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Horror-Date, Folge 4: Der chauvinistische Dauergast
Dating-Situation: Urlaubsflirt, der zu Besuch kommt
Geschlecht und Alter des Dating-Partners: männlich, 27 Jahre alt
Horror-Stufe: 7 von 10
Ich habe ihn auf einer Konferenz in London kennengelernt. Er gefiel mir sofort. Wache Augen, charismatisch und überaus intelligent. Am letzten Abend versuchte er mich zu überreden, noch mit zu ihm zu kommen. Mit zu ihm, das bedeutete in ein 10-Bett-Zimmer in einem Hostel. Abgesehen davon, dass mich das wenig reizte, waren seine Überzeugungsversuche nicht sonderlich einfallsreich, sondern eher ziemlich platt. Aber ich war von seiner Hartnäckigkeit beeindruckt und natürlich geschmeichelt. Vielleicht mochte er mich ja wirklich.
Bei der Abreise machten wir aus, dass er mich bald besuchen kommen würde. Er hatte zuvor in Nepal gelebt und ausgerechnet an dem Samstag, an dem er zu mir kam, passierte das Erdbeben in der Region um Kathmandu. Naturgewalt, dagegen kann man nichts machen. Trotzdem war es etwas seltsam, was dann passierte. Er verbrachte von da an 24 Stunden pro Tag die neusten Nachrichten checkend und weltmännisch telefonierend an seinem Computer. Da saßen wir nun: eine eigentlich wildfremde Person und ich in meiner Einzimmerwohnung.
Ich gab mir Mühe, verständnisvoll zu reagieren. Und versuchte mit aller Macht, das Ganze nicht persönlich zu nehmen. Alle Unternehmungen, die wir bis dahin geplant hatten, wurden restlos gestrichen und ich wusste nicht, was ich mit mir anfangen sollte. In meiner Verzweiflung sah ich die meiste Zeit einfach fern, was er immer wieder mit abfälligen Kommentaren über mich und meinen Bildungsstand quittierte. Er sagte, jemand wie er wäre nichts für mich, ich bräuchte ganz offensichtlich jemanden, mit dem ich abends zu Hause sitzen und Fernsehen gucken könnte.
Grundsätzlich schien ich in der kurzen Zeit in London ein sehr unvorteilhaftes Bild hinterlassen zu haben. Details über mich oder meine Lebensumstände vergaß er, wenn sie ihn nicht interessierten. Davor fürchtete ich mich am meisten: vor seiner Gleichgültigkeit Dingen gegenüber, die er als unwichtig erachtete – also so ziemlich alles, was mich ausmachte. Mit einer unversöhnlichen Härte machte er deutlich, dass ich als schöne Frau an seiner Seite und fürs Bett gut zu gebrauchen sei, für den Rest aber eher nicht so.
Unangenehme Dating-Situationen kann man überstehen, sie gehen schnell vorbei. Allerdings nicht, wenn das Date mit der Absicht angetreten ist, mehrere Tage zu bleiben. Ich ging davon aus, er würde spätestens zum Ende des Wochenendes die Heimreise antreten – vor allem, nachdem die Geschehnisse in Nepal ihn jetzt so viel mehr interessierten als ich. Vorab hatte ich ihn nie gefragt, wann er denn wieder gehen würde, ich hatte ja angenommen, dass es schön werden würde.
An den Abenden forderte er mit absoluter Selbstverständlichkeit Sex ein
Aber während unserer wenigen Gespräche stellte sich heraus, dass unsere Vorstellungen für die Dauer seines Aufenthalts deutlich auseinandergingen. Er nistete sich (unter seinerseits bedenklichen hygienischen Zuständen) für ganze fünf Tage in meiner Wohnung ein. Für ihn gab es daran auch nichts zu rütteln, seine Züge waren fest gebucht. Zeitweise verbrachte ich ganze Nachmittage bei einer Freundin und überließ ihm kampflos meine Wohnung.
An den Abenden forderte er dann jedoch mit einer absoluten Selbstverständlichkeit Sex ein, denn, so seine Begründung, wir haben schließlich schon zwei Nächte in einem Bett geschlafen und dann könne man ihm als Mann den Sex ja nicht mehr verwehren. Mich verunsicherte diese Unverschämtheit eher, als dass ich sauer war: Das konnte doch nicht wirklich sein Ernst sein? Aber das war es. Mir erschien das wie die Pointe der Geschichte: Der weltgewandte, aufgeklärte und überaus intelligente junge Mann, der sich um Menschen im Erdbebengebiet sorgte, entpuppte sich als chauvinistischer Großkotz.
Wir blieben in Kontakt und die Zeit nach seiner Abreise verblendete meine Erinnerung, sodass ich darüber lachen konnte und seine passiv-aggressive Verklemmtheit auf die (aber auch wirklich sehr unglücklichen) Umstände schob. Wir trafen uns ein halbes Jahr später noch einmal in einer anderen Stadt – und so viel sei gesagt: Es ging nicht gut aus.
Die Autorin dieses Textes hat darum gebeten, anonym zu bleiben. Sie ist der Redaktion aber bekannt.