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„Da ist ganz, ganz viel Angst. Aber weniger als vor unserem Treffen“

Foto: twitter / norman @deinTherapeut

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Einen obdachlosen Menschen finden, mit nichts als einem ein Jahr alten Foto und dem Wissen, dass er irgendwo in Hamburg leben soll – das klingt unmöglich. Norman hat es aber geschafft. Mit Hilfe vieler Twitter-Nutzer, die ihm bei seiner Suche halfen. Mit diesem Tweet hatte er seine Follower um Hilfe gebeten. Und tatsächlich – nach kurzer Zeit meldeten sich Menschen bei Norman, die seinen Vater vom Sehen kannten.

Am 4. Januar dann konnten sie zum ersten Mal seit Jahren wieder miteinander telefonieren. Und am vergangenen Wochenende flog Norman, der in Boston gerade ein Au-Pair-Jahr macht, nach Hamburg, um dort seinen Vater wiederzusehen. Seine beste Freundin begleitete ihn dabei – virtuell waren tausende Twitter-Follower bei ihm. Wir haben mit Norman über das Treffen mit seinem Vater gesprochen.

jetzt: Norman, du hast am Wochenende endlich deinen Vater gesehen. Aber zwischendurch drohte das Treffen zu platzen. Das muss wahnsinnig aufwühlend gewesen sein. Was dachtest du da?

Norman: Das war wirklich krass, weil ich ja in den letzten Monaten an nichts anderes denken konnte. Ich habe von Boston aus einen unglaublichen Aufwand betrieben und bin mit der Hoffnung nach Deutschland geflogen, dass ich ihn treffen würde. Wir hatten einen Ort und einen Zeitpunkt fest ausgemacht. Dann zwei Stunden vor dem verabredeten Zeitpunkt zu erfahren, dass er nicht kommen würde, war extrem frustrierend und enttäuschend. Und natürlich habe ich mir auch Sorgen gemacht. Es hieß ja, dass er in einem sehr schlechten körperlichen Zustand ist. In der Nähe standen ein paar Obdachlose, mit denen ist unser Kontaktmann ins Gespräch gekommen. Und die konnten uns dann zum Glück sagen, wo er war: in der Sparkasse.

Habt ihr euch öfter getroffen?

Wir waren zweimal zusammen. Am ersten Tag haben wir ihn an seinem Schlafplatz in der Sparkasse gefunden. Nachdem ich ihn aufgeweckt hatte, sind wir zusammen in ein Café gegangen. Allerdings wollte er nur draußen sitzen, weil es ihm in geschlossenen Räumen immer viel zu warm ist. Wir saßen die ganze Zeit draußen. Ihm war total wohl – meine beste Freundin Lisa, unsere Kontaktperson und ich haben total gefroren. Aber ist ja auch klar: Sein Organismus ist total auf das Leben draußen eingestellt. Beim zweiten Mal haben wir einen Spaziergang gemacht.

Welchen Eindruck machte dein Vater auf dich? Hast du das Gefühl, dass er in der Lage ist, weiter Kontakt zu halten?

Das ist nicht so einfach, wie es vielleicht momentan scheint. Gerade sind ja alle Berichte über unser Wiedersehen wahnsinnig positiv, was auch daran liegt, dass ich mich mit negativen Details eher zurückgehalten habe. Erst mal bin ich ja froh, dass unser Treffen überhaupt zustande gekommen ist und dass er immer noch die gleiche Person ist wie früher.

Aber natürlich hat man gemerkt, dass die letzten zehn Jahre sehr an ihm gezehrt haben. Er ist vor Kurzem auf den Arm gefallen, deshalb war er auch im Krankenhaus. Aber dort hat er sich, wie schon öfter, selbst entlassen. Als ich ihn gesehen habe, war der Arm total dick und definitiv nicht verheilt.

Und dann ist es auch so, dass der Alkohol ganz viel in seinem Kopf kaputt gemacht hat. Man merkt, dass vieles, was man ihm sagt, durch seinen Kopf durchrieselt. Und eine Information für ihn völlig neu ist, die man ihm zehn Minuten vorher erzählt hat. Das macht es echt, echt schwierig, mit ihm zu planen, egal ob es da um Verabredungen geht oder darum, eine Wohnung für ihn zu suchen. Er weiß einfach sehr oft nicht, was man kurz vorher mit ihm abgesprochen hat. Mein Kontaktmann hatte mich vor unserem zweiten Treffen auch schon vorgewarnt, dass er mich möglicherweise nicht wiedererkennen würde. Ich war unglaublich aufgeregt, als ich ihn aufgeweckt habe. Aber als er dann wach war und ich ihn gefragt habe, ob er mich erkennt, meinte er: „Na klar, Norman!“ – und ich war unglaublich erleichtert.

