Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben

Ich bin erleichtert, wenn mein Freund mich mit einem Mann betrügt

Illustration: Daniela Rudolf

Teile diesen Beitrag mit Anderen:

Meine Jugendliebe hielt drei Jahre. Wie das funktioniert hat, kann ich mir heute nur schwer erklären. Denn wir waren beide unglücklich: Er, nennen wir ihn Tobias, war jung und wollte sich ausprobieren, liebte mich aber verzweifelt. Ich war jung, wollte mich festlegen und liebte ihn ebenso verzweifelt. Denn ich spürte, dass er etwas anderes brauchte als nur mich – und auch, dass er es sich bereits holte.

Nach einem ersten glücklichen Jahr wurde Tobias täglich abweisender. Er wollte mich seltener sehen, rief nicht mehr von selbst an. Gegen Ende reagierte er nicht mal mehr auf verzweifelte Nachrichten von mir. Stattdessen schrieb er mit anderen Mädchen, fand eine neue Clique und einen neuen besten Freund. Ich war hochgradig eifersüchtig.

Ich schrieb die Mädchen an (oder sie mich), telefonierte sogar regelmäßig mit einer von ihnen. Sie war schön und angeblich seine beste Freundin. Er war viel bei ihr zu Besuch. Wir warfen uns in den Telefonaten die übelsten Beschimpfungen an den Kopf. Wären sie und ich uns einmal im echten Leben begegnet – wir hätten uns wahrscheinlich geprügelt. Für mich war offensichtlich, dass er mich mit ihr betrog. Trotzdem wollte ich ihn erst verlassen, wenn aus dem Verdacht tatsächlich Wahrheit würde.

Ich hatte mich im Geschlecht vertan: Tobias war nicht mit ihr fremdgegangen, sondern mit ihm

Nachdem unsere Beziehung beendet worden war – von ihm, ich blieb beweislos – fand ich über Freunde heraus, dass sie nicht das Problem gewesen war. Ich hatte mich im Geschlecht vertan: Tobias war nicht mit ihr fremdgegangen, sondern mit seinem besten Freund. Mit ihm hatte er ganze Nächte im geparkten Wagen an einem Waldstück verbracht.

Dass er mit ihm dort war, hatte mir Tobias zwar immer wieder erzählt, ich ihm aber nicht geglaubt, weil er dann ja – so dachte ich – keinen Grund gehabt hätte, mich wegzudrücken, wenn ich anrief. Ich glaubte, er sei dort nicht mit seinem Kumpel, sondern einem anderen Mädchen.

Als ich endlich verstand, dass Tobias sich nicht in eine andere Frau, sondern in einen Mann verliebt hatte, war ich natürlich verletzt – aber auch erleichtert. Das hatte verschiedene Gründe. Der wichtigste: Ich wusste plötzlich, dass es nicht an mir lag. Er hatte mich verlassen, weil er herausgefunden hatte, dass er schwul war. Weil er einen Mann liebte. Gegen seine sexuelle Orientierung hätte ich nichts tun können.

Ich war weder zu hässlich, zu dumm, noch das „falsche“ Mädchen. Ich war einfach kein Junge

Diese Erkenntnis war besonders auch deshalb heilsam, weil ich sonst vermutlich noch lange weiter für die Beziehung gekämpft hätte. So konnte ich endlich aufgeben und damit abschließen.

Auch mein Selbstwert stieg wieder. Denn plötzlich erklärte sich auch, warum er am Ende keinen mehr hoch bekommen hatte. Er hatte einfach erfahren, wieviel besser es sich für ihn anfühlte, mit einem Mann zu schlafen. Ich war weder zu hässlich, zu dumm, zu unbeliebt, noch das „falsche“ Mädchen. Ich war einfach kein Junge.

Außerdem war mir auch etwas anderes wichtig: Ich konnte jetzt nachvollziehen, warum er mich über viele Monate hinweg belogen hatte mit seinem „Natürlich bin ich dir treu“-Mantra. Es ging ihm nicht darum, mich zu verarschen. Er log vielmehr, weil er noch nicht bereit war, sich oder irgendjemand anderem gegenüber einzugestehen, dass er schwul ist.

Die Gründe für meine Erleichterung können viele Menschen nachvollziehen, sobald ich sie ihnen ein bisschen erklärt habe. Was Andere aber oft nicht verstehen: Ich reagiere heute noch ähnlich, wenn mir das Gleiche mit meinem bisexuellen Partner passiert. Obwohl er mich eigentlich sowohl wegen Frauen als auch wegen Männern verlassen könnte.

