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Warum ich keine Freundschaften mit Männern beginnen kann

Wer sich gut versteht, versteht sich auch schnell mal „zu gut“.
Illustration: Janina Schmidt

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Manchmal begegnet man Menschen, die man mag. Im Kindergarten hat man so einen Menschen gefragt: „Wollen wir mal zusammen spielen?“ Wollte die andere Person, hat sie „Ja“ gesagt und dann hat man sich verabredet. So entstehen Freundschaften. Welch harmloses, unschuldiges Prinzip!

Auf den ersten Blick ändert sich im Laufe der Zeit nur die Formulierung der Frage. Aus „Wollen wir mal zusammen spielen?“ (1-10 Jahre), wird „Wollen wir uns mal treffen?“ (ab 11 Jahren), wird „Machen wir mal was?“ (ab 14 Jahren), wird „Gehen wir mal ein Bier trinken?“ (ab 16 Jahren), wird „Wir könnten uns ja mal auf einen Wein / zum Essen treffen?“ (ab 21 Jahren), wird „Spielen Sie Mau Mau / Mundharmonika?“ (Ab 85 Jahren).

Aber noch etwas ändert sich. Irgendwann zwischen 12 und 17 schleicht es sich ein. Es, das ist der Sexualtrieb, und er ist aufdringlich und anhänglich und ab sofort immer dabei, wenn zwei sich begegnen, die theoretisch zum sogenannten Liebespaar werden könnten, mindestens aber zu Kopulierenden. Der Sexualtrieb ist dafür verantwortlich, dass „Gehen wir was zusammen trinken?“ zwischen zwei Menschen unterschiedlichen Geschlechts ab sofort immer auch „Wer weiß, vielleicht geht ja was zwischen uns? Und wenn nicht jetzt, dann vielleicht später?“ heißt.

Er macht alles kompliziert und das schon unverschämt früh im Leben, wenn man bedenkt, dass der westliche Durchschnittsmensch 81 Jahre alt wird. Einfach ist ab jetzt Atmen, Essen, Klopapier abreißen, einen Schluck Wasser trinken, Blinzeln. Aber bestimmt nicht mehr die ganz normale Freundschaft zwischen Mann und Frau. Denn die wenig geheime Faustregel aus dem großen, goldenen, ungeschriebenen Buch des menschlichen Wesens besagt ab jetzt: Wenn zwei potentielle Sexualpartner sich treffen, ist grundsätzlich niemandem mehr zu trauen.

Der Sexualtrieb schleicht sich ein, aufdringlich und anhänglich

Sich mit fast 30 noch darüber zu wundern, dass zwischen Mann und Frau immer auch Sex im Raum steht, ist zugegebenermaßen etwas zurückgeblieben. Es ist ungefähr so, wie sich jeden Tag neu darüber wundern, dass man am Leben ist und auf irgendeiner blauen Kugel durch ein sogenanntes Universum rast. Aber auch das soll es geben. Ich bin über die Beinahe-Unmöglichkeit der harmlosen Freundschaft zwischen Mann und Frau mit Ende 20 noch genauso empört wie über meine rätselhafte Existenz und möchte gern irgendwo ein Handbuch dazu bestellen. Leider hat noch keiner ein Sinnvolles geschrieben.

Also muss ich mich weiter darüber aufregen. Wieso zum Beispiel bleibt der harmlose Satz „Ich treff’ mich heut Abend mit der Mara auf einen Wein, die hab’ ich neulich auf einer Party kennengelernt, die ist total cool!“ nicht derselbe, wenn Mara zufällig ein Mann ist? Ersetzt man „Mara“ durch „Peter“, schlägt das Sozialthermometer plötzlich Alarm. Erhöhte Temperatur! Affären-Alarm? Mindestens Affären-Probealarm!

Aus dem völlig harmlosen, grundpositiven Plan, eine neue Person zu treffen, wird sofort eine potentielle Liebesaffäre. Ausnahme: Die Beteiligten kennen sich schon ewig und haben die sexuelle Neutralität der Freundschaft glaubhaft für immer besiegelt. Aber ganz neues Kennenlernen von Mann und Frau unter vier Augen? So brenzlig wie Zündeln im hochsommerlichen Reetdachstuhl!

Das ist schon anstrengend genug, wenn man Single ist. Wobei es da ja sogar notwendig ist. Manchmal möchte man aber auch als Single einfach nur neue Freunde kennenlernen, Geschlecht und Potenz egal. Dabei dauernd mitzurechnen, wer gerade welche möglicherweise missverständlichen Signale aussendet und wer sie wie versteht, ist wahnsinnig ermüdend. Aber damit muss man natürlich leben. Man kann dann Sachen sagen wie „Ich will aber gar nichts von dir, tschüss!“ und es schade finden, dass wieder eine mögliche Freundschaft keine wurde, weil sie als Sex-Ding gemeint war.

Es geht nicht ums Bier, sondern darum, es darauf ankommen zu lassen

Früher, als ich noch viel naiver war als heute, habe ich sehr oft Männer auf ein Bier oder einen Wein getroffen und mir gar nichts dabei gedacht, außer: „Oh wie nett und schmeichelhaft, ein neuer Kontakt in meinem Leben!“ Ich wollte weder meine eigenen „Gehen wir doch mal ein Bier trinken“-Anfragen als „Ich möchte nämlich mal auschecken, ob ich vielleicht mit dir schlafen möchte“ missverstanden wissen, noch wollte ich irgendwem anders eindeutige sexuelle Hintergedanken bei einem Treffen unterstellen. Das war meine Strategie zu beweisen, nicht von einschlägigen Frauenzeitschriften oder anderen eifrigen „Warum Frauen falsch einparken und Männer auf dem Mars leben“-Lesern erzogen worden zu sein, sondern super easy und modern.

