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Muttersoehnchen: Mit Mama beim Friseur
Unser Autor möchte lieber anonym bleiben. Seine Mutter ist zwar mit dieser Kolumne einverstanden, möchte aber lieber nicht mit all ihren Bekannten darüber reden müssen.
Mein neuer Haarschnitt ist scheiße. Von meinem Kopf baumelt jetzt eine Schmalzlocke. Das sieht total beknackt aus. Außerdem muss ich mir ständig die Haare mit der Hand hinter das Ohr schieben. Wie männlich wirkt das denn bitte? Schon mal gesehen, wie Rocky eine Strähne hinters Ohr legt, bevor er seinem Kontrahenten auf die Schnauze haut? Eben. Sowas macht bloß Barbie, um Ken beim Candle-Light-Dinner zu signalisieren, dass sie flirtbereit ist wie ein Rothuhn in der Paarungszeit. Und alles bloß, weil meine Mutter mich zu ihrem Friseur geschleppt hat.
Normalerweise gehe ich zum Türken bei mir um die Ecke für acht Euro. Und das läuft eigentlich immer folgendermaßen ab:
Er fragt: „Was wollen?“
Ich sage: „Nun, ich dachte an etwas Modernes und Freches. Ein bisschen Chris Pratt mit einer Nuance Robbie Williams in den Spitzen. Oder was meinen Sie?“
Er fragt: „Rasierer?“
Und ich sage dann zögerlich: „Na gut... Rasierer.“
Nach 15 Minuten verlasse ich den Salon mit dem gleichen Haarschnitt wie er, aber das ist in Ordnung. Der schlichte Kurzhaarschnitt kommt doch nie aus der Mode.
Ich bin das 1,90 Meter große Statussymbol meiner Mutter
Vergangene Woche ist allerdings die Tante meiner Mutter gestorben. Die Beerdigung war an einem Samstag in einem kleinen Örtchen in Baden-Württemberg und meine Mutter wollte, dass ich bei diesem Anlass ordentlich aussehe. Das möchte sie eigentlich immer. Selbst wenn ich bloß leere Weinflaschen zu den Glascontainern auf der anderen Straßenseite bringe, fragt sie: „Kannst du dir bitte was vernünftiges anziehen, wenn du aus dem Haus gehst? Ich sehe dich immer nur in zerrissenen Jeans. Du läufst rum wie ein Penner.“
Auf den Weihnachtskarten meiner Lebensjahre drei bis 14 trage ich einen Seitenscheitel. So schlimm ist es heute nicht mehr, aber der Stolz einer Mutter auf ihr Kind lässt leider nie nach. Ich bin ein 1,90 Meter großes Statussymbol. Eine Rolex mit Reizdarm sozusagen. Auf jeder Veranstaltung prahlt sie vor ihren Freunden mit mir. Das war immer schon so. Völlig egal, wie unbedeutend meine Leistung war.
„Mein Schatz hat heute zum ersten Mal ganz alleine Kacki ins Töpfchen gemacht.“
„Mein Schatz ist jetzt im Stimmbruch.“
„Mein Schatz hat Abitur mit einem Schnitt von 3,4 gemacht.“
Meine Mutter und der Friseur beugten sich über mich und diskutierten über meinen Haarschnitt
Jedenfalls ignoriere ich die Stil-Ratschläge meiner Mutter normalerweise. Aber da der Tag schon traurig genug für sie sein würde, wollte ich ihr zumindest diesen Gefallen tun. Also folgte ich ihr zu ihrem Star-Figaro. 60 Euro musste ich berappen. Blöde Beerdigung. Es trifft echt immer die falschen. Um es kurz zu machen: Meine Mutter und der Friseur beugten sich über mich und diskutierten darüber, welcher Haarschnitt zu mir passen würde. Am Ende schnitt er mir diese Strähne in den Schopf und meinte: „Das passt super zu dir. Das ist genau dein Stil.“ Der Arsch.
Nachdem wir den Salon verlassen hatten, brauchte ich noch einen schwarzen Anzug. Also gingen wir direkt weiter in ein Modekaufhaus in der Innenstadt. Meine Mutter nahm ein paar Anzüge von der Stange und drückte sie mir in die Hand, mit denen verschwand ich dann in die Umkleidekabine. Meine Mutter wartete vor dem Vorhang und rief, so dass alle Kunden sie hören konnten: „Bist du fertig? Komm doch mal raus und zeig dich.“
Ich gehorchte und stand mit Socken und einer Anzughose, die ohne Gürtel rutschte, mitten im Kaufhaus. Sie sagte: „Und jetzt von hinten.“ Ein Satz, den ich eigentlich niemals von meiner Mutter hören wollte. Ich drehte mich um. Meine Mutter griff mit beiden Händen meinen Hosenbund und zog meine Hose vor den Augen aller Kunden nach oben. „Hm. Bisschen zu groß. Probier bitte mal eine Nummer kleiner.“ Ich hab mich noch nie so unwohl gefühlt in meinem Leben. Und ich hab immerhin schon mal husten müssen, während meine Hoden in den Händen einer alten Stabsärztin lagen.
Dass meine Mutter mir diese Verantwortung übertrug, rührte mich
Die Beerdigung war an sich aber schön, soweit eine Trauerzeremonie halt schön sein kann. Der Pfarrer sprach sehr nette Worte über die Tante meiner Mutter und als wir im Zug wieder nach Hause fuhren, fragte ich: „Hast du eigentlich ein Testament?“
„Nein. Das lohnt sich nicht. Ich habe ja nichts, was ich vererben könnte. Ich hab aber vor ein paar Jahren lediglich eine Verfügung unterschrieben, dass du alle Entscheidungen triffst, wenn ich im Koma liege.“
Dass meine Mutter mir diese Verantwortung übertrug, rührte mich irgendwie. „Mach dir keine Sorgen. Ich verspreche, ich werde alle Maschinen abschalten und dich nicht künstlich am Leben halten.“
„Was? Nein! Auf keinen Fall. Ich will, dass du jedes nur erdenkliche Kabel an mich anschließt.“
„Naja, ich würde sagen, das sehen wir dann ...“
Nach einer Pause fuhr ich fort. „Trotzdem solltest du ein Testament machen. Alleine schon um festzuhalten, ob du beerdigt oder verbrannt werden möchtest.“
„Das ist mir eigentlich egal. Aber ich möchte ein Familiengrab, in dem wir zusammenliegen.“
Bei diesem Gedanken läuft es mir eiskalt über den Rücken. Über den Tod hinaus bis in alle Ewigkeit mit meiner Mutter zusammenwohnen? Das habe ich nicht verdient ...
Du bist jünger als 60 und bereit, unseren Autoren aufzunehmen, damit er nicht mehr bei seiner Mama wohnen muss? Dann schreib ihm am besten direkt an: Mutter.Soehnchen83@gmx.de