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Horror-Date: Die Traumfrau, die keine war

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Dating-Situation: Ein nächtliches Tinderdate, zu dem sie mich abholte und mit zu sich nach Hause nahm

Alter und Geschlecht des Dates: weiblich, hoffentlich 17 Jahre alt

Horror-Stufe: 8 von 10  

Selbst von den schlimmsten Dates nimmt man ja immer irgendetwas mit. In der Nacht habe ich gelernt: Niemals sturzbesoffen auf ein Treffen gehen. Und: Tinder hat mehr mit Mc Donald's zu tun, als wir alle denken.

Damals war ich eines dieser coolen Backpacker-Girls, die nach dem Abi Weihnachten on the beach verbringen wollten. Und das habe ich auch gemacht, aber mit einem Kerl, mit dem ich schon die sechs Monate davor die Nächte in the hostel und die Tage in the car oder city verbracht hatte. Und jeder, der schon einmal mit irgendwem auf Reisen war, der weiß, dass man irgendwann den anderen nicht mehr atmen hören kann, ohne laut aufzustöhnen.

Also ging ich an diesem Abend auf eine Party. Allein. Und es war eine guuute Party, wirklich gut, mit langbärtigen Iren, die Witze machten, als hätten sie den Humor erfunden und langhaarigen Spanierinnen, die tanzten, als hätten sie den Rhythmus erfunden. Irgendwann hat mich der allgemeine Party-Pegel dann zum flirten mit Typen gezwungen, was mich aber nur deprimierte. Ich wusste damals schon ziemlich sicher, dass Kerle nichts für mich sind, und mein besoffenes Ich war natürlich fest entschlossen, das auch zu beweisen. Und da, ping, poppte die Tinder-Konversation vom Abend zuvor in meinem Kopf auf und in meiner unüberlegten Trunkenheit schrieb ich dieser Traumfrau mit den blonden Haaren und den vollen Lippen eine Nachricht. Das mit den betrunkenen Nachrichten kennen wir ja alle, nur war ich eben in einem fremden Land, in einem fremden Haus mit fremden Menschen und schrieb einer völlig fremden Person. Es sollte mein erstes Tinder-Date überhaupt werden. Krassheitsstufe 11 von 10.

Sie kam mit dem Auto, um mich abzuholen. Ich taumelte also von der Party raus ins Ungewisse, vielleicht in die Arme eines Vergewaltigers, vielleicht in die Arme meiner Traumfrau, vielleicht in die Arme einer Frau, die kein Traum, aber trotzdem ganz okay war. Am Ende war es nichts von alledem.

Als ich einstieg, fuhr sie sofort los und in der Dunkelheit konnte ich eigentlich nichts von ihr erkennen. Die ganze Fahrt lang plapperte ich sie in einer Art lallendem Denglisch zu – und sie war still.

Bei ihr angekommen taumelte ich dann durch den Gang und palaverte weiter, und da flüsterte sie zum ersten Mal irgendwas, übersetzt ungefähr: „Psscht, meine Eltern.“ Also drehte ich mich um und sah sie im Ganglicht zum ersten Mal wirklich.

Sie war keine Traumfrau wie auf den Profilbildern, sie war nicht einmal eine Frau, sondern eher ein pubertierendes Mädchen. Inklusive Zahnspange und Pickel und Mama und Papa, die schliefen.

Und da dachte ich auf einmal an Mc-Donalds-Burger, auch ein bisschen, weil der Bierhunger kam, aber vor allem, weil ich die Erleuchtung hatte, dass Tinder-Profile eigentlich nur menschgewordene Mc-Donalds-Werbung sind. Mit der Realität haben sie wenig zu tun. Ich hatte mir den Big Mac mit goldbraunem Brötchen, saftigem Fleisch, knackig-grünem Salat und am Rand herabschmelzendem Käse vorgestellt, dann war's aber halt doch das lätschige Toastbrotzeug mit verkümmertem Salat und Formfleisch, an dem ein ungesund aussehender Scheiblettenkäse klebt.

Und das ist ja irgendwie auch okay, aber nicht, wenn man wirklich die abgebildete Schönheit erwartet. Ich hatte ein Date haben wollen, wie man es von Tinder erwartet, mit wenig Reden und viel Nacktheit. Nur hätte sie meine kleine Schwester sein können (zumindest äußerlich, mindestens 17 musste sie ja gewesen sein, denn davor darf man sich in Neuseeland eigentlich nicht alleine hinters Steuer setzen). 

Ich tat also das, was in der Situation am besten war: Ich ließ mich zurück ins Hostel fahren und legte mich schlafen.

Also, wenn ich nüchtern gewesen wäre, hätte ich das getan - aber ich war ja sturzbesoffen. Ich knutschte also mit ihr herum. Immerhin war ich ja schon da und hatte Zeit investiert, ganz einfaches Kosten-Nutzen-Prinzip.

Es war furchtbar. Als würde ich einer Teenagerin Nachhilfe im Küssen geben und als wäre die dazu noch stock-hetero. Aber ich machte weiter, wollte es einfach durchziehen, war fest entschlossen. Nur war ich eben auch betrunken, zu betrunken und die Zahnspange, die Pickel, alles begann sich zu drehen, und zu drehen, und immer schneller zu drehen. Die nächsten 20 Minuten verbrachte ich auf der Toilette oder besser: über der Toilette und dachte über die Redensart „zum Kotzen“ nach.

Zurück im Zimmer gestand ich beschämt, was gerade passiert war und fragte sie, ob sie mich zurück fahren wollte. Aber sie küsste mich und wollte weitermachen. Ich muss nicht erwähnen, dass ich keine Zahnbürste dabei hatte.

Sie also so: The show must go on und ich so: NEIN! Ich schob sie angewidert von mir und bestand darauf zu gehen. Das musste ich mehrmals wiederholen, bis sie mich endlich ins Hostel brachte und dann zurückfuhr, um sich heimlich in ihr Bett zu schleichen, sodass Mami und Papi nichts von ihrem nächtlichen Lesbenbesuch mitbekamen.

Im knarzenden Hostelhochbett angekommen schwor ich mir, niemandem jemals davon zu erzählen und erst einmal auf Tinder zu verzichten. Eines davon hat geklappt.

*Die Autorin dieses Textes hat darum gebeten, anonym bleiben zu dürfen. Sie ist der Redaktion aber bekannt.

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