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Wer immer zusammen ist, muss nicht verheiratet sein

Illustration: Katharina Bitzl

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In dieser Kolumne habe ich beschrieben, wie es dazu kam, dass meine Freundin und ich heirateten; wie wir uns auf die Hochzeit vorbereiteten; wie wir Ja sagten und wie ich in den Flitterwochen in eine kleine Identitätskrise stürzte. Auf meinem Weg vom Freund zum Ehemann ging ich durch eine Vielzahl von Phasen.   

Aber erst, als wir aus den Flitterwochen zurückkamen, fand ich mich so richtig in die Ehe ein. Erst, als wir im Alltag verheiratet waren (und nicht nur am Strand), wusste ich wirklich, dass es so richtig war.     

Wieso, kann ich nicht sicher sagen. Aber ich glaube, es hat damit zu tun, dass wir uns nicht mehr den ganzen Tag sahen. Wer immer zusammen ist, der muss nämlich nicht verheiratet sein. Der braucht keinen Ring, um sich an die Liebe des anderen zu erinnern. Der wird höchstens erdrückt von der unnötigen symbolischen Dopplung einer Liebe, die er doch in jeder Sekunde auch persönlich kundtun kann.     

Nein, die Ehe ist für Menschen mit getrennten Leben, für Menschen, die einzeln unter Leute gehen. Das ist vielleicht ihr ganzer Sinn: Das Paar von der Notwendigkeit zu befreien, einander die Liebe jede Stunde, jeden Tag neu versichern zu müssen.     

Die Hochzeit und die ersten ein, zwei Jahre danach werden von der Umwelt immer als ein Ankommen gewertet

Ich war darum nie glücklicher als in den ersten Wochen unserer alltäglichen, deutschen, arbeitenden Ehe. Ich fühlte mich frei, hatte für einen kurzen Moment keine Erwartungen an Tina oder mich oder die Zukunft.     

Die Erwartungen kamen von anderer Stelle. Von den Freunden zum Beispiel, die Tina jetzt gehäuft fragten, ob und wann wir planten, Kinder zu kriegen – ganz so, als könne man nicht heiraten, ohne dieses Thema endgültig geklärt zu haben. Die Hochzeit und die ersten ein, zwei Jahre danach werden von der Umwelt immer als ein Ankommen gewertet. Wer sagt: „Mit dieser Person möchte ich den Rest meines Lebens verbringen“, der impliziert schließlich, dass er eine grobe Vorstellung davon hat, wie der Rest seines Lebens aussieht.     

Wenn das frisch verheiratete Paar umzieht, dann ja wohl in die Stadt, in der es endlich bleiben will. Wenn der Ehemann – dem man diese Rolle in der Regel immer noch zuspricht, selbst wenn die Frau besser verdient – den Job wechselt, dann weil er in der neuen Firma die besten Voraussetzungen sieht, um seine Familie zu versorgen. Wenn das Paar nach der Hochzeit gar nichts verändert, dann gilt auch dieses Alte plötzlich als Entscheidung (anstatt als das Symptom der Ratlosigkeit, das es vor dem Eheschwur gewesen war).     

Auch ich – der es besser wissen müsste – kann mich des Eindrucks kaum erwehren, dass jetzt die Weichen für unser gemeinsames Leben gestellt werden oder gestellt werden sollten. Tina scheint es ähnlich zu gehen. Und so reden wir noch mehr im Futur als sonst, planen und verwerfen und planen neu: Haus da, Wohnung hier, Weltreise, Job A, Job B, ein Kind, kein Kind, Selbstständigkeit, Bäckerlehre, nichts von all dem.   

Für viele Menschen ist die Entscheidung für einen Partner gleichzeitig die Entscheidung für ein bestimmtes Leben: A will keine Kinder, und also heiratet sich B mit A in ein kinderloses Leben ein. C ist Lehrerin und also heiratet D mit C auch das Bundesland, in dem C zugelassen ist. Manchmal denke ich, dass Menschen vielleicht sogar in erster Linie das Leben heiraten, von dem sie sich vorstellen, dass sie es mit dem Partner führen werden, und nur in zweiter Linie den Partner selbst.     

Das Einzige, wofür ich mich bei meiner Hochzeit mit Tina entschieden habe, ist Tina

Bei uns war das nicht so. Mir fällt kaum ein Lebensweg ein, den ich vor unserer Hochzeit hätte einschlagen können und der mit Tina nicht mehr möglich wäre. Okay, ich kann nun nicht mehr zeitlebens unverheiratet bleiben, und ich kann nicht mehr zuerst mit einer anderen Frau verheiratet sein – aber von diesen offensichtlichen „Einschränkungen“ abgesehen, fällt es mir schwer, weitere zu finden: Mit meiner Hochzeit zu Tina habe ich mich nicht für und nicht gegen Kinder entschieden; nicht für ein Leben auf dem Land oder ein Leben in der Stadt; nicht gegen den einen Job und für einen anderen; nicht für ein Karriere-Leben oder ein Nomaden-Dasein – bei all dem sind wir uns noch unsicher. Das Einzige, wofür ich mich bei meiner Hochzeit mit Tina entschieden habe, ist Tina. Und die bestätigt mir: Umgekehrt ist es genauso.     

Einerseits gefällt mir diese Vorstellung. Unsere Ehe erscheint mir dadurch reiner, unsere Liebe persönlicher. Andererseits kann man auch sagen: Mit dieser Hochzeit haben wir die kleinstmögliche Entscheidung getroffen, die man mit einer Hochzeit nur treffen kann. So gesehen ist unsere Ehe keine Widerlegung, sondern ein Produkt unserer angeblich so generationstypischen Angst, uns auf irgendetwas festzulegen.     

Wir haben die nächsten 50 Jahre Zeit, um uns einen Lebensweg zu meißeln. Das eine oder andere werden wir entscheiden, das eine oder andere wird für uns entschieden werden. Das Einzige, das uns unverrückbar erscheint, und für das einzutreten wir uneingeschränkt bereit sind, ist, dass wir unsere beiden Leben gemeinsam führen wollen.     

Bis jetzt läuft’s ganz gut.

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