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Wenn du dich für deinen Partner schämst, bist du das Problem

Fotos: sommerkind / photocase / freepik / Collage: jetzt.de

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Die Runde ist klein und intim. In einem gemütlichen Restaurant feiert Sarinas Freundin Laura ihren 30. Geburtstag. Sarina hat ihren Freund mitgebracht, Laurenz. Sie haben viel gemeinsam, zum Beispiel ihren Lieblingsdrink Gin Tonic, den sie sich nach dem Essens bestellt haben. Als die Drinks kommen, prostet Laura ihren Gästen zu und bedankt sich für den schönen Abend. Die Stimmung ist gelöst. Bis ein DJ ans Pult auf der angrenzenden Tanzfläche tritt. Sarina sieht plötzlich regelrecht verängstigt aus. Der Grund dafür sitzt neben ihr und hat ein leuchtturmartiges Strahlen in den Augen: Laurenz. 

Als der DJ mit einem Winken alle zum Tanzen auffordert, klatscht Laurenz in die Hände und stürzt seinen Gin Tonic auf Ex runter. „Yeah! Endlich abrocken!“, sagt er und hastet zur Tanzfläche. 

Sarina schaut ihrem Freund dabei zu, wie er den Moonwalk tanzt und heftig mit seinen Armen rudert. Sie sieht beschämt aus und auch die anderen Gäste schämen sich fremd. Das merkt man daran, dass sie krampfhaft versuchen, Laurenz nicht beim Tanzen zuzugucken. Der Kellner kommt, um das restliche Geschirr abzuräumen, und als sein Blick die Tanzfläche streift, kann er sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Laura versucht, die Situation aufzulockern, indem sie alle zum Tanzen auffordert. Daraufhin ruft eine von Lauras Arbeitskolleginnen am Tisch: „Okay, dann lasst uns mal abrocken!“ Jetzt lachen alle. Sarina wird rot.

Jeder von uns hat schon einmal Situationen erlebt, in denen man sich für andere schämt. Lange Zeit hieß es, dass „Fremdscham“ ein besonders deutsches Phänomen sei, weil wir Deutschen die einzigen seien, die eine betreffende Bezeichnung dafür hätten. Das ist inzwischen widerlegt. Auch andere Nationen haben Wörter dafür. Alles andere wäre auch unlogisch, denn Fremdscham ist etwas, was jeder Mensch im Laufe seines Lebens lernt. Damit wir uns für andere schämen, müssen wir allerdings zuerst wissen, was „peinlich“ ist und was nicht. Das lernen wir bereits als Kinder, sagen die Psychologen Sören Krach und Frieder Paulus, die erforscht haben, warum wir uns fremdschämen.

Eine besondere Fremdscham-Situation entsteht, wenn man sich für den eigenen Partner schämt. Denn diesem Menschen stehen wir ja besonders nah. Wir lieben ihn und mögen viele seiner Eigenschaften und Eigenarten. Trotzdem kennen viele das Gefühl, bei irgendetwas, was dieser geliebte Mensch macht oder sagt, ein Zwicken im Bauch zu spüren, rot zu werden, peinlich berührt zu sein – und zwar besonders stark. Was kann man dagegen tun? Und: Warum ist das überhaupt so, obwohl man den Anderen doch eigentlich so toll findet? 

Maria zum Beispiel fand den Modegeschmack ihres ersten Freundes peinlich: „Er trug schlimme Klamotten und hatte sich ein Tattoo in die Haare rasiert“, erzählt sie. Die Familienpsychologin Katharina Grünewald hat eine Empfehlung, wie man mit einer solchen Situation am besten umgehen sollte: Dem Freund einfach sagen, dass man das peinlich findet. „Das wäre ja gemein“, findet Maria. Katharina Grünewald hält dagegen: „Wenn man Peinlichkeiten in einer Beziehung ansprechen kann, zeugt das von Vertrauen und Intimität. Es kommt immer darauf an, wie man äußert, dass einem das Verhalten des Anderen peinlich ist.“

Außerdem empfindet nicht jeder das als peinlich, was man selbst schlimm findet. Marias Freund fand sich anscheinend ziemlich cool, sonst wäre er ja nicht so rumgelaufen. „Wenn man Dinge so formuliert, dass es den anderen nicht verletzt, kann man auch Peinlichkeiten ansprechen und sie einfach als Unterschiede zwischen zwei Liebespartnern stehen lassen“, meint Grünewald. 