Doch meine ganz persönlichen Statistiken dieser Treffen deuteten schnell unmissverständlich darauf hin, dass Ja-Sagen-zu-einem-harmlosen-Bier nie Ja-Sagen-zum-harmlosen-Bier bedeutet. Sondern immer auch ein ein SEHR zugeneigtes Ja-Sagen-zum-Draufankommenlassen. Ich habe es daraufhin ein paar Mal mit prophylaktischer Ehrlichkeit versucht, und auf die Anfrage eines Typen, ob man nicht mal etwas zu zweit unternehmen wolle, geantwortet, dass ich schon Lust hätte, aber nicht an einem, äh, Date interessiert sei, sondern einfach was unternehmen wolle.

Aber auch hier spricht meine Statistik eine eindeutige Sprache: Laut ihr gibt es genau zwei Reaktionen auf solche gutgemeinten Aufräumversuche. Entweder werden sie, Reaktion eins, ultraverständnisvoll angenommen („Schön, dass du das ansprichst, nein, ich will auch kein Date, ich find dich auch einfach nur nett!“). Woraufhin man sich nichts ahnend trifft und sehr bald die Welt nicht mehr versteht, weil man plötzlich doch eine Hand auf dem Knie liegen hat und eine Aufforderung zur nächtlichen Wohnungsbesichtigung bekommt.

Reaktion zwei, auch ein Klassiker: Auf den gutmütigen Versuch, schon vor dem Treffen die Fronten zu klären, schießt einem sofort ein majestätsbeleidigtes „Ha! Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ich, ein Date mit DIR? Geht’s noch? Ich steh nicht auf Frauen wie dich! Pah! Mit so jemandem wie dir will ich gar nichts mehr zu tun haben. Schönes Leben noch!“ entgegen. Und damit ist die Freundschaft, die noch nicht einmal begonnen hat, sowieso beendet.

 

Befindet sich einer in einer Beziehung, wird das Kennenlernen endgültig unmöglich

Befindet sich einer oder sogar beide Beteiligten dann aber auch noch in einer monogamen Beziehung, wird das freundschaftliche Kennenlernen zwischen Mann und Frau unter vier Augen und ohne zwingende praktische Gründe endgültig unmöglich. Obwohl man nie gläubig war, nicht verheiratet ist und ja auch wirklich nichts Ehebruchartiges im Sinn hat, muss man sich plötzlich in vorauseilendem katholischen Mädcheninternat-Gehorsam fragen: „Wieso treffe ich diesen Mann, wenn ich schon einen habe?“ Der eigene Partner fragt sich: „Wieso trifft meine Freundin einen anderen Mann, wenn sie schon einen hat?“ Der andere Mann fragt sich: „Wieso trifft die mich, wenn sie schon einen hat? Na, da geht doch bestimmt was!“ Und die Freunde, ja, auch die spielen bei sowas eine Rolle, fragen sich: „Warum trifft sie einen anderen Mann, was fehlt ihr denn?“

Wieso, zur Hölle, kann die Antwort nie wieder unschuldig und normal sein: Einfach nur so? Warum geht es bei einem Treffen zwischen Mann und Frau unter vier Augen plötzlich im Subtext nur noch um Geschlechtsteile? Muss man sich dieser seltsam prüden Panik vor sexuellen Unwägbarkeiten wirklich für immer unterordnen? Kann man Menschen des anderen Geschlechts wirklich nur noch entspannt treffen, wenn andere Freunde oder der jeweilige Beziehungspartner dabei sind, gewissermaßen in der Funktion von Wächtern? Muss man das wirklich so akzeptieren und stehen lassen, dass unverdächtige enge Freundschaften mit Personen des anderen Geschlechts anscheinend nur in extremen Ausnahmefällen möglich sind? Wenn man sich etwa seit der Grundschule oder meinetwegen von jahrelang gemeinsam besuchten Universitätsseminaren kennt? Wenn man schon ewig zusammen arbeitet? Wenn man es schonmal miteinander versucht hat und sich im Frieden getrennt hat und dennoch eine von allen dazugehörigen Beziehungspartnern tolerierte Freundschaft pflegt, in der keiner mehr vom anderen will? Wenn der Mann nachweislich schwul ist?

Wenn's ums Prinzip geht, macht es keinen Spaß mehr

Sollte man nicht lebenslang die Faust in die Höhe recken und wild unter vier Augen Menschen treffen, wie es einem beliebt, egal, was das für einen Eindruck das auf alle Beteiligten macht?

Ja, sollte man schon. Wenn es einem ums Prinzip geht. Die Wahrheit ist nur: Das macht keinen Spaß. Menschen einfach mal entspannt auf ein Getränk zu treffen geht nicht, wenn es nicht entspannt ist. Und das ist es nicht, wenn man dabei dauernd mit falschen Signalen aufräumen muss, Verletzungen kitten und in alle Richtungen beschwichtigende Handlungen tätigen.

Man kann sich all das immer wieder antun. Man kann sich aber auch fragen: Ist dieses Bier mit dieser Person so wichtig, dass sich der ganze Stress lohnt? Leider lautet das Fazit meistens: Nö. Auch, wenn es das aus Prinzip anders sein sollte. Aber der Mensch ist eben ein triebgesteuertes Tier. Schlimmer noch: ein triebgesteuertes Tier mit einem Gehirn. Das auf einer seltsamen blauen Kugel durch ein sogenanntes Universum rast. 

Dieser Text erschien erstmals am 15.09.2017 und wurde am 06.04.2021 nochmals als Best-of-Text veröffentlicht.

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