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Survival-Kolumne: So überlebst du das Abendessen beim anderen Paar
Nicht alles im Leben ist freiwillig. Die Survival-Kolumne ist Anlässen gewidmet, denen wir uns stellen müssen – ob wir wollen oder nicht. Ein Leitfaden zum Überleben.
Es war dir eigentlich ganz unverfänglich vorgekommen: Du und deine sogenannte bessere Hälfte waren was trinken, am Ende des Abends hattet ihr euch mit diesem anderen Paar festgelabert. Es fühlte sich sehr wohlig an, dein Partner, du und euer Spiegelbild: Das andere Paar, gleich alt, in etwa gleich lang liiert, gerade zusammengezogen. Keiner, der euch die Langeweile des Dauerbeziehungslebens zum Vorwurf macht, keine heulenden Singles, kein Drang, jetzt noch unbedingt weiterzuziehen. Als dann die Einladung kam, am Freitag „doch mal auf einen Happen bei uns“ vorbeizukommen, fühlte sich das eigentlich nur konsequent an. Es klang nach Weinschorle und Käseplatte, irgendwie sehr erwachsen, und dazu auch noch so souverän vorgetragen, als handele sich es bei diesem anderen Paar um den Schlag Mensch, der jederzeit Besuch empfangen kann, weil er sowohl Leben als auch Haushalt tatsächlich im Griff hat.
Was euch erst auf dem Heimweg dämmerte: Wir sind immer noch in Deutschland. Entspannte Doppel-Paar-Abendessen gibt es hier nicht. Die euch bevorstehende Konstellation bildet die Basis hunderter Theaterstücke und Filme, meistens ist am Ende jemand tot. Das Abendessen beim anderen Paar ist eine einzige riesige Verkrampfung, das Nagelbrett für Sozialmasochisten. Das andere Paar ist immer der Feind, egal ob es sich dabei um flüchtige Bekannte oder eure besten Freunde handelt. Im Zwei-Paar-Modus schaltet man auf Wettkampf. Das Gegenüber wird zum Doppelgänger, bei dem vermeintlich all das klappt, was bei euch nicht so klappt. Wie überlebt ihr das? Lies schnell weiter, es ist ja schon Dienstag!
Da wäre zunächst mal die Vorbereitung. Ist das Paar wirklich so cool wie angenommen, seid ihr fein raus. Ist es aber nicht. Deswegen wird ein paar Tage vorher die Anfrage bei euch eintrudeln, doch bitte auch „eine Kleinigkeit“ zum Essen beizusteuern. Eine Falle. Es wird die Rede davon sein, dass „Oliver seine Tajine-Variante aus dem letzten Marokko-Urlaub“ zubereiten wird. Es wäre also schön, schreiben sie, wenn ihr euch kulinarisch auch ein bisschen an „1001 Nacht“ orientiert. Mit marokkanischer Küche habt ihr leider noch weniger zu tun als Oliver. Eure „Klassiker“ Spaghetti mit Pesto und Kartoffel-Ei-Spinat scheinen nicht wirklich die beste Ergänzung zu im Tontopf geschmorten Abgefahrenheiten zu sein.
In einem Fall wie diesem hilft nur eins: drüberstehen, außer ihr seid zufällig Sterneköche. Entweder ihr ignoriert die Provokation eiskalt oder, eigentlich noch besser: Ihr stapelt bewusst tief, zum Beispiel mit einer lässigen Knabbermix-Box. Die Tajine-Wettkampf-Ansage ist damit pariert, gleichzeitig haut ihr damit dem anderen Paar auf smoothe Art und Weise ihr versnobtes Küchenverhalten um die Ohren. Sie werden sich schlecht fühlen – und darum geht es ja letztendlich.
Spulen wir nun mal vor zum Freitagabend. Auch hier könnt ihr dem anderen Paar direkt an der Tür eins reindrücken und zwar mit einem besorgt anmutenden, aber insgeheim sehr perfiden „Achso, Schuhe aus?“ beim Betreten der Wohnung. Mit diesem Satz katapultiert ihr die Gastgeber direkt in eine moralphilosophische Zwickmühle: Wollen die etwa die Schuhe anlassen? Müssen wir das denen jetzt gönnen? Und was, wenn die uns gerade deswegen dann für unordentlich halten? So oder so: Die Lässigkeit ist dahin, eins zu null für euch.
„Warum seid ihr eigentlich noch nicht zusammengezogen?“
Das andere Paar wird versuchen, die Kontrolle zurückzugewinnen. Es platziert euch auf diesen unfassbar unbequemen Pseudo-Eames-Stühlen an seinem Esstisch, Oliver blubbert in der Küche noch an der Tajine herum. Alles wirkt hier steril, kein Staub, keine Brösel. Zeit für den Knabbermix. Wer den Mund voll hat, muss nichts von sich erzählen, wann immer das Paar eine ihrer zersetzenden Fragen an euch richtet, („Wie wohnt ihr so?“, „Wohin reist ihr als nächstes?“ oder schlimmer, „Warum seid ihr eigentlich noch nicht zusammengezogen?“) stopft ihr euch schleunigst eine Ladung Knusper-Fischli in den Mund. Wer Dinge preisgibt, macht sich verletzlich. Lasst das die Maxime eures Abends sein! Solltet ihr euch irgendwann doch in eine Ecke gedrängt fühlen, fangt an zu lügen. Erfindet Länder, Kulturen, Wohnungen – man wird es euch nachsehen, nachhaken ist ja unhöflich.
Eine halbe Stunde später werdet ihr dann aber plötzlich Schreie aus der Küche hören. Auf dem Boden ein zersplittertes Tongefäß, einzelne mit Tomatenmark verrührte, labbrige Fleischstücke, auf der Ablage neben dem Herd eine halbleere Flasche Maggi. „Verfickte Scheiß-Tadschinnn“, wird Oliver sagen. Bei der Suche nach einem Lappen wird er kurz den Blick auf die zum Pfand-Müll-Schmutzwäsche-Depot umfunktionierte Vorratskammer freigeben, deren Inhalt nun in einer Art Erdrutsch zu Fall kommt. Sie waren noch nie in Marokko. Der Wettkampf ist vorbei. Er hätte nie anfangen sollen.
Nachdem Oliver notdürftig die Soße vom Küchenboden entfernt hat, holt er ein Glas Pesto aus dem Kühlschrank. Und während ihr auf das Weichkochen der Nudeln wartet, esst ihr die letzten Ecken der Knabberbox leer, werdet nebenher langsam betrunken und merkt, dass das Doppelgänger-Paar euch eben doch noch ähnlicher ist, als ihr ihm zugetraut habt.