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Marie Kondo, kannst du bitte meinen Freundeskreis aufräumen?
Ich habe eine Freundin, die kann ich nicht leiden. Das klingt nicht nur hundsgemein, das fühlt sich auch so an. Jedesmal, wenn sie mir schreibt, mich anruft, mich besuchen will, bin ich genervt. Ich kann sie einfach nicht ertragen. Das war schon immer so und ich bin mir ziemlich sicher, dass das auch so bleiben wird. Und doch gibt es diese Freundschaft seit nun mehr als zehn Jahren.
Wir freundeten uns einst an, weil sie mich darum bat (wortwörtlich!) und sie mir leid tat. Ich weiß schon: falsches Motiv für so eine Freundschaft, aber das war mir damals einfach nicht klar. Inzwischen weiß ich es – nur nicht genau, wie ich das Ganze jetzt beenden sollte. Und dann begegnet mir eine Serie auf Netflix, die mich aufhorchen lässt: „Tidying up“ mit Marie Kondo.
Erst nervt mich die Serie. Für mich ist sie nur eine andere Form der Youtube-Ratgeber für eine minimalistische Lebensweise. Nichts wirklich Neues, lediglich angereichert „mit einem Hauch von Sozialporno“. Aber die Konmari-Methode, so fällt mir dann auf, ist eben nicht wie andere minimalistische Anleitungen.
Sie verteufelt „zu viel Zeug“ nicht, sondern vermenschlicht es quasi. Die Japanerin spricht jedem Gegenstand eine Geschichte und den Anspruch auf gute Behandlung zu. Für sie ist jedes Ding in gewisser Hinsicht wertvoll, trotzdem muss man sich unter Umständen von ihm verabschieden. Nämlich immer dann, wenn die Antwort auf die Frage „Does this spark you joy?“ (also „Macht dir das Freude?“) „Nein“ lautet.
Wäre es nicht wirklich an der Zeit, auch mein Sozialleben mal aufzuräumen?
Wahrscheinlich schrieb die Satireseite Der Postillon gerade deshalb kürzlich scherzweise: „Aufräum-Expertin Marie Kondo empfiehlt, maximal drei Familienmitglieder zu behalten“. Erst lachte ich – und dann dachte ich darüber nach.
Klar, für oder gegen meine Familie kann ich mich kaum entscheiden. Aber mein Sozialleben im Ganzen ist sehr wohl meine Entscheidung. Wäre es da nicht an der Zeit, auch einfach mal aufzuräumen? Nicht auszumisten, wie ich es beispielsweise beim Auszug aus meinem Kinderzimmer tat. Da ging es nicht besonders würdevoll zu, ich schmiss einfach raus, was ich nicht mehr brauchen konnte. Aber ich möchte doch mit Verstand und Gefühl sortieren. Mir genau überlegen, wer mich glücklich macht und wer mich erdrückt oder einengt. Nötig wäre es nämlich.
Schließlich ist meine „Freundin“ nicht die einzige Person, die mir schon länger nicht mehr gut tut. Da gibt es diverse Exfreunde, die eigentlich längst nicht mehr zu meinem Leben gehören sollten, sich aber trotzdem ab und an darin breitmachen. Bekannte, die sich erst melden, seit ich bei den Medien arbeite und theoretisch ihre Projekte vermarkten könnte. Und einige Freunde, die viel von mir fordern, aber wenig zurückgeben wollen.
All diese Menschen haben in mir leider schon lange keine „Joy“ mehr „gesparkt“, sondern mich vor allem unter Druck gesetzt. Es wird also eigentlich Zeit, sie loszulassen. Meinen Freundes- und Bekanntenkreis zu sortieren, wie Marie Kondo es mit Schränken tut: Das heißt zwar nicht, dass ich all die Menschen, mit denen ich zu tun habe, auf einen Haufen werfen will, wie die Japanerin es immer zu Beginn mit Dingen macht. Damit wären sie vermutlich nicht einverstanden und ein gewisses Maß an Chaos könnte das immerhin auch bedeuten. Aber eine Liste mit Namen wäre vielleicht gut. Erst alle Menschen aus meinem Leben darauf zu sammeln, um dann zu entscheiden: Wen davon möchte ich unbedingt weiter in meinem Leben wissen?
Wer bleiben soll, soll dann mehr Raum in meinem Leben bekommen. An einer Stelle Platz nehmen, die ihm allein vorbehalten ist, an der ich ihn würdigen kann und niemals wieder übersehe. Er kann sich dann darauf verlassen, dass er immer wieder an diesen Platz zurückkommen darf.
Marie Kondo schafft es, sogar das Entsorgen von Dingen mit Respekt und Fürsorge zu vollziehen
Dieser Raum kann aber eben nur entstehen, indem andere Räume freiwerden. Dafür muss man Menschen verabschieden, die man ohnehin nicht mehr gern hatte, die man oft genug kläglich vernachlässigt hat. Sie hatten schließlich auch nicht so wahnsinnig viel von einer Freundin, die sich nur aus Pflichtgefühl meldete.
Gerade wegen dieses Schrittes wäre Hilfe von Marie Kondo so gut: Denn irgendwie schafft sie es, alles, sogar das Entsorgen von Dingen, mit fast schon einem Übermaß an Respekt und Fürsorge zu vollziehen. Sie drückt jedem Gegenstand gegenüber Dankbarkeit aus, bevor er verabschiedet wird. Beim Wegwerfen von Dingen mag das übertrieben sein, aber fürs Aufräumen im Freundeskreis eignet sich die Konmari-Methode so einfach perfekt.
Zu schön wäre es also, wenn diese Frau vor meiner Tür stünde, und anfinge, auszusortieren. Sie könnte mir damit etwas abnehmen, das ich schon lange vor mir herschiebe. Aber ich will es auch so versuchen, mir ein Beispiel an ihr nehmen.
Ich beginne wahrscheinlich bei meiner Freundin, die keine ist. Ihr will ich auf die nächste Nachricht hin sagen, dass ich ihr sehr dankbar bin dafür, dass sie mich gern hat. Aber dass ich gerade nicht frei genug bin, um den Kontakt so weiter zu halten. Und wahrscheinlich tue ich damit nicht nur mir einen Gefallen. Schließlich gebe ich so auch in ihrem Leben einen Platz frei, über den sich andere sicher mehr freuen.
*Die Autorin möchte anonym bleiben, um ihre Freundin nicht vorab und wenig respektvoll übers Internet abzuservieren.