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Horror-Date: Der Pseudo-Koch

Grafik: jetzt

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Dating-Situation: ein Abendessen bei ihm zu Hause

Geschlecht und Alter des Dates: männlich, 35 Jahre alt

Horror-Stufe: 4 von 10

Wir hatten uns durch Online-Dating kennengelernt und das erste Treffen war sehr vielversprechend: Gesprächsthemen ohne Ende und wir lachten viel. Er war intelligent, Naturwissenschaftler mit großer Uni-Karriere, kam aus der Schweiz, sprach viele Sprachen, hatte ein hübsches, sympathisches Gesicht und  vielseitige Interessen. Zwar stellte vor allem ich Fragen, um das Gespräch am Laufen zu halten, aber ich dachte, er wäre wohl einfach etwas nervös. Beim nächsten Treffen würde das bestimmt ganz anders werden.

Eine Woche und viele Nachrichten später konnten wir uns endlich wiedersehen. Als er vorschlug, für mich zu kochen, nahm ich das Angebot sehr gerne an. Er hatte schon mit seinen Kochkünsten geprahlt, die ihm seine Mama beigebracht hatte.

Mit großem Hunger und Vorfreude fuhr ich also zu ihm. Er zeigte mir die Wohnung und ich war erst einmal ziemlich abgeschreckt: Alles wirkte steril und ungemütlich und die Bücher und Ordner in seinem Arbeitszimmer waren akkurat Kante auf Kante gestellt. Der einzige farbige Fleck in der Wohnung war ein einsamer Basilikum, der vor sich hin starb.

Dann fing er an zu kochen. Zuerst holte er einen Beutel Kartoffeln aus  dem Kühlschrank, die so klein waren wie Walnüsse, und fragte mich, wieviele Kartoffeln ich essen wollte. „So drei oder vier?“, schlug er vor. Ich antwortete, dass ich eher so fünf oder sechs essen würde. „Echt?“, fragte er. „Dabei bist du doch so schlank.“

Unter laufendem Wasserhahn schälten wir gemeinsam die Mini-Kartoffeln, damit ja kein Krümelchen Erde dran blieb, und er kochte sie in Wasser aus der Plastikflasche, da er, wie er sagte, das örtliche Leitungswasser so schlecht vertragen und Bauchweh davon bekommen würde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war es endgültig aus mit der Erotik – doch ich hatte Hunger und blieb.

Er schaukelte im Schneidersitz hin und her und sang jedes einzelne Lied Wort für Wort mit

Es gab Lachs mit Tofu (denn er hatte nur für eine Person Lachs eingekauft) in Sahnesoße (wenn man hungrig ist, schmeckt alles, auch ein ganzer Becher eingedickte Sahne), Erbsen und Möhren aus der Dose und Salat. Die Soße dafür durfte ich anrühren – was ich auf meine Art machen wollte, sodass wir darüber in einen kleinen Streit gerieten. Ein bisschen schadenfreudig zupfte ich danach statt seinen vorgeschlagenen drei Blättern Kopfsalat das Doppelte in die Schüssel.

Als das Essen fertig war, servierte er es mir mit großer Geste. Er meinte, das würde er mir zuliebe tun, denn normalerweise reiche es ihm, direkt aus dem Topf zu essen. Er war ganz begeistert von seinen eigenen Kochkünsten und gestand mir, dass er den Topf ausschlecken würde, wenn ich nicht da wäre. Ich konnte es mir daraufhin nicht verkneifen zu fragen, ob er das Buch „Michel in der Suppenschüssel“ kennen würde.

Nach dem Essen musste die Zeit irgendwie rumgebracht werden, denn mein nächster Zug fuhr erst eine Stunde später. Er fragte mich, ob ich seinen Schweizer Dialekt hören möchte und ich fand das interessant. Doch dann legte er eine CD ein und wir hörten 50 Jahre alte Songs von einem berühmten Schweizer Liedermacher, die sich in meinen Ohren wie Kinderlieder anhörten. Und tatsächlich erklärte er mir, dass jedes Kindergartenkind diese Lieder auswendig lernt, und zum Beweis schaukelte er im Schneidersitz hin und her und sang jedes einzelne dieser Lieder Wort für Wort mit.

Er sagte, nachdem er über die Noten seiner Studentinnen Bescheid wisse, könne er sie gar nicht mehr attraktiv finden

Nachdem er mir danach alles über seine Mama und seinen Papa, die Eigenheiten und Namen seiner längst verstorbenen Kaninchen und über seine beruflichen Erfolge erzählt hatte, es aber nicht schaffte, nur eine einzige Frage an mich zu stellen, lockte ich ihn, damit es nicht langweilig wurde, doch noch mal aus der Reserve. Ich fragte ihn warum er sich beim Online-Dating angemeldet hatte. Er meinte, um Frauen außerhalb seines Berufsfeldes kennenzulernen. Denn nachdem er ja über die Noten seiner Studentinnen Bescheid wisse, könne er sie gar nicht mehr attraktiv finden, er würde nämlich nur intelligente Frauen daten. Dass Menschen auch ohne glänzenden Noten intelligent und attraktiv sein können, das wollte er selbst nach einer halben Stunde Diskussion nicht einsehen. Von emotionaler Intelligenz hatte er offensichtlich noch nie was gehört, denn schließlich legte er seine Brille zur Seite und sagte, er würde auf die Distanz bis zu mir scharf genug sehen, denn er könne ja sehen, dass ich scharf sei.

Das war mein Stichwort zum Aufbruch. Er begleitete mich zur Bahn und kurz bevor mein Zug fuhr, sprachen wir noch über bisherige Dates. Er sagte, er hätte mal für eine Frau gekocht, die direkt nach dem Essen ohne eine Erklärung die Schuhe angezogen hätte und regelrecht aus der Wohnung geflohen wäre. Er könne sich bis heute nicht erklären, warum.

Mein Zug fuhr ein und ich konnte dem Abschiedskuss gerade noch ausweichen. Am nächsten Tag schrieb ich ihm eine ausführliche Mail in der ich ihm erklärte, was wohl der Grund für seine misslungenen Dates gewesen sein mochte.

Dieser Text stammt von jetzt-Leserin Lisa Walther. Möchtest du auch von einem Horror-Date erzählen? Wir freuen uns über Einsendungen. Entweder per Mail an info@jetzt.de oder über unsere Facebookseite.

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