- • Startseite
- • Liebe und Beziehung
-
•
Was denken junge Menschen verschiedener Generationen über Liebesbriefe
Der Liebesbrief unserer Zeit besteht aus einem < und einer 3. Wir flirten über soziale Medien, wir schicken Emojis, Selfies und finden uns bei Tinder oder Bumble. Den Wunsch, dem liebsten Menschen mitzuteilen, dass man ihn sooo sehr mag, kennt man. Aber was ist eigentlich aus den guten alten Liebesbriefen geworden? Also: richtige Briefe auf richtigem Papier in einem Umschlag mit einer Briefmarke. Von Hand geschrieben. In Bibliotheken in allen Ländern der Erde stapeln sich Papiergebirge an Liebesbriefen von liebestollen Schriftstellern, Seeräubern, Kaisern, Königen. Und selten auch von Königinnen.
Und heute? Warum noch Papier? Warum das Brimborium? Wir haben mit jungen Menschen über Liebesbriefe gesprochen – übers Liebesbriefe bekommen, übers Liebesbriefe schreiben und übers Liebesbriefe lesen. Und wir haben sie gefragt: Brauchen wir das heute überhaupt noch?
„Er war mit Parfum eingesprüht und auf so schönem Papier geschrieben“
Clara, 26: „An einen Liebesbrief erinnere ich mich sofort: ein Liebesbrief, wie man ihn sich vorstellt. Der Brief war von Hand geschrieben. Er war mit Parfum eingesprüht und auf so schönem Papier geschrieben. Und er kam von einer Person, die mir damals echt wichtig war. Wir haben viel Zeit miteinander verbracht. Trotzdem hat es hat nie so recht geklappt mit uns. Und als das dann auseinander ging, hat er mir als letzten Akt diesen Brief geschrieben. Im Kuvert lagen auch noch lose, ausgeschnittene Buchstaben. Vermutlich hätten die einen Satz ergeben sollen oder ein Wort oder irgendwas. Ich habe aber nicht rausbekommen, was dieser Buchstabensalat von mir wollte. Den Brief bewahre ich heute noch auf. Er ist eine schöne Erinnerung. Trotzdem weiß ich immer noch nicht, was ich mit diesen Buchstaben hätte machen sollen.
Da war das mit meinem Auto schon deutlicher: Einmal hat jemand den Parkplatz, auf dem mein Opel Corsa stand, mit Herzen vollgemalt und Rosen über dem Auto ausgeschüttet. Das war wohl auch so eine Art Liebesbrief.“
„In diesem Land konnte man keine Liebesbriefe mit der Post verschicken“
Shahrzad, 36: „Ich bin im Iran aufgewachsen. Damals war es in diesem erzkonservativen Land nicht üblich, dass sich Menschen Liebesbriefe schreiben. Liebe war dort tabuisiert, außereheliche Beziehungen zum anderen Geschlecht waren untersagt, zum selben Geschlecht sogar verboten. In der iranischen Republik hat man nicht offen über seine Gefühle gesprochen. Besonders nicht, wenn sie von den Traditionen abgewichen sind. In diesem Land konnte man keine Liebesbriefe mit der Post verschicken, weil sie ja in die falschen Hände geraten konnten. Ich kenne niemanden, der das gemacht hat. Es war zu gefährlich.
Als ich elf Jahre alt war habe ich aber im Bücherregal meiner Eltern in Teheran ein Buch gefunden. Es war ein blaues Buch mit Strohpapier. Kaputt und zerbröselt. Eine Sammlung von Beethovens Liebesbriefen. Eine persische Übersetzung mit Originalfotos der Briefe. Ich habe dieses Buch verschlungen. Ich hatte Herzklopfen beim Lesen. Ich wollte nicht, dass meine Eltern mich erwischen. Ich wusste ja nicht, was sie darüber sagen würden, ob ich es lesen, ob ich es überhaupt in der Hand halten darf? Das Buch hat mich in eine andere Welt mitgenommen. Ich wusste bis dahin nicht, dass Menschen so miteinander sprechen können. Ich kannte das nicht aus den Filmen und auch nicht von meinen Eltern. Dieses Buch war – für mich – die Öffnung zu einer neuen Welt.“
„Ich habe die Briefe damals quasi im Wochenrhythmus verschickt“
Jens, 33: „In der dritten Klasse habe ich immer den exakt gleich formulierten Liebesbrief verschickt. Es war immer die Ankreuzoption drin, immer Ja-Nein-Vielleicht und er begann immer mit „Ich schreibe dir diesen Brief, weil ich dir sagen will, dass ich dich liebe“. Jedes Mal! Es hat nur mäßig funktioniert. Mal ja, mal nein. Ich habe die Briefe damals ja auch quasi im Wochenrhythmus verschickt.
