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Wenn ich mit meiner Frau schlafe, freuen sich die Nachbarn

Illustration: Katharina Bitzl

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Bevor wir am Tag nach der Hochzeit unsere Reise nach Neuseeland antraten, trafen wir unsere Eltern zu einer Art Abschiedsfrühstück. Was ich dachte, als ich meinem Schwiegervater die Hand gab: „Heute wisst ihr zum ersten Mal mit Sicherheit, dass ich letzte Nacht eure Tochter gevögelt habe. Und ihr seid cool damit.“ 

Und nicht nur sie. Jetzt war offiziell auch der Letzte in der Gesellschaft damit einverstanden, dass Tina und ich es trieben. Was geht euch das an, dachte ich mir manchmal. Ich will eure scheiß Erlaubnis nicht. Aber es half nichts: Ich legte mich zu meiner Frau ins Bett und spürte, wie meine Nachbarn billigend nickten.

Dabei ist „Erlaubnis“ noch zu wenig gesagt. Die Menschen akzeptierten nicht nur, dass wir miteinander schliefen, sie sahen darin eine Selbstverständlichkeit und gingen auf einmal viel offener damit um. Wer glaubt, dass unehelicher Sex kein Tabu mehr sei, wird eines Besseren belehrt, wenn sein Sexleben nach der Hochzeit plötzlich Gemeingut wird. Am deutlichsten merkt man das vielleicht, indem man nicht mehr nur von engen Freunden und Verwandten gefragt wird, ob man schon Kinder plane, sondern auch von Kollegen, losen Bekannten und irgendwelche Leuten im Aufzug. 

Aber diese unerträgliche Selbstverständlichkeit des Vögelns fing schon an, als wir nach der Hochzeitsfeier in unser Hotelzimmer zurückkamen und eine gekühlte Flasche Sekt neben dem Bett vorfanden. Denn obwohl es kurz vor Mitternacht war, wussten die Leute vom Empfang natürlich, dass wir jetzt nicht gleich ins Bett fallen würden. Denen war klar: Die knallen jetzt noch. Und weil wir verheiratet waren, fanden sie es legitim, uns dabei zu assistieren.

Eine keusche Hochzeitsnacht würde ich vor mir nie rechtfertigen können

Was sollten wir machen? Jetzt aus Protest keinen Sex zu haben, ging nicht. Eine keusche Hochzeitsnacht würde ich vor mir nie rechtfertigen können, dazu war ich nicht selbstbewusst genug. Und Tina ließ die Frage womöglich aus ähnlichen Gründen gar nicht erst aufkommen. Wir schenkten uns Sekt ein und rauchten eine Zigarette aus dem Hochzeits-Überlebens-Kit, das Freunde uns mitgegeben hatten. (Die wussten jetzt natürlich auch, was wir gleich tun würden. Vielleicht waren die Kippen sogar als After-Sex-Zigaretten gemeint.)

Die Hochzeitsnacht ist der öffentlichste Sex, den die meisten Paare je haben werden. Und darum muss ich mich auch fast zurückhalten, jetzt nicht allzu detailliert darüber zu berichten: Gefühlt wart ihr eh irgendwie dabei. 

Gleichzeitig geht es euch natürlich einen Dreck an. Und darum werde ich hier nur ein paar wenige, eher unverfängliche Aspekte herausgreifen. Lasst mich zum Beispiel berichten, wie gründlich ich am Morgen dieses Tages geduscht hatte. Sehr nämlich. Und wie sauber mich an allen üblichen Stellen rasiert. Ebenfalls: sehr. Lasst mich euch außerdem erzählen, dass ich mir für diesen Anlass neue Unterwäsche gekauft habe – keine besonders feierliche Unterwäsche übrigens, aber eben neue.

Und lasst mich letztlich zugeben, dass ich vor der Hochzeitsnacht doch recht nervös war. Für Paare, die mit dem Sex bis nach der Hochzeit warten, ist diese Nacht nämlich sicher aufregend, gleichzeitig aber nicht sehr kompliziert,  was die Durchführung angeht. Man hat halt Sex und der Sex ist automatisch besonders, weil es der erste ist und ein neues Level der Intimität einläutet.

Tina und ich schliefen aber seit über fünf Jahren miteinander. Wie sollten wir das auf ein neues Level heben? Indem wir einfach Next-Level-Sex hatten? Klar, okay, das konnten wir schon versuchen, aber wir strengen uns ja eigentlich immer an (behaupte ich mal), sodass eine deutliche Steigerung nicht mal eben so machbar war.

Dieser Sex musste beweisen, dass man tatsächlich füreinander gemacht war

Ich war außerdem überzeugt, dass die Hochzeitsnacht nach einer gewissen Art Sex verlangt und andere Arten eher verbietet. Zur Illustration: Auch eher experimentierfreudige Paare werden in dieser Nacht von einem Dreier mit dem Zimmermädchen Abstand nehmen. Und fast noch absurder wäre es, den Tag, an dem man sich auf ewig für einen Partner entscheidet, mit sexy Rollenspielen zu beschließen. (Keine zwölf Stunden Frau und Herr XY, schon muss man Chef und Sekretärin mimen – da käme man doch ins Zweifeln.)

Das schien mir auch keine Nacht zu sein, in der man dem Partner die Hand an die Gurgel legt, in der man einander an den Haaren zieht oder Beleidigungen ins Ohr flüstert, egal, wie sehr man da sonst drauf stehen mag. Und letztlich schien es mir exakt einen Ort zu geben, an dem man als frisch verheirateter Mann kommen darf. Nichts an dieser heiligsten aller Nächte darf schließlich nach Porno aussehen.

Nein: Hochzeitssex musste meiner Vorstellung nach liebevoll und ungekünstelt sein. Dieser Sex musste beweisen, dass man tatsächlich füreinander gemacht war. Dass man keine Hilfsmittel, kein Spielzeug, keine extravaganten Techniken brauchte, um den anderen glücklich zu machen. Wie zwei sexy MacGyver mussten wir aus nichts als drei, vier Stellung, unseren nackten Körpern und einer jetzt schon halb leeren Flasche Sekt die leidenschaftlichste Nacht basteln, die dieses Hotelzimmer je gesehen hatte. Und das, während die Welt mit verschränkten Armen im Hotelflur stand – wartend, lauschend, wissend, nickend. 

Ich leerte meinen Sekt. Ich schenkte mir nach. 

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