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Survival-Kolumne: Das Fest bei der Familie deines Partners
Das war eigentlich alles nicht so ausgemacht. Als du damals beschlossen hast, dass sie und du ab jetzt „offiziell“ seid, klang das eher nach dem Ende einer langen Suche, weniger komplizierten „Was ist das eigentlich bei euch“-Gesprächen, nach einer Art entspannenden Verbindlichkeit. Und genau das war das erste Jahr eurer Beziehung auch, ein fröhliches Purzelbaumschlagen in Wolken aus Zuckerwatte (oder eine ähnliche Metapher, die dir vorher nie über die Lippen gekommen wäre). Zwischen all den Purzelbäumen hast du wie nebenbei ihre Freunde und die Eltern kennengelernt, alle super, es hätte so für immer weitergehen können.
Der Ruf der Familie war lauter als dein Klagen
Leider hat alles einen Haken. Jetzt, ein Jahr später, sitzt du auf dem Rücksitz des Autos ihrer Eltern und überlegst, wie weit du bei einem Fluchtversuch an der nächsten Raststätte kommen würdest. Der Anschnallgurt zieht sich wie eine Fessel um deinen Hals, in ihren Blicken im Rückspiegel erkennst du eine Mischung aus Mitleid und Schadenfreude. Der Anlass für diesen Gefangenentransport ist das große Familienfest, vielleicht ein runder Geburtstag oder das Adventstreffen.
Irgendwie ging einfach alles zu schnell. Hast du sie denn nicht gerade erst kennengelernt? Warum jetzt gleich die ganze Verwandtschaft, von der sie stets erzählt hat, dass sie „alles in allem ziemlich gestört“ sei? Warum denn der ganze Aufwand, vielleicht bist du nächstes Jahr ja schon längst wieder weg, oder ersetzt oder sogar tot? Diese berechtigten Einwände sind leider alle an ihr abgeprallt, der Ruf der Familie war lauter als dein Klagen. Und die Tür des Autos ist von innen verriegelt. Wie wirst du diesen Tag überleben?
Der beste Tipp, nämlich „beende deine Beziehung, bevor du an Familientreffen teilnehmen musst“ ist bereits hinfällig. Du hast dennoch bis gestern daran geglaubt, dass die Dinge nie so ernst würden, wie sie nun sind. Ein Fehler. Dinge werden immer ernster.
Wäre dir das schon früher klar geworden, hättest du dich von deiner Freundin wenigstens noch vorbereiten lassen können. Vielleicht bleibt dafür jetzt im Auto noch Zeit? Lasse sie ein Mal ihre komplette Verwandtschaft durchgehen: Wer sind die Freaks? Wer mag jeden? Womit kannst du die beeindrucken, mit vier Schnäpsen vor dem ersten Gang oder eher mit einem halbstündigen Tischgebet? Bestenfalls hast du schon Wochen vor dem Treffen eine Akte über jeden Teilnehmer angelegt, die nun in einem tonnenschweren Ordner im Kofferraum als potenzieller Spickzettel bereitliegen. Darin finden sich auch die Informationen über deinen großen Gegner: den anderen Neuen. Oder die, der andere Neue kann zum Beispiel der neue Freund der Cousine, der neue Macker der Tante oder die neue Freundin des Bruders sein. Ihr sitzt zwar im gleichen Boot, steht ähnliche Ängste aus. Aber nur einer von euch kann als neuer Familienliebling die Feier verlassen.
Auch ohne Stasi-Methoden hast du hier durchaus Chancen. Wichtig: Deine Verbündeten. Auch wenn du die Brüder, Schwestern und Eltern deiner Freundin zwar auch eher sporadisch kennst, werden sie im Kontext der Familienfeier zum sicheren Anker. Der sollte nämlich gerade nicht deine Freundin sein. Ständig hinter deiner Freundin herzulaufen, während der andere Neue bereits mit der neuen Verwandtschaft Bruderschaft trinkt, lässt dich aussehen wie einen vollkommen hilflosen Trophy-Husband.