Wie geht es dir jetzt? Ich stell mir vor, dass es – trotz der Wiedersehensfreude – auch extrem belastend für dich sein muss, deinen Vater in so einem schlechten Zustand zu sehen.

Klar, das ist es. Er war auch in einem deutlich schlechteren Zustand als noch vor einem Jahr, als das Foto aufgenommen wurde, mit dem ich ihn suchte. Mein Gehirn ist randvoll. Ich denke, das trifft meinen Zustand am ehesten. Ich habe unheimlich viele Emotionen und Gedanken. Es kommen gerade auch viele tolle Hilfsangebote, die ich gerne annehmen oder zumindest sortieren würde. Aber gerade finde ich dafür gar nicht die Zeit und habe auch nicht den Kopf, das zu machen.

War deine Mutter auch involviert?

Die Idee, ihn zu treffen, ist von mir gekommen. Das habe ich vorher auch nur mit meinem Bruder besprochen und nicht mit meiner Mutter, weil die mit diesem Abschnitt ihres Lebens abgeschlossen hat. Wenn ich an die Zeit vor zwölf Jahren zurückdenke, als meine Mutter wie ein Tier gearbeitet hat, um uns durchzubringen, verstehe ich ihre Haltung auch total. Es war meine eigene Entscheidung, ihn zu suchen und dann auch zu treffen. Aber meine Mutter schreibt mir immer und fragt mich, wie es gelaufen ist, auch wenn ihr das Thema eigentlich zu nahe geht.

Hast du jemanden, der dich emotional unterstützt?

Meine beste Freundin war in den letzten Tagen eine ganz, ganz große Stütze. Die war ununterbrochen für mich da und hat mir die Hand gehalten und hat mich unterstützt.

Mein Bruder war auch für mich da. Und ich wusste natürlich auch, dass viele Menschen auf Twitter mit mir mitfiebern und mitfühlen. Das hat mir auch sehr geholfen. Und dann gab es auch noch die Kontaktperson, die mich auch sehr unterstützt hat. Als wir am ersten Tag zu dem Treffpunkt gegangen sind, standen vor der Sparkasse ein paar Obdachlose. Ich hätte es vor lauter emotionaler Überforderung nicht geschafft, mit denen ins Gespräch zu kommen. Das hat er übernommen und die konnten uns dann tatsächlich sagen, wo mein Vater ist.  

Hast du mit deinem Vater auch über die Kritik gesprochen, der du auf Twitter ausgesetzt warst? Dass er durch deine Bild-Veröffentlichung „berühmt“ wurde, ohne selbst entscheiden zu können, ob er das mag?

Explizit angesprochen habe ich das nicht, weil ich denke: Mein Papa hat ganz andere Probleme. Aber als wir am zweiten Tag einen Spaziergang gemacht haben, hat er mich gefragt, wie ich ihn eigentlich gefunden habe. Da meinte ich: „Durch das Internet.“ Und er hat nur gesagt: „Hä? Aber ich hab doch gar kein Internet.“ Es ist also komplett an ihm vorübergegangen, dass er da draußen gesucht wurde.

Wie geht es jetzt eigentlich weiter? Könnt ihr überhaupt Kontakt halten?

Mein Vater hat kein Telefon, aber wir haben uns verabredet, zu telefonieren. Unser gemeinsamer Kontakt in Hamburg besorgt ihm in den nächsten Tagen warme Klamotten und wenn er ihm die gibt, werden wir wieder miteinander telefonieren. Ich bin immer erreichbar. Und meine Freundin Lisa hat gesagt, dass sie alle paar Wochen nach Hamburg fahren und nach ihm sehen wird. Das sind eigentlich gute Kontaktmöglichkeiten. Meine große Aufgabe wird sein, von den USA aus Hilfsangebote zu koordinieren. Das werde ich in Angriff nehmen, sobald ich wieder zurück in Boston bin.

Mit welchem Gefühl denkst du an eure Zukunft?

Da ist ganz, ganz viel Angst. Aber weniger als vor unserem Treffen. Meine Hoffnung ist größer geworden, auch wenn ich weiß, dass es ein langer Weg sein wird, meinem Vater zu helfen.

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