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Die Weihnachtszeit ist die wahre Belastungsprobe für eine frische Beziehung

Partner*innen sind sich nicht immer einig, wie sie Weihnachten am besten feiern sollen. Das kann zu Konflikten führen.
Bildrechte: oli_ok / photocase.de; Bearbeitung: jetzt

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Die Weihnachtszeit, heißt es, bringt das Schlimmste in Menschen hervor. Das liegt an unseren übersteigerten Erwartungen an das Fest der Liebe, an dem schlimmen Stress, dem man sich angesichts von (trotz Infektionsgefahr) verstopften Innenstädten, Geschenke-Wahn und fehlendem Tageslicht ausgesetzt sieht. Und in einer Weihnachtszeit, die von einer Pandemie geprägt ist, kommen nochmal ganz andere Stressfaktoren dazu.

Ich glaube aber, die Weihnachtszeit ist vor allem ein einziger Stresstest für Paare. In jeder noch jungen Zweierbeziehung kann man beobachten, dass ausgerechnet während dieser „staaden“ Zeit sehr deutlich wird, ob man als Paar Bestand haben wird oder nicht. Und das liegt an unserer Kindheit: Wir alle bringen einen riesengroßen Haufen von Vorstellungen und Weihnachts-Traditionen aus unserer Kindheit mit in die Beziehung – und sind ausgerechnet auf diesem Gebiet oft weniger kompromissbereit als bei der Einrichtung der ersten gemeinsamen Wohnung oder den Namen für potentielle Kinder. Denn aus unerfindlichen Gründen glauben wir alle, es gebe nur eine einzige wahre Art, Weihnachten zu feiern: die eigene.  

Alles begann mit der Plätzchenfrage

Wir waren seit zwei Jahren liiert und wohnten erst wenige Wochen zusammen, als mir klar wurde: Der Mann, von dem ich noch bis vor kurzem dachte, er sei ein vernunftbegabtes Wesen und noch dazu ausgesprochen liebenswert, hatte sich seit dem ersten Advent in ein regelrechtes Monster verwandelt, das alles falsch machte und zwar offensichtlich mit Absicht. 

Angefangen hatte es recht harmlos mit der Plätzchenfrage. Wie jeder vernünftige Mensch weiß, sind Plätzchen in der Vorweihnachtszeit nur zum Backen und Anschauen da, keinesfalls aber zum Essen. Das ist erst am 24. Dezember zur Bescherung erlaubt, denn sonst ERGIBT ALLES KEINEN SINN MEHR!!!! Und dann kann man auch gleich alles bleiben lassen und die Anarchie einziehen lassen. Oder Weihnachten meinetwegen auch einfach abschaffen. 

Der Mann hingegen fing schon am 1. Dezember an, eine Schachtel (gekaufter!) Lebkuchen nach der anderen zu leeren und faselte mit vollem Mund etwas von „Gemütlichkeit“ und „Adventszeit“. Während ich fassungslos daneben stand und sah, wie sich die Plätzchenschachteln leerten, noch ehe Weihnachten auch nur in Sicht war, begann ich, an allem zu zweifeln. Vor allem an unserer Beziehung. Womöglich waren wir noch nie kompatibel gewesen? War alles, was ich in den vergangenen Monaten von ihm gedacht hatte, eine Täuschung gewesen?  

 

Die einen wissen, was sich gehört – die anderen machen alles falsch

Die einen essen Plätzchen erst ab dem 24. Dezember. Die anderen sind Barbaren, die sich während der Adventszeit vollstopfen und am heiligen Abend keine Süßigkeiten mehr sehen können. Die einen zerbrechen sich den Kopf, was sie Großtante Helene schenken sollen. Die anderen basteln einen Gutschein für eine Fußmassage und kopieren ihn dann 30 mal. Und fühlen sich auch noch schlau, weil sie wissen, dass höchstens ein Bruchteil der Beschenkten den Gutschein je einlösen wird. Die einen basteln ihrem Liebsten einen Adventskalender, in dem 24  (in Worten: VIERUNDZWANZIG!) ausgesuchte und liebevolle Kleinstgeschenke verborgen sind, die zeigen, wie viel einem der andere bedeutet. Die anderen krakeln auf einen Kasten Bier „Adventskalender“ mit Edding drauf und halten sich für geniale Advents-Hacker. 

Die einen wissen, dass man am 24. Dezember erst die Weihnachtsgeschichte liest, dann Lieder singt, dann Geschenke auspackt, dann isst, es sich dann gemütlich macht, bevor man um 23 Uhr in die Christmette geht, um es sich anschließend noch einmal kurz gemütlich zu machen, bevor man zu Bett geht. Die anderen machen alles falsch. 

Oder etwa doch nicht? Nach der ersten Weihnachtszeit, die ich zusammen mit dem Freund verbracht und mich quasi stündlich darüber aufgeregt hatte, wie falsch er alles machte, kam ich dann glücklicherweise doch noch ins Nachdenken: Offenbar war ich zumindest auf diesem Gebiet komplett unflexibel, was meine Erwartungen angeht. Nie hatte ich mich auch nur gefragt, ob all das, was wir da so „schon immer“ veranstaltet haben, auch nötig oder schön ist. Es musste eben so sein, weil es schon immer so war. Diese Argumentation ist, wenn man sie genauer betrachtet, ein bisschen schwach auf der Brust. Was ich in anderen Bereichen schon längst gelernt hatte – bei der Farbe des Geschirrs und den sehr unterschiedlichen Begriffen dessen, was Ordnung bedeutet – war mir ausgerechnet in der Adventszeit entfallen: Kompromissbereitschaft ist eine der wichtigsten Fähigkeiten, die man mitbringen sollte, wenn man eine gleichberechtigte und dauerhafte Beziehung mit einem Menschen führen möchte. Und nach dem x-ten Griff an die Stirn wurde mir glücklicherweise noch rechtzeitig klar, dass ich ja auch mal die Weihnachtstraditionen aus der Familie meines Freundes vorurteilsfrei anschauen könnte. 

Denn die haben teilweise wirklich schöne Angewohnheiten: So laden sie am 24. Dezember oft Bekannte oder Freund*innen ein, die an diesem Tag niemanden haben, mit dem sie feiern können (bei uns undenkbar). Und weil sie keine Lust haben, noch spätabends in die Kirche zu latschen, lassen sie es entweder ausfallen oder besuchen die Kinderweihnacht, die zwar nicht ganz so hochamtlich-feierlich ist, aber dramaturgisch mit einem Krippenspiel um einiges mehr zu bieten hat (ein Sakrileg in meiner Familie). Und um ehrlich zu sein: In der Plätzchenfrage bin ich nach dem ersten Jahr eingeknickt – und krümel jetzt gemeinsam mit meinem Freund die Auslegeware voll. Mit allergrößtem Genuss und fast ohne schlechtes Gewissen. Nur meine Mutter darf nie davon erfahren! 

Dieser Text ist erstmals am 22.12.2016 erschienen und wurde am 24.12.2020 aktualisiert.

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