Ich nehme es einigermaßen entspannt hin, wenn mein Freund mit einem Mann knutscht oder Sex hat. Auf jeden Fall um ein Hundertfaches entspannter, als wenn er mich mit einer Frau betrügt. Beides ist leider schon häufiger passiert, mein Partner bekommt das mit der Monogamie irgendwie nicht gar so gut hin. Bei all dem habe ich verstandsmäßig schon auf dem Schirm, dass ich eigentlich Seitensprünge mit beiden Geschlechtern gleichermaßen als Bedrohung empfinden müsste.

Den Betrug mit Frauen verstehe ich als Wettkampf, den ich schon längst verloren habe

Es gibt aber trotzdem einen Unterschied zwischen „Ich werde mit einer Frau betrogen“ und „Ich werde mit einem Mann betrogen“. Der besteht vor allem darin, dass man als Frau bei Ersterem einfach immer, immer, immer dazu verleitet ist, das Ganze als Wettkampf zu verstehen. Und zwar als einen, den man in gewisser Weise schon verloren hat. Immerhin hat mein Partner sich dazu entschieden, meine Schmerzen in Kauf zu nehmen, dafür, dass er einer Anderen nahe sein kann.

Deshalb bin ich in meinem Stolz gekränkt und will verzweifelt nachtreten. Die andere soll ja nicht denken, sie sei die begehrenswertere Frau von uns beiden. Daraus resultiert meistens eine lange Leidensgeschichte, weil ich meinen Selbstwert irgendwann nur noch daran messe, wie erfolgreich ich meinen Partner nun von dieser oder jener Frau abhalten kann. Ob ich schön, klug, sexy genug bin, um ihm all die Weiblichkeit zu geben, die er braucht. Das ist weder besonders feministisch noch besonders logisch. Abstellen kann ich diese Gedanken trotzdem nicht.

Wenn ich mich aber fragen müsste, wer den Längeren hat – da käme ich halt nicht weit

Mit einem Mann in Konkurrenz zu treten, fällt mir dagegen nicht ein. Da gibt es einfach weniger Vergleichsstandards. Vor allem in den Körperregionen, die beim Sex von Bedeutung sind. Wenn ich mir beispielsweise die Frage stellen müsste, wer den Längeren hat – Naja, da käme ich halt nicht weit. Ich entschließe mich deshalb unterbewusst, die Angelegenheit gut sein zu lassen.

Diesen Effekt hat mein Partner übrigens schon erkannt – und nutzt ihn inzwischen für sich. Wenn er mir mal wieder von einem Seitensprung erzählt, um sein Gewissen zu entlasten, ändert er dabei oft genug das Geschlecht. Dann heißt der Mensch, den er geküsst hat, plötzlich Timo und nicht Julia.

Ich ärgere mich – spätestens, wenn ich herausfinde, mit wem er mich da tatsächlich betrogen hat – dass das für mich überhaupt einen Unterschied macht. Darauf folgt eine lange Gedankenkette, die immer am gleichen Punkt endet: Dem, an dem mir bewusst wird, wie lächerlich Eifersucht ist.

Ich verlasse weder für den Betrug mit Männern, noch für den mit Frauen

Da geht es nicht um Liebe. Da geht es um Selbstwert, Egozentrik und Gier. Um die Fragen: Wie viel Macht – oder meinetwegen Zauber – übe ich auf meinen Partner aus? So viel, dass ich ihn für immer von den Verlockungen des Rests der Menschheit fernhalten kann? Bin ich so toll? Oder bin ich nicht gut genug dafür? Wie viele Menschen gibt es eigentlich, die besser sind als ich? Und wie kann ich sie trotzdem schlagen im Wettkampf um seine ungeteilte Aufmerksamkeit?

Ganz schön bescheuert, denke ich mir dann. Und trenne mich deshalb weder für den Betrug mit Männern, noch für den mit Frauen. Ich will vielmehr irgendwann so weit sein, dass ich meinen Partner einfach ganz entspannt mit anderen teilen kann. Ohne Verlustängste auszustehen, die mich in den nächsten Ringkampf schicken. Aber wenn eine seiner Nebenpartnerinnen schönere Locken hat als ich, könnte das vermutlich schwierig werden.

Mehr untreue Themen:

  • teilen
  • schließen