Der Sektempfang, eigentlich ein fürchterliches Zwischenspiel auf dem Weg zum großen Fressen, ist der Moment, um dich beliebt zu machen. Lass dich von deiner Freundin zu den Großeltern bringen. Sie stellen den Olymp der Familienhierarchie dar, wer cool mit ihnen ist, ist cool mit allen. Hat dich deine Freundin vorgestellt, bleibst du einfach direkt bei ihnen stehen, weil beste Position, denn: Du glänzt in ihrem Licht, wer ihnen Hallo sagt, muss erst an dir vorbei, auch der andere Neue. Neben ihrer Familienhauptrolle sind Großeltern außerdem die entspanntesten Menschen auf dieser Feier, haben schon zigtausend Freunde, Ex-Männer, alte und neue Neue vorüberziehen sehen und nehmen dich demenstprechend auf wohltuenede Weise eh nicht ernst.
Eltern lieben nichts mehr, als jemanden, der ihre Kinder beschäftigt
Sollte es sich bei ihnen allerdings um bockige Schimpf-Rentner handeln, solltest du beim Aufbau deines Familiennetzwerks am anderen Ende des Altersspektrums ansetzen: bei den Kindern. Pack' dir einfach zwei, drei davon auf Arm oder Schultern, stecke ihnen unauffällig Süßigkeiten zu. Ihr Wohlwollen könnte dir später von Nutzen sein: Einerseits lieben Eltern nichts mehr, als jemanden, der ihre Kinder beschäftigt. Außerdem ist der Kindertisch der einzige Ort der Feier, an dem du nicht auf dein kaum vorhandenes Berufsleben oder sogenannte Lebensentwürfe abgefragt wirst, nutze ihn also als gelegentlichen Rückzugsort. Solltest du sie allerdings aus irgendeinem Grund zum Weinen bringen, könnte der Kinderbonus sofort ins maximale Gegenteil umschlagen, der Hass der Eltern wäre dir sicher, es sei denn, sie mögen ihr eigenes Kind nicht. Sollte es deshalb so weit kommen, schiebe die Schuld unbedingt auf den anderen Neuen!
Irgendwann endet jeder Sektempfang. Je nachdem, wie spießig die Familie deiner Freundin ist, haben sie eine feste Sitzordnung vorgesehen. Hier darfst und musst du intervenieren, sollte sich nach Aktenlage zum Beispiel ergeben, dass du am Freaktisch gelandet bist. Tischkarten lassen sich nach Belieben vertauschen, neu beschriften oder aufessen. Es braucht nur den richtigen Moment. Bedenke auch, dass du dem anderen Neuen hier keinerlei Solidarität schuldest.
Wer nicht auffällt, war nicht da
Nun solltest du doch wieder die Nähe deiner Freundin suchen, ab und zu überschwänglich deine Liebe demonstrieren, gerne auch obszön, denn wer nicht auffällt, war nicht da. Und schließlich soll dein Name auch unbedingt in der Nachbesprechung der Familien-Whatsappgruppe auftauchen.
Nachdem du das Essen am erschlichenen Platz mit den laut Aktenlage zugänglichsten Menschen verbracht hast und eh schon down mit den Großeltern und/oder Kindern bist, kannst du nun entspannt in den Rest des Abends blicken. Gerade Großeltern und Kinder verabschieden sich naturgemäß aber recht früh, die verbleibende Zeit schlägst du am Besten mit Alkohol tot. Der Wettbewerb ist nun vorbei, lade den anderen Neuen auf eine Kippe vor der Tür ein, gratuliere zum fairen Wettkampf. Nächstes Jahr ist er entweder eh nicht mehr da oder ihr dürft euch gemeinsam auf neuere Neue freuen, überlegenheitsgefühlmäßig in etwa wie Zweitklässler auf Erstklässler.
Lass' dir auf der Heimfahrt von deiner Freundin bestätigen, wie fantastisch du dich geschlagen hast. Und eröffne ihr dann – mit einer Mischung aus Mitleid und Schadenfreude im Gesicht – dass nächste Woche dein eigenes Familientreffen ansteht.