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Wie passen Ehe und Polyamorie zusammen?

Illustration: jetzt

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Es war an Heiligabend. Tara packte ihr Geschenk aus, ein schwarzes Kleid. Oliver hätte ihr gerne einen Ring geschenkt, aber dafür fehlte ihm das Geld. Wichtiger war ihm sowieso, was er Tara fragen wollte. Sie erinnert sich, wie Oliver sagte: „Wir dürfen nicht heiraten. Willst du meine Verlobte werden?“ Tara sagte ja.

Oliver darf offiziell nicht mehr heiraten, weil er seit zwei Jahren schon mit Emily verheiratet ist. In Deutschland sind Mehrfachehen nicht erlaubt. Das Grundgesetz stellt die Ehe unter besonderen Schutz, das Bundesverfassungsgericht sieht die Ehe als „Form einer engen Zweierbeziehung“. Aber Oliver ist polyamorös. Er liebt Emily und Tara gleichzeitig. Deswegen will er auch Tara heiraten, sie wünschen sich eine freie Trauung.

Tara ist 22 Jahre alt und studiert Kommunikationswissenschaft, Emily ist 30 und macht ihre Ausbildung zur Notfallärztin. Oliver ist 33, freiberuflicher Coach und steht vor seinem zweiten Jura- Staatsexamen. Keiner der drei will mit dem richtigen Namen im Text genannt werden. „Gerade als Frau ist so ein Beziehungsmodell sehr stigmatisiert“, sagt Tara. Mittlerweile leben die drei zusammen in München. Sie sind nicht alle in einer Beziehung zueinander, Tara und Emily lieben sich nicht. „Wir bilden keine Triade“, sagt Tara. Obwohl Tara mit Oliver verlobt ist, trifft sie andere Männer, auch Emily datet. Tara sagt: „Oliver und ich sind zusammen, Oliver und Emily sind zusammen und Emily hat auch noch einen Freund. Das ist Sebastian.“

Taras Mutter sagt: „Nein. Das ist nicht dein Mann“

Tara und Oliver haben sich vor drei Jahren über Tinder kennengelernt. Damals waren er und Emily bereits verlobt. In seinem Profil stand: Meine Verlobte ist auch angemeldet. „Das fand ich sofort interessant“, sagt Tara. Beim ersten Date geht es viel um Emily, Oliver schwärmt von seiner damaligen Verlobten. Tara ist nicht abgeschreckt. Als sie beschließen, dass sie sich wiedersehen, will sie auch Emily kennenlernen. Tara und Oliver halten mehr als zwei Jahre Kontakt, vor allem sexuell. „Ich habe mir nie Hoffnungen auf eine Beziehung gemacht, weil ich die beiden so verliebt kennengelernt habe“, sagt sie. Nach zwei Jahren kamen aber die Gefühle füreinander.

Es ist ein sehr alternatives Modell, das die drei leben. Die Gesellschaft sei für so etwas nicht bereit, meint Oliver. Tara und er wollen trotzdem heiraten. Mit Ringen, in weiß. Auch wenn das nicht geht. Wie passt die traditionelle Ehe zu einem so offenen Beziehungskonzept wie Polyamorie? Hochzeit ist nicht nur eine Entscheidung aus Liebe, sondern oft auch eine finanzielle. Die Ehe bringt steuerliche Vorteile, das Paar sichert sich gegenseitig ab. Bei Tara und Oliver ist die geplante Hochzeit nur ein Symbol, ein Bekenntnis zueinander. Den beiden geht es aber auch darum, Hierarchien abzubauen. Zurzeit ist Emily die Ehefrau und Tara die Verlobte. Es ist eine Abstufung, die vor allem nach außen eine Rolle spielt. Taras Familie akzeptiert ihre Beziehung zu Oliver, aber es ist nicht leicht. Als Tara mit ihrer Mutter im Auto sitzt, läuft im Radio ein Lied der Sängerin Shakira.
 „Shakira hat so einen schönen Mann“, sagt die Mutter. „Ich auch“, antwortet Tara. „Nein. Das ist nicht dein Mann.“

