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Wer sich gleich viel krault, ist gleichberechtigt

Fotos: prokop / photocase.de; niarm / photocase.de; Collage: Katharina Bitzl

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Gekrault zu werden ist für die meisten Menschen das schönste Gefühl der Welt. Es entspannt, es macht glücklich, man fühlt sich sicher und geborgen. Und vielleicht der wichtigste Aspekt am Kraulen: Es will nichts, außer etwas Gutes zu tun.

Und genau deshalb bin ich auch entgegen anderslautender Gerüchte und wissenschaftlicher Studien der Meinung, dass nicht die Sex-Frequenz etwas über die Qualität einer Langzeitbeziehung aussagt – sondern der „Kraulquotient“. Der errechnet sich aus der Zeit, die Partner 1 Partner 2 krault, geteilt durch die Zeit, in der Partner 2 Partner 1 krault – und je näher das Ergebnis dem Wert 1 kommt, desto gleichberechtigter ist die Beziehung.  

Das ist so ähnlich wie bei den Affen im Zoo: Da sitzt der eine hinter dem anderen und laust ihm den Buckel – und anscheinend ist es eine Frage der Hierarchie, wer das wie lange tut. So funktioniert das auch bei uns Menschen. Wir sind ja nicht umsonst mit den Viechern verwandt.

Die Idealvorstellung sollte also sein, dass, wenn beide Partner völlig gleichberechtigt leben, sie sich natürlich auch gleich lang den Rücken kraulen. Das klingt erst einmal paradiesisch, führt aber leider zu folgendem Problem: Wer gerade auf der Empfängerseite sitzt und sich wohlig unter den streichelnden Händen des Partners dehnt und dabei schnurrt wie eine Katze, denkt gleichzeitig voll Trauer daran, dass der Partner bestimmt erstens: gleich aufhört und zweitens: er selbst dann auch noch genauso lange das Kraulen zurück geben muss. Und kann am Ende die Kraul-Session kaum genießen, vor lauter Angst vor dem, was vor ihm liegt. Denn je länger man verwöhnt wird, desto mehr wird man zurückverwöhnen müssen. Eine Lektion des Kraulquotienten ist also: Beziehung bedeutet Arbeit. 

Wenn man immer krault und nie eine Streicheleinheit zurückkriegt, stimmt was mit der Beziehung nicht

Ich habe einmal fälschlicherweise angenommen, dass es echte Liebe ist, wenn man nicht müde wird, den anderen zu kraulen. Das ist natürlich Quatsch. In dem Fall handelt es sich um das Kraul-Adrenalin der ersten Verliebtheit. Ist die erst mal weg, muss man sich irgendwann eingestehen, dass Kraulen Arbeit ist. Natürlich nicht die alleranstrengendste der Welt. Aber doch: anstrengender als nicht zu kraulen. Und die Momente, in denen man freiwillig und einfach nur aus purer Verliebtheit den Buckel des Partners auf- und abschubbert, werden immer weniger. Dafür werden die, in denen man aus Gründen der Gleichberechtigung schubbert, immer mehr.

Je weiter sich der Kraulquotient dabei vom Wert 1 entfernt, desto kritischer wird’s. Ist man irgendwann derjenige, der krault und streichelt und tut und macht und nie auch nur eine Streicheleinheit zurückkriegt, dann ist der Beziehungs-Zug quasi schon abgefahren. Und man konnte es sich aus diversen Gründen nur noch nicht eingestehen.

Wer sein Kraulbedürfnis mitteilen kann, kommt einer gleichberechtigten Beziehung näher

Und dann gibt es noch diejenigen Menschen, in deren Beziehung der Kraulquotient schlecht aussieht, die es auf den ersten Blick aber trotzdem perfekt getroffen haben: Sie werden von ihrem Partner gekrault, müssen aber nie zurückkraulen, weil der das unangenehm findet. Aber auch diese Konstellation ist alles andere als ideal: Denn wenn der Partner nicht auf Kraulen steht, kommt er auch selten auf die Idee, es bei jemand anderen zu tun. Also muss man sich seine Streicheleinheiten einfordern. Was ungefähr ähnlich souverän und fair rüberkommt, wie wenn man von jemandem verlangt, er solle einem einen runterholen, während man gemütlich das Buch weiter liest.

Im besten Falle haben also beide das gleiche Kraulbedürfnis, können demnach den Wunsch des Partners verstehen und geben sich Mühe, ihm nachzukommen. Und was hier vielleicht nach unromantischem Aufrechnen klingt, hat (neben regelmäßigem Gekraule) auch seine guten Seiten: Wenn man in einer Langzeitbeziehung lernt, seine Kraul-Bedürfnisse zu formulieren, dann kann man dieses Wissen auch abstrahieren und in anderen Bereichen anwenden. In der Beziehung, wenn es anderswo um Gleichberechtigung geht (Geld, Arbeitszeit, Kinderbetreuung). Und auch da draußen – denn wer mal gelernt hat, zu sagen, dass er jetzt bitte, wenn vom Partner aus nichts dagegegen spricht, so lange gekrault werden möchte, bis man einschläft, dann kann er vielleicht auch bei der nächsten Gehaltsverhandlung sagen, dass er mehr Geld will. Ohne nähere Angabe von Gründen.

Dieser Text wurde zum ersten Mal am 29.05.2018 veröffentlicht und am 16.09.2020 noch einmal aktualisiert.

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