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Folge 5 unserer Muttersöhnchen-Kolumne: Fernsehen mit Mutti
Ich brauche was gegen Heuschnupfen. Nicht weil ich gegen Pollen allergisch bin, sondern weil ich ständig ZDF gucken muss. Da kommen in den Werbepausen so viele Spots für Medikamente, bis ich mir auch schon einbilde: Verdammt, ich glaub ich brauch „Kijimea Reizdarm“. Das Pflaster für den gereizten Darm.
In dieser Werbung sitzt übrigens ein Mann auf dem Sofa neben seiner Freundin und erzählt pupsfröhlich darüber, wie er seine Blähungen in den Griff bekommen hat. Und ich denke die ganze Zeit: Toll, der furzende Reizdarm-Arsch hat eine Freundin, und mich hat meine verlassen. Deswegen wohne ich vorübergehend auch wieder bei meine Mutter, bis ich eine Wohnung gefunden habe. Das schreibe ich eigentlich jede Woche an dieser Stelle. Und jede Woche kommentiert trotzdem ein Schlauberger unter den Text, warum ich nicht einfach ausziehe.
Daher zur Sicherheit nochmal und in fett: ‚… bis ich eine Wohnung gefunden habe.‘ In München kann das dauern. Freiberufliche Autoren ohne geregeltes Einkommen sind nicht gerade die erste Wahl bei Vermietern. Selbst der Kijimea-Reizdarm-Arsch bekommt bestimmt eher eine Wohnung.
Rosemunde Pilcher statt Netflix
Leider hat meine Mutter nur einen Fernseher. Und weil ich lesen doof finde und es mir zu blöd ist, mich mit dem Laptop an den Küchentisch zu hocken, leiste ich ihr eben Gesellschaft, wenn sie Fernsehen guckt. Und das ist ausschließlich das ZDF. Wenn ich am Montag ins Büro komme und die Kollegen über die neue Staffel von Suits reden, kann ich deshalb nur aus Rosamunde Pilcher zitieren. Das macht es nicht unbedingt leichter, eine neue Frau zu finden. Eine der Kolleginnen wird’s wohl jedenfalls nicht werden.
Es gibt nur eine Ausnahme, wo ich das ZDF gerne gucke: an Champions-League-Abenden. Dabei haben meine Mutter und ich ein Ritual, das immer nach folgendem Muster abläuft: Ich komme aus der Arbeit ins Wohnzimmer, wo meine Mutter sitzt. Ich rufe hektisch: „Los, schalt ZDF ein. Das Spiel hat schon angefangen.“
Nun müsste man meinen, eine Frau, die öfter das ZDF anguckt als ihr eigenes Spiegelbild, wüsste, wie man auf den entsprechenden Sender schaltet. Denkste. Erstmal studiert sie das Tastenfeld wie einen Stadtplan und sucht nach dem richtigen Knopf. Also rufe ich panisch: „Pleeeease, mach hinne.“
Daraufhin schaltet sie auf einen türkischen Verkaufssender.
„Du hast statt der ‚2‘ die ‚222‘ eingetippt.“
Ich weiß das, weil wir jeden Mittwochabend diesen türkischen Verkaufssender einschalten. Ich glaube, wir sind seine einzigen regelmäßigen Zuschauer. „Drück einfach auf ‚Menü‘ und wähl in der Sender-Liste das ZDF aus.
Nun erscheint eine Tierdokumentation über den neuseeländischen Haubentaucher.
„Jetzt hast du ‚202‘ eingetippt. Kannst du bitte aufs ZDF machen?“
„Ich versuchs ja ...“
„Dann drück doch bitte einfach auf ‚Menü‘.“
„Was ist das denn jetzt?“
„Das ist der Sendersuchlauf. Geh wieder zurück und drück einfach in der Mitte auf ‚Menü‘.“
Mittlerweile bildet sich bereits Stress-Schweiß auf der Stirn meiner Mutter.
Jeder spricht über Silversurfer. Über Silvergucker hört man ni... „Neeeeein, du sollst nicht das Bildformat ändern sondern auf „Menühü gehen!“ Es würde mich nicht wundern, wenn als nächstes auch noch der Mixer in der Küche anspringt, bei dem, was meine Mutter alles durch ihr hektisches Drücken auf der Fernbedienung aktiviert, bis sie endlich die Sender-Liste aufruft.
„Ach Scheisse.“ An dieser Stelle wirft meine Mutter dann meistens gefrustet die Fernbedienung zu mir rüber und wir gucken uns die zweite Halbzeit an. Witzigerweise herrscht bei uns an Weihnachten totale Harmonie, wenn alle anderen streiten. Bloß jeden Mittwochabend – da geht’s bei uns zu wie im Cockpit eines abstürzenden Flugzeugs. „DU MUSST DIE MASCHINE HOCHREISSEN, BILL.“
„ICH VERSUCH ES JA, MIKE. ICH VERSUCH ES.“
„SCHEISSE BILL, ZIEH HOOOOOOOCH.“
Seit ich mit meiner Mutter regelmäßig Fernsehen gucke, bin ich dafür, dass man Senioren den Führerschein entzieht beziehungsweise sie ab einem gewissen Alter nochmal einen praktischen Test bestehen müssen. Meine Mutter hat zwar kein Auto, aber wenn ich sehe, wie das Umschalten auf einer Fernbedienung sie überfordert, möchte ich mir gar nicht vorstellen, wie sie im Berufsverkehr an einer Straßenkreuzung reagiert.
"Du hast das ZDF gelöscht!"
Einer der wenigen Vorteile, die man hat, wenn man bei seiner Mama wohnt ist, dass man keine Miete zahlen muss und plötzlich viel Geld übrig hat. Deswegen habe ich den zehn Jahre alten Fernseher meiner Mutter neulich entsorgt und uns einen neuen HD-Fernseher spendiert inklusive einer Smart-Home-Lösung, mit der man ihn auch per Sprachbefehl steuern kann.
Am nächsten Abend ruft sie mich aufgeregt im Büro an:
„Du hast das ZDF gelöscht!“
„Hä? Quatsch.“
„Doch. Das ist da nicht mehr. Jetzt kann ich hier nur noch wählen zwischen Netflix, Amazon und Maxdome (das sie übrigens genauso ausspricht, wie es da steht).“
„Ganz ruhig. Du bist im Hauptmenü gelandet. Drück einfach auf „TV“ auf der Fernbedienung.“
„Wo ist das? Ich find den Knopf nicht.“
„Weißt du was? Vergiss den Knopf. Du kannst dem Fernseher auch Sprachbefehle geben.“
„Im Ernst?“
„Ja.“
„Hallo Fernseher, ich möchte bitte die Rosenheim-Cops sehen.“
„Nein, so geht das nicht. Wie soll er denn wissen, wo die laufen?“
„Fernseher, die Rosenheim-Cops laufen im ZDF.“
Ich wein gleich.
So, fast 18 Uhr. Ich muss jetzt aufhören mit dieser Kolumne, weil ich noch in die Apotheke muss. Ich brauch Baldrian. Nicht wegen dem ZDF. Wegen meiner Mutter.
Du bist jünger als 60 und bereit, unseren Autoren aufzunehmen, damit er nicht mehr bei seiner Mama wohnen muss? Dann schreib ihm am besten direkt an: Mutter.Soehnchen83@gmx.de