Auch in der gemeinsamen Wohnung von Oliver, Tara und Emily ist diese Abstufung noch zu spüren. Dort hängen Bilder von Oliver und Emily, Fotos von der Hochzeit, Fotos mit gemeinsamen Freunden. Nur auf zwei Bildern ist Tara zu sehen, eins davon zeigt alle drei auf dem Oktoberfest. Vor der Bilderwand im Schlafzimmer sagt sie: „Da wollte ich irgendwann auch hängen.“

Eine weitere Abstufung wird immer bleiben: der Nachname. Den teilen sich Oliver und Emily. Emily sagt, der gemeinsame Nachname sei eine bewusste Entscheidung gewesen, um zu zeigen, „dass man fest zueinander gehört“. Als Tara Oliver erzählt, dass sie sich für ihn tätowieren lassen will, schlägt er seine Initialen vor. Das will sie nicht. Denn das zweite Initial steht für den gemeinsamen Nachnamen von Oliver und Emily. „Das gehört den Beiden, da will ich nicht ran“, sagt Tara.

Tara weiß: Wenn sie sich für ein Leben mit Oliver entscheidet, entscheidet sie sich auch für ein Leben mit Emily

Respekt vor der Liebe der anderen, das ist ein wichtiger Aspekt in der Dreiecksbeziehung. „Emily hat andere Qualitäten als ich und Oliver liebt sie auf eine andere Weise, als er mich liebt“, sagt Tara. Man braucht sichere Zweierbeziehungen, glaubt Emily, sonst entsteht Eifersucht.

Als Oliver und Tara zusammenkommen, ist Emily eifersüchtig. Auf die Beziehung, auf Tara, darauf, wie er sie anschaut. Dann entdeckt sie die sogenannte Resonanzfreude, ein fester Begriff bei Polyamorösen. Man freut sich darüber, dass ein Mensch von einem anderen Menschen geliebt wird. Es ist das Gegenteil von Eifersucht. „Tara macht Oliver glücklich. Und mit diesem glücklichen Oliver bin ich zusammen“, sagt Emily. Und auch Tara weiß: Wenn sie sich für ein Leben mit Oliver entscheidet, entscheidet sie sich auch für ein Leben mit Emily.

Es ist ein Leben zu dritt, das nicht immer leicht ist. Es braucht Organisation. Seit kurzem haben die drei ihre Kalender auf dem Handy synchronisiert, mit Farbe wird gekennzeichnet, wer wann mit Oliver Zeit verbringt. Dunkelblau steht für Emily und Oliver, hellblau für Tara und Oliver. „Die Zeiteinteilung ist bei Polyamorie die größte Schwierigkeit“, sagt Tara. Emily, die als Notfallärztin arbeitet, hat oft Nachtdienste und 24-Stunden- Schichten. Wenn sie zur Arbeit geht, verbringen Oliver und Tara Zeit miteinander. Wenn Emily von der Arbeit zurückkommt, bringt sie Frühstück mit. Das ist Zeit, die sie zu dritt verbringen.

In der gemeinsamen Wohnung steht nur ein Bett, dort schlafen sie auch gemeinsam. Oliver liegt in der Mitte. Er hat eine neue Bettdecke gekauft, eine, unter der jetzt alle drei Platz haben. „Es ist eine Sommerdecke, sonst ist es ihm zu heiß“, sagt Tara.

Wenn sie von der Zeit zu dritt erzählt, spricht Tara oft von Familie. So fühlt es sich für sie an beim Frühstück und wenn sie zu dritt durch die Stadt laufen. Auch Emily sieht das inzwischen so. „Ich fühle mich ein bisschen wie Taras große Schwester“, sagt sie. Als Tara nach Heiligabend in die gemeinsame Wohnung einzieht, legt Emily ihr einen Zettel in den Kleiderschrank. „Welcome Home, Girl. P.S.: Pudding steht im Kühlschrank.“

Tara will mit der Hochzeit nichts überstürzen. Es ist keine Entscheidung allein zwischen Oliver und ihr, es geht nicht ohne Emily. Heiraten will Tara aber unbedingt, auch wenn die Ehe nie anerkannt wird. Und es muss ja nicht Taras einzige Hochzeit sein. „Vielleicht heirate ich ja nochmal irgendwann“, sagt sie. „Irgendwen anderes.“

Dieser Text ist aus dem Klartext-Magazin „Hochzeit“ von der Deutschen Journalistenschule. Damit das Heft gedruckt werden kann, sammelt die Klasse derzeit Geld auf startnext.  

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