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Der finanzielle Faktor von Fernbeziehungen
Angenommen, es gibt plötzlich dieses unschlagbar günstige Ticket: für 27 Euro von München nach Berlin. Das ist natürlich großartig – wenn da nicht der Zeitfaktor wäre: Der Zug, für den das Ticket gelten würde, fährt am Sonntagvormittag. Und der Zug, den man am liebsten nehmen würde, der fährt am Sonntagabend. Und dann sitzt man da und erwischt sich bei einer Rechnung, die einem völlig unangemessen vorkommt, sich aber trotzdem nicht verdrängen lassen will: Möchte ich lieber Geld sparen oder lieber noch ein paar Stunden mehr mit der mir allerliebsten Person verbringen?
Fernbeziehungen haben viel Romantisches an sich und vieles, das sie aufregender und weniger alltäglich macht als „normale“ Beziehungen am gleichen Ort: die Wiedersehensfreude, die jedes Mal aufs Neue groß ist. Die tränenreichen Abschiede, in denen man sich immer sagt, wie schön es war und wie sehr man sich vermissen wird. Die erzwungene Zeit alleine, die man manchmal sehr genießt, manchmal mit fieser Sehnsucht im Bauch verbringt. Die darauf folgende intensive Zeit zu zweit.
Gleichzeitig sind Fernbeziehungen viel bürokratischer und unspontaner als Nahbeziehungen. Sie müssen geplant werden: Wer besucht wen wann und wie lange? Welche Termine müssen in dieser Besuchszeit wahrgenommen werden? Wie weit im Voraus kann man Besuche einplanen? Mit welchem Verkehrsmittel reist man am besten an? Welche Klamotten lässt man beim anderen, damit man sie nicht immer hin- und hertragen muss, und wird man sie in der kommenden Woche garantiert nicht brauchen?
Zu diesen zeitlichen und logistischen Dimensionen kommt eine weitere hinzu, die man eigentlich gerne aus allem Romantischen heraushalten würde: die finanzielle, wirtschaftliche. Fernbeziehungen kosten nicht nur Zeit, sie kosten auch Geld. Sie sind teuer. Vor allem für Studenten und alle, die nicht so gut verdienen. Darüber will man am liebsten gar nicht nachdenken. Aber Paare, die weit voneinander entfernt wohnen, müssen trotzdem darüber sprechen und verhandeln. Und das fühlt sich immer falsch an. Als sei die Beziehung ein Aktienfonds, bei dem man sich überlegen muss, wie viel man hinein investieren will. Als könne man die Liebe und die Zweisamkeit in Geld umrechnen.
Vielleicht ist das am Anfang noch keine so große Sache. Da gibt man gerne jeden Cent für den anderen aus oder nimmt jede unbequeme Mitfahrgelegenheit auf der Rückbank eines VW Polo in Kauf, solange man den liebsten Menschen dafür sehen und anfassen kann. Aber wenn man mehrere Jahre regelmäßig Hunderte oder gar Tausende Kilometer frisst, hat man irgendwann einfach keine Lust mehr, neun Stunden Fernbus zu fahren, wenn er auch fünf Stunden Zug fahren kann. Oder extrem viel Geld auszugeben. Das birgt die Gefahr, dass man erst merkt, dass einem die Beziehung nicht mehr so viel wert ist, wenn es wehtut, das Ticket zu bezahlen. Was sofort für ein schlechtes Gewissen sorgt – denn man soll so was doch im Herzen spüren und nicht im Geldbeutel.
In einer Fernbeziehung muss man wirtschaftlicher denken als andere Liebende
Manche werden in Fernbeziehungen zu wahren Meistern der Sonderangebote. Sparfuchs-mäßig schnüffeln sie nach dem besten Deal (was auch eine zusätzliche zeitliche Investition bedeutet). Und ein Sparfuchs-Dasein wirkt auf andere – und damit möglicherweise auch auf den Partner – ungefähr so attraktiv, wie wenn jemand sich in den Werbeprospekten vom Discounter die runtergesetzte Ware anstreicht, um sie in der kommenden Woche abzustauben. Hinzu kommt die Fairness-Frage: Wenn der eine dauernd Sparpreise findet und der andere nicht, müsste dann der Sparfuchs dem anderen etwas dazuzahlen? Immerhin fährt oder fliegt hier ja jeder nicht für sich, sondern immer beide füreinander.
Richtig schwierig wird es, wenn die Partner ungleich viel verdienen. Wenn der eine dem anderen Fahrten oder Flüge zahlen muss und das natürlich gerne macht, weil er ja die Beziehung pflegen will – aber dabei auch einen kleinen Stich spürt. Ein „Wir sind nicht gleichberechtigt“-Gefühl. Und bekanntlich tut es Beziehungen nie gut, wenn ein finanzielles Ungleichgewicht besteht. Weil das nämlich hochkommt, wenn es mal nicht so gut läuft.
Als Hälfte einer Fernbeziehung kommt man aus der Nummer nicht raus. Man muss den traurigen Blick des liebsten Menschen ertragen, wenn man sagt: „Die günstige Fahrt gab es nur noch um 11 Uhr und leider nicht mehr um 16 Uhr, ich muss also früher los…“ Man muss auf einen Besuch verzichten, wenn das Konto überzogen ist. Man muss zeitliche und finanzielle Kompromisse finden. Und wohl oder übel wirtschaftlicher denken als andere Liebende.
Aber man kann immerhin versuchen, das ganze nur kurzfristig zu betrachten. Sich also an dem Sonntag, an dem man 50 Euro spart, darüber freuen, und das am Montag wieder ad acta legen. Auf gar keinen Fall darf man nämlich damit anfangen, alles aufzurechnen und der Beziehung einen konkreten finanziellen Wert gegenüberstellen. Denn dann hat man, wenn es zum Streit kommt, schneller „Und an dich habe ich Tausende Euro verschwendet!“ gebrüllt, als ein ICE-Sprinter durch einen Provinzbahnhof rauscht.