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„Wir fühlen uns nicht mehr sicher in Polen“

Fotos: Luka Łukasiak / T. Zawada / Privat

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Die Wahlkampagne des polnischen Präsidenten Andrzej Duda diskriminierte wochenlang die LGBTQ-Community. Er sagte bei einer Wahlkampfveranstaltung unter anderem, dass LGBTQ keine Menschen seien, sondern eine Ideologie. Diese „LGBT-Ideologie“ verglich er dann mit dem Kommunismus: „Während des Kommunismus drückte man den Kindern in den Schulen eine kommunistische Ideologie auf. Heute versucht man, uns und unseren Kindern eine neue und ganz andere Ideologie aufzudrücken“, sagte er und bezog sich dabei auf LGBTQ. Die „LGBT-Ideologie“ sei noch schädlicher für den Menschen als der Kommunismus. Duda mobilisierte damit vor allem die rechtsextremen Wählerinnen und Wähler. Das gelang ihm besonders vor dem zweiten Wahlgang, also der Stichwahl zwischen Duda und dem liberalen Oppositionskandidaten Rafał Trzaskowski. Duda gewann die Wahl knapp. Inzwischen hat die Opposition wegen unfairer Wahlkampfbedingungen Beschwerden beim Obersten Gerichtshof eingereicht. Wir haben mit jungen queeren Pol*innen darüber gesprochen, wie diese Wahl ihr Leben beeinflusst.

„Ich sehe keine Chance auf Verbesserung“

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Foto: T. Zawada

Kamil Maczuga, 27, arbeitet in Krakau in einem großen Unternehmen als Finanzmanager

„Wir haben diese Hetze schon 2019 erfahren, zuerst vor den Europawahlen, dann vor den Parlamentswahlen. Jede dieser Wahlen ist schwierig, sogar für mich, obwohl ich in Krakau lebe, der zweitgrößten Stadt Polens. Ich muss an meine Kindheit denken, ich wurde in einem Dorf mit 500 Einwohnern im konservativen Südosten groß. Es war eine sehr schwierige Kindheit, weil ich nie mit jemandem darüber sprechen konnte, dass ich schwul bin. Es hat lange gedauert, bis ich mich selbst akzeptieren konnte.

Ich habe mir diese Gemeinderatssitzungen angeguckt, in denen Lokalpolitiker für Beschlüsse gestimmt haben, die LGBTQ diskriminieren. Danach dachte ich, dass mich nichts mehr überraschen kann. Aber dann kamen homophobe Sätze vom Präsidenten, der doch der Repräsentant des Landes ist. Er spricht im Namen des Landes und hetzt gegen LGBTQ. Viele meiner Freunde mussten sich ausklinken, sie haben ihre Social-Media-Kanäle nicht mehr verfolgt.

Ich denke oft darüber nach, auszuwandern. Ich sehe keine Perspektive, keine Chance auf Verbesserung. In den nächsten Jahren kann es eher noch schlechter werden, jetzt wird es erst einmal drei Jahre lang keine Wahlen geben. Was mich noch hier hält, sind die Pandemie und meine Freunde und Familie. Trotzdem würde ich gerne in einem Land leben, in dem ich nicht vor jeder Wahl hören muss, dass ich eine Gefahr bin. Ich arbeite im Finanzwesen in einem großen Unternehmen, ich könnte überall einen Job finden.

Ich kenne leider viele Menschen, die auswandern wollen. Ich war selbst zwei Jahre in Großbritannien und kam 2017 zurück, weil ich gehofft habe, dass sich hier was ändern lässt. Dort habe ich eine Polin kennengelernt, die mit ihrer Partnerin ein Kind großgezogen hat. Sie wusste, dass ihr Kind in Polen kein einfaches Leben hätte mit zwei Müttern. Zwei Freundinnen, die mir sehr nahe stehen sind vor kurzem ausgewandert. Eine ist nach Deutschland gegangen, die andere lebt mit ihrer Partnerin in Prag. Ich vermisse beide so sehr, es macht mich sehr traurig.

Ich höre wieder öfter von physischer Gewalt in Krakau. Erst vor einer Woche sah ein Bekannter von mir, wie ein Mann vor einem Krakauer Schwulenclub zusammengeschlagen wurde. Ich selbst bin vor drei Jahren Zeuge davon geworden, wie zwei meiner Freundinnen, beide lesbisch, von zwei Männern geschlagen wurden. Seit einigen Tagen hängen in Krakau große schwarze Banner, die Homosexuelle mit Pädophilen gleichsetzen. Wir fühlen uns nicht mehr sicher in Polen.“

„Wir dürfen nicht aufgeben. Es ist ein Kampf“

protokolle lgbtq polen galerie nat

Foto: Privat

Nat Sokołowskie, 18, geht in Warschau zur Schule und macht in einem Jahr Abitur:

„Ich bin trans und non-binär. Ich würde nicht sagen, dass die Leute in Polen das akzeptieren, sie tolerieren es eher. Ich höre oft Sätze wie: Sollen sie doch machen, was sie wollen. Ich höre Ausdrücke wie ‚diese Leute‘, oder ‚Leute, die anders lieben‘. Sie trauen sich nicht einmal, ‚LGBT‘ zu sagen. Nein, wir lieben nicht anders, wir lieben genauso, nur lieben wir andere Personen. Es nervt mich, wenn alte Frauen Sachen sagen wie: ‚In meiner Klasse waren früher auch zwei Jungs, die miteinander gingen, aber damals musste man nicht so viel darüber sprechen wie heute.‘ Sie tolerieren vielleicht, aber sie setzen sich nicht weiter mit der Situation der LGBTQ in Polen auseinander.

Nach dem Abi nehme ich vielleicht meinen Koffer und meine Katze und verlasse dieses Land. Ich hatte Glück, ich bin noch nicht angegriffen worden dafür, wie ich mich kleide, wie ich aussehe. Letztens bin ich an einem alten Mann mit einem Schild vorbeigegangen. Darauf stand ‚LGBT-freie Zone‘. Ich habe ihn angesprochen, um zu verstehen, wieso er so etwas macht und wie er denkt. Ich habe ihm nicht gesagt, dass ich selbst trans bin, ich habe ihm nur Fragen gestellt. Aber so wirklich haben wir uns nicht verstanden.

Die Nachrichten auf TVP (regierungsnaher öffentlich-rechtlicher Sender, Anm. d. Red.) konnte ich mir nicht ansehen, das löste bei mir Panikattacken aus. Auf Facebook folge ich vielen Gruppen, die sich mit Memes über die Regierungspartei lustig machen. Dadurch habe ich dann erfahren, welche Ideen TVP verbreitet. Vor dem zweiten Wahlgang hörte ich dann, dass wir sexualisieren würden, dass wir eine Ideologie seien. Was soll denn bitte eine ‚LGBT-Ideologie‘ sein? Am Tag der Wahl war ich so gestresst, ich saß auf heißen Kohlen. Ich überzeugte sogar meine Mama, wählen zu gehen. Sie wollte eigentlich zu Hause bleiben.

Ich kenne die Statistiken der Wahlen. Hätten nur die 18- bis 49-Jährigen gewählt, hätte der Oppositionskandidat Rafał Trzaskowski gewonnen. Wir dürfen nicht aufgeben. Es ist ein Kampf. Durch die Pandemie und die Wahlkampagne bin ich aktiver geworden. Ich helfe als Freiwillige bei der Pride Parade. Wir dürfen nicht vergessen: Im Norden und Westen Europas verbessert sich die Situation für LGBT zwar, aber im Osten, wo Putin weiter an der Macht bleiben wird, verschlechtert sie sