nicht.
„Das ist eine Familiensituation, die nicht selten vorkommt. Natürlich lieben Eltern nicht alle Kinder gleich. Sie lieben sie unterschiedlich und haben ein unterschiedliches Verhältnis zu ihnen. Liebe ist schwer in Mengen zu messen. Sie ist einfach zu jedem verschieden. Trotzdem spürt man ja einen Unterschied und kann den auch ansprechen. Die Eltern werden vielleicht abstreiten, dass sie den einen mehr lieben als den anderen, sie tun es vielleicht auch gar nicht oder es fällt ihnen auch gar nicht auf, dass sie sich unterschiedlich verhalten. Darauf kann man sie hinweisen und auch über seine Gefühle sprechen. Man kann ihnen sagen, dass ihr Verhalten etwas mit den Gefühlen dem Bruder gegenüber macht, auch wenn die Eltern das gar nicht wollen. Das elterliche Verhalten den Kindern gegenüber hat einen großen Einfluss darauf, wie die sich untereinander verstehen. Möglicherweise werden die Eltern nichts verändern, weil es ihnen nicht bewusst ist, warum sie das tun. Das hat wiederum mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Und ich selbst kann mich fragen, warum ich jede Woche zu den Eltern gehe, ob ich da eventuell immer wieder eine Zuwendung suche, die ich nicht bekomme. Vielleicht muss man dann noch mal Abschied von dieser Hoffnung nehmen und neu entscheiden, wie man selbst das Verhältnis zu den Eltern gestalten möchte.“
Meine Mutter kreist nur um sich selbst
Meine Mutter fragt mich nie, wie es mir geht. Stattdessen erzählt sie nur von sich und ihren Problemen. Wenn ich widerspreche oder etwas anders mache, als sie es richtig findet, bekommt sie unkalkulierbare Wutanfälle. Ich habe ihr mehrmals gesagt, dass mir ihre Art nicht gut tut und auch zeitweise den Kontakt abgebrochen, unser letztes Familienfest habe ich abgesagt. Das war ein Statement, jetzt sucht sie den Kontakt zu mir, aber ich bin mir unsicher, ob ich ihr dieses Mal trauen kann. Was soll ich tun? Mein Vater hält sich aus all dem raus, was mich total enttäuscht.
„Wir werden unsere Eltern nicht ändern. Aber wir können ihnen sagen, wie kränkend ihr Verhalten für uns ist. Und wie traurig es uns macht, dass sie uns nicht sehen und sich nicht so für uns einsetzen, wie wir es brauchen. Oder gebraucht hätten. Wir können versuchen, etwas Abstand einzunehmen und uns fragen: Was hatte meine Mutter, was hatte mein Vater für eine Familie? Was haben sie darüber gelernt, wie man sich um seine Kinder kümmert? Oft ist es eine entlastende Erkenntnis, dass sie selbst nicht mehr bekommen haben als sie uns nun geben. Dass sie einfach nicht mehr geben konnten - und können. Das zu verstehen, hilft manchmal zu sehen, dass unsere Eltern es nicht schlecht mit uns meinen. Sondern dass sie es einfach nicht besser können. Man muss dann vielleicht einsehen, dass man das, was man sich von ihnen wünscht, nicht mehr von ihnen bekommen wird. Es hilft, von diesen Hoffnungen Abschied zu nehmen. Und macht es gleichzeitig einfacher, sich zu fragen: Wie möchte ich diese Beziehung, so wie sie möglich ist, gestalten? Wo suche ich Kontakt? Wo brauche ich Abstand?“