Aber: Visuelle Tatsachen, wie ein Haarschnitt oder ein Kleidungsstil kann man schneller ändern als eingefleischte Gewohnheiten wie ein ganz bestimmter Tanzstil. Tanzen, das kommt aus dem tiefsten Inneren. Natürlich kann man auch Rhythmus lernen, aber ob wir uns zu Musik eher minimalistisch oder ausladend bewegen, ist tatsächlich fest mit unserer Persönlichkeit verbunden.

Tanzen gehört also zu den Dingen an unseren Partnern, die wir akzeptieren müssen. „Das Wir in einer Beziehung setzt sich aus dem Du und Ich zusammen. Und beide haben individuelle Bedürfnisse und brauchen Freiraum für eigene Gewohnheiten“, meint Katharina Grünewald. Wir können zwar sagen, dass wir Dinge an unserem Partner peinlich finden – aber ändern können wir die Verhaltensweisen nicht. 

Für Sarina bedeutet das: Sie muss akzeptieren, dass Laurenz tanzt, wie er tanzt. Das ist natürlich nicht ganz leicht. Menschen, die viel Fremdscham empfinden, sind besonders empathisch. Wenn wir uns fremdschämen, versetzen wir uns immer in die Person, für die wir uns schämen. Große Empathie ist eigentlich etwas Gutes, kann hier aber eben zum Problem werden. Denn wenn sich andere über Laurenz lustig machen, trifft das auch Sarina.

Um sich aus der Situation loszureißen, hätte Sarina Laurenz von ihrer Person abkoppeln müssen. „So ist er eben“, hat zum Beispiel meine Oma oft gesagt, wenn sie sich über meinen Opa aufregte. Sich vom Partner abzukoppeln und Reaktionen auf sein Verhalten von unserer Person zu trennen, ist allerdings sehr schwer. Denn zum einen stehen wir ihm ja besonders nahe und fühlen uns auch als Person wahrgenommen, die sich für ihn entschieden hat – sodass sein Verhalten immer auch auf uns abfärbt und beeinflusst, wie andere uns sehen. Zum anderen empfinden wir für unseren Partner und unsere Freunde mehr Empathie als für Fremde. Wenn fremde Menschen in peinliche Situationen geraten, empfinden wir zum Beispiel auch mal Schadenfreude, beim Partner eher nicht. Die Intensität der Fremdscham ist immer davon abhängig, wie sehr man sich mit der Person identifizieren kann und mit ihr mitfühlt, fassen Krach und Paulus in ihrer Studie zusammen. Das bedeutet am Ende: Weil man selbst beziehungsweise die eigene Wahrnehmung der Situation erst für das Problem sorgt, kann man es auch nur selbst lösen.

Nicht alle aus der Geburtstagsrunde fanden Laurenz' Tanzstil peinlich. Lauras Freund Marc fand es cool, dass Laurenz machte, „worauf er Bock hat“. Das hat er Sarina auch gesagt. Für Marc ist Laurenz eine Art Punk, der sich gegen soziale Normen stemmt, die alles Auffällige verdammen. Dass ihr Freund auffällig anders ist, ist ein Grund, warum Sarina sich für ihn schämt. Aber sie nimmt sich Marcs Worte zu Herzen – und versucht, sich immer wieder vor Augen zu führen, dass ganz allein sie dafür verantwortlich ist, ob sie sich für Laurenz schämt oder nicht.

Wenn Laurenz bei der nächsten Party wieder mit seinem Tanzstil für Furore sorgt, muss Sarina also versuchen, cool zu bleiben. Während er sich wie ein wild gewordener Tarzan von einer unsichtbaren Liane zur anderen schwingt, sollte sie möglichst an all seine Eigenschaften denken, die ihr gefallen. Tanzen gehört halt nicht dazu. Aber wegen seines Tanzstils ist sie ja auch nicht mit ihm zusammen.

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