Irgendwann waren einer meiner besten Freunde und ich in dasselbe Mädchen „verliebt“, meine Nachbarin. Er wusste nicht, wie man einen Liebesbrief schreibt, da habe ich ihm gezeigt, wie ich das immer so mache. Der Fuchs hat mich dann ausgetrickst und meinen Standardbrief komplett, Wort für Wort, übernommen und ihr geschickt. Was mich zwang, mir einen anderen auszudenken. Am Ende wollte sie uns beide nicht, aber meinte, sein Brief sei der schönere gewesen. Naja!“
„Auf Papier habe ich auch noch nie einen Liebesbrief bekommen“
Toni, 19: „Wenn ich jemanden sehr mag und der Person das sagen will, würde ich niemals, niemals, einen Brief schreiben. Ich würde das direkt sagen. Keine Ahnung, was genau ich sagen würde, aber ich würde das jedenfalls nicht schreiben. Ist doch klar!
Auf Papier habe ich auch noch nie einen Liebesbrief bekommen, eher per Whatsapp. Aber: Mal einen richtigen Liebesbrief, von Hand geschrieben, bekommen, das wäre schon süß. Das würde ich feiern. Auf Papier! Nicht bei Whatsapp.“
„Heute ist das eine noch viel größere Geste, weil es so ungewöhnlich ist“
Sarah Claire, 27: „Gibt es diese Ja-Nein-Vielleicht-Zettel heute noch? Gab es die denn überhaupt jemals? Ich habe so einen Zettel noch nie geschrieben. Und noch nie bekommen. Jedes Mal, wenn ich einen Liebesbrief geschrieben habe, war das anders. Immer eine Überwindung. Es ist zwar wunderschön, jemandem zu schreiben, dass man ihn so sehr mag – aber es baut auch eine sehr große Erwartung auf. Die kann die Person, die den Brief empfängt, ja kaum erfüllen. Gerade in unserer digitalen Zeit ist so ein handgeschriebener Brief auf Papier so ein ganz klares Zeichen, manifestierte Zeit. Heute ist das eine noch viel größere Geste, weil es so ungewöhnlich ist. Ich denke, das wird auch nie aussterben. Die Form wandelt sich vielleicht, aber es wird immer Liebesbriefe geben. Denn auch eine Instagram-Story oder selbst ein Blumenstrauß können ja wie ein Liebesbrief sein.“
„Ich habe die Fetzen in meinem Tagebuch aufgehoben. Zum Glück!“
Lea, 22: „Es ging los, wie das immer losgeht: ich war vierzehn und mochte einen Typen. Ich war aber zu schüchtern, um ihm direkt ins Gesicht zu sagen, wie toll ich ihn finde. Also habe ich beschlossen, ihm einen Brief zu schreiben. Ich war damals ziemlich romantisch, Musik, Tagebuch, Gedichte und so. Am letzten Tag vor den Ferien wollte ich ihm den Brief überreichen. Ich weiß nicht, ob ich mich getraut hätte, ihm den Brief zu geben, wenn er mit seinen ganzen Kumpels vor mir gestanden wäre, aber ich hatte es mir zumindest fest vorgenommen. Dazu kam es dann aber nicht. Ich habe ihn an diesem Tag nicht in der Schule gefunden und ihm den Brief nicht gegeben. Nicht an diesem Tag vor den Sommerferien und auch nicht danach. Er hat den Brief nie gelesen. Und dann war ich traurig und sauer und habe den Brief nachts in meinem Zimmer zerrissen. Ich habe die Fetzen in meinem Tagebuch aufgehoben. Zum Glück! Jahre später, als ich aus meinem Kinderzimmer ausgezogen bin, habe ich die Brieffetzen wiedergefunden. Und mich gefragt, wie es dem Typen heute wohl gehen könnte. Ich habe ihn getroffen und wir mochten uns sofort. Wir waren drei Jahre lang ein Paar. Der Liebesbrief ist erst gescheitert, hat mich dann aber zu dieser Person zurückgeführt. Ich bin sehr dankbar, dass ich diesen Brief damals geschrieben und nicht weggeschmissen habe.“
„Wie soll man dieses intensive Empfinden in Worte fassen?“
Frederik, 23: „In einer Beziehung, in der ich vor Jahren lebte, haben wir uns keine Liebesbriefe hinterlassen, sondern Liebeszettelchen, Liebesnotizchen. Solche Texte sind wie Denkmäler für eine Person, wie Striche, die man am Türrahmen macht, wenn Kinder heranwachsen. Ich finde es schön, dass sie nur diesen einen, euphorischen Moment festhalten, diese fliehende Natur von Lust, das Vergängliche, Körperliche, Erotische. Und da liegt ja auch das Problem von Liebesbriefen: Wie soll man dieses intensive Empfinden in Worte fassen? In ehrliche Worte? Ohne Worthülsen? Für mich geht das nur auf Papier. Im digitalen Raum verliert sich der Charme der Briefe. Also los, schreibt euch Liebesbriefe!“