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Mama ist schlimmer als die NSA

Illustration: Daniela Rudolf

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Unser Autor möchte lieber anonym bleiben. Seine Mutter ist zwar mit dieser Kolumne einverstanden, möchte aber lieber nicht mit all ihren Bekannten darüber reden müssen. 

Meine Mutter ist schlimmer als die NSA. Alles möchte sie über mich wissen. Zum Beispiel sitze ich gerade am Küchentisch und schreibe diesen Text. Meine Mutter kommt ins Zimmer und fragt: „Was machst du da?“

„Arbeiten“

„Und woran?“

„Ich schreibe einen Text über neugierige Mütter.“

„Darf ich mal lesen?“

„Nein. Kann ich jetzt bitte in Ruhe weiterarbeiten?“

Wenn ich Glück habe, geht sie dann wieder. Manchmal sagst sie aber auch: „Dann halt nicht. Entschuldige, wenn ich stolz auf meinen Sohn bin und mich für seine Arbeit interessiere.“ Dann bekomme ich ein schlechtes Gewissen und antworte: „Na gut, hier, bitteschön“, und drehe ihr den Bildschirm zu.

„Nein, schon gut. Du sollst ihn mir nicht zeigen, bloß weil du das Gefühl hast, du müsstest das tun.“

„Ich möchte aber, dass du meinen Text liest“, knurre ich. „Bitte tu mir den Gefallen!“

Meine Mutter möchte über jeden Schritt informiert sein, den ich mache, und über alles Bescheid wissen

Mütter können dich dazu bringen, alles zu tun. Sogar gekochte Gurken zu essen. Wenn ich der BND wäre, hätte ich mir ja schon längst Donald Trumps Mama zur Brust genommen und versucht, sie auf meine Seite zu ziehen. Dann würde sie zu ihrem Sohn sagen: „Donald, Spätzchen, du musst die Strafzölle auf deutsche Wirtschaftsgüter natürlich nicht aussetzen. Es würde mich halt bloß sehr glücklich machen.“ Problem gelöst.

Naja, jedenfalls geht das so den ganzen Tag. Wenn ich meine Jacke anziehe, fragt sie: „Wo gehst du hin?“

„Ich treffe einen Freund.“

„Oh, wen denn?“

„Kennst du nicht.“

„Wie heißt er denn?“

„Mark.“

„Kenn ich nicht.“

„Sagte ich ja.“

„Bring ihn doch mal mit.“

Was bin ich, 12?

Meine Mutter möchte über jeden Schritt informiert sein, den ich mache, und über alles Bescheid wissen. Interessanterweise aber nicht, um daraus dann irgendwelche Konsequenzen zu ziehen. Sie würde es mir niemals verbieten, wenn ich sage: „Ich rasiere mir die Haare ab.“ Oder: „Kannst du mich in die Stadt fahren? Ich möchte mir eine Klapperschlange kaufen.“ Sie würde vielleicht seufzen und sagen: „Du kannst dir natürlich eine Klapperschlange kaufen. Es würde mich halt bloß sehr glücklich machen, wenn du es nicht tätest.“ Aber sie würde es mir nicht verbieten. Sie möchte einfach nur das Gefühl haben, noch Teil meines Lebens zu sein. Das geht wahrscheinlich jeder Mutter so. Es muss weh tun, mitanzusehen, wie sich der wichtigste Mensch in seinem Leben zunehmend abkapselt.

Und wenn die Polizei sie verhört, fragt hoffentlich auch jemand, wie sie es geschafft hat, das vor ihrer Mutter geheim zu halten

Meine Mutter hat mir sogar eine Anfrage auf Instagram geschickt. Ich bring es nicht übers Herz, sie abzulehnen. Annehmen möchte ich sie aber auch nicht. Wenn ich irgendwann in absehbarer Zeit eine neue Freundin habe und verliebt neben ihr posiere, wäre es mir doch sehr unangenehm, wenn jeder unter dem Bild sehen kann, dass meiner Mama das gefällt. Wenn ich momentan nicht bei meiner Mutter leben würde, würde ich ja gerne eine einstweilige Verfügung gegen sie beantragen. So eine wie Lana Del Rey hat, zu der zwei Stalkerinnen mindestens 150 Meter Abstand halten müssen. Ich überlege auch manchmal, ob ein kuscheliges Plätzchen unter einer Brücke nicht doch das kleinere Übel wäre, jetzt wo es wieder wärmer wird …

Neulich habe ich einen Bericht über ein deutsches Mädchen gesehen, das zum Islam konvertiert und nach Syrien gereist ist, um einen IS-Kämpfer zu heiraten. Ein Fernseh-Team hat die Mutter  des Mädchens zu Hause besucht. Sie saß auf dem Sofa und erzählte mit Tränen in den Augen, dass sie keine Ahnung von der Radikalisierung ihrer Tochter hatte. Eines Morgens sei die einfach nicht mehr da gewesen. Ich hoffe, sie finden das Mädchen und bringen es zurück nach Deutschland. Und wenn die Polizei sie verhört, fragt hoffentlich auch irgendjemand, wie sie es geschafft hat, das vor ihrer Mutter geheim zu halten. Das würde mich wirklich interessieren.

Du bist jünger als 60 und bereit, unseren Autoren aufzunehmen, damit er nicht mehr bei seiner Mama wohnen muss? Dann schreib ihm am besten direkt an: Mutter.Soehnchen83@gmx.de

Was das Muttersöhnchen bisher so erlebt hat:

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