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Wie mich die Hochzeitsreise in eine Krise stürzte

Illustration: Katharina Bitzl

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Das Erste, was ich in unseren Flitterwochen tat: Ich rasierte mir die Haare ab. Das war auf einem Campingplatz westlich von Auckland, nach der ersten, halbdurchwachten Nacht im Camper. Tina half mir mit dem Rasierer, obwohl sie selbst kein großer Fan der Entscheidung war. Wir ahnten beide, dass so kurze Haare bei mir eher naja aussehen würden – und behielten Recht. Aber es musste sein, fand ich, der Zeitpunkt sei „perfekt“.     

Aus heutiger Sicht war dieses Make-Over ein erstes Symptom der seelischen Krise, die ich in den folgenden zwei bis drei Wochen durchlebte und die eine Nebenwirkung unseres neuen Status’ als Ehepaar war. Denn ohne dass Tina und ich uns seit unserem Ja-Wort wirklich verändert hätten, kamen mir unsere Gespräche, unsere Entscheidungen und unsere ganze Art zu Reisen plötzlich unendlich spießig vor. Ich hatte das Gefühl, in eine Falle gelaufen zu sein. Ich befürchtete, meine – unsere – jugendliche Leichtigkeit eingetauscht zu haben gegen wertlose Respektabilität und Langeweile.     

Jeden Morgen, wenn wir an unserem Campingtisch saßen und Instant-Kaffee tranken, musste ich daran denken, dass Tinas Eltern ebenfalls regelmäßig zum Camping fuhren, und dann wahrscheinlich saßen wie wir und den Tag planten wie wir (während Tinas Vater an seinem Schnurrbart zog wie ich an meinem). „Wenn uns jetzt einer mit einer Vintage-Kamera fotografieren würde“, so dachte ich manchmal, „könnte man uns von Tinas Eltern in den Siebzigern kaum unterscheiden.“ Und dann bekam ich Panik.     

Ich kann mir vorstellen, dass es anderen Menschen ähnlich geht. Das würde zumindest erklären, wieso die meisten Paare nach der Hochzeit in teure Ressorts fahren, in denen schon zum Frühstück getrunken wird und sich die frisch Vermählten vier Mal täglich ihrer ungebrochenen Jugend und Un-Spießigkeit versichern können: im Bett, in der Dusche, am Strand, in der Hot-Tub. An so einem Ort hätte ich vielleicht auch keine Quarterlife-Crisis bekommen, wer weiß.     

Ich hatte mir vorgestellt, wie die Erinnerung an diesen Urlaub durch unsere gesamte Ehe wuchern würde

Statt uns nach der Hochzeit aber erstmal in Kur zu begeben wie normale Leute, hatten wir eine Reise gebucht, die ein Härtetest für unsere junge Ehe zu werden versprach: Fünf Wochen lang würden wir 24 Stunden täglich zusammen sein, in einem Van mit der Grundfläche unseres heimischen Bettes. Wir würden nur einander kennen und – wenn wir mit einer Karte, die den falschen Maßstab hatte, und einem Kompass, den wir nicht lesen konnten, durch neuseeländische Wälder irrten, die jedes Handysignal schluckten – nur aufeinander angewiesen sein. Jetzt würde sich zeigen, ob wir tatsächlich füreinander gemacht waren.     

Schon vor Abflug hatte ich mir vorgestellt, wie die Erinnerung an diesen Urlaub durch unsere gesamte Ehe wuchern würde. Wenn ich die Bestätigungs-E-Mail verlieren sollte, die wir für das Wassertaxi brauchten, dann würde Tina darin ein Zeichen dafür erkennen, dass sie sich auch bei der Kindererziehung nicht auf mich verlassen konnte. Wenn sie keine Lust haben würde, mit mir unter dem eiskalten Wasserfall zu stehen, würde ich mich auf ein Leben ohne Abenteuer einstellen müssen. Jede Handlung würde uns vorkommen wie der erste Schlag eines Rhythmus’, der dann für den Rest unseres Lebens weiterhämmern musste.     

Und wenn es uns in Neuseeland nicht bewusst werden würde, so eben fünfzig Jahre später, wenn wir dereinst zurückdenken würden an die Nacht, in der ich den Autoschlüssel ins Plumpsklo warf oder im Angesicht des überwältigenden Sternenhimmels keinen hochbekam oder Tina auf die Eier eines seltenen Kiwi-Vogels trat (ist dann übrigens alles nicht passiert) und sagen müssten: „Da hat alles angefangen.“ Oder: „Schon damals hätten wir wissen müssen, dass…“     

Um das zu vermeiden, hatte ich mir vorgenommen, in Neuseeland ganz gezielt Momente zu schaffen, an die wir mal mit einem Lächeln zurückdenken würden. Solche Momente, die von Tina später als böse Omen interpretiert werden könnten, wollte ich dagegen mit aller Kraft vermeiden.     

Ich erwischte mich dabei, wie ich den Lifestyle lediger Menschen auf der Straße beneidete

Dann kam meine Quarterlife-Crisis. Und wie es sich bei solchen Anlässen gehört, mimte ich für einen Großteil der Reise den Jugendlichen. Ich setzte mir die Trucker-Kappe, die ich gegen die aggressive Neuseeland-Sonne gekauft hatte, so dämlich locker auf den Kopf, dass einige Jugendliche mich fragten, ob ich aus Compton stammte. Von diesem gehässigen Kommentar scheinbar ungerührt, legte ich im Auto ausschließlich Hip-Hop auf, anstelle der (spießigen) Jazz-Playlists, die ich mir geladen hatte, und vor allem anstelle der (ultra-spießigen) „Das Beste der 80er“-Liste.    

Mehrere Male erwischte ich mich dabei, wie ich den freien, coolen, unangepassten Lifestyle offensichtlich lediger Menschen auf der Straße bewunderte, nein, beneidete. Und jedesmal musste ich mir beinahe laut sagen: „Ja, Vik, aber die sind höchstens 17! Und wichtiger noch: Du fährst mit deiner Liebe im Camper durch Neuseeland! Ihr seht jeden Abend die Sonne untergehen, steht an Lagerfeuern, trinkt Craft Beer, badet nackt, seht die Sonne wieder aufgehen… Freier geht nicht!“     

Aber was bis eben noch der Inbegriff von Freiheit gewesen wäre, kam mir auf einmal spießig vor, weil wir verheiratet waren, weil das Wörtchen „Ehe“ alles verdarb wie faule Bananen den Obstkorb.     

Diese ganze Phase ist mir heute reichlich peinlich. Dass sie mir auch nur den kleinsten Teil meiner Hochzeitsreise vermieste, macht mich sogar wütend. Dass ich Tina damit wahrscheinlich mehr irritierte als sie zuzugeben bereit ist, noch mehr.     

Mein Glück war, dass die Schönheit Neuseelands dazu geeignet war, von meiner damaligen Verfassung abzulenken. Wenn ich euch also irgendwas für eure Flitterwochen mitgeben möchte, dann vielleicht das: Sucht euch ein Ziel, das genug zu bieten hat, um eure Unzulänglichkeiten vergessen zu machen. Denn in Erinnerungen – wie in Filmen – werden die Darsteller umso nebensächlicher, je schöner das Setting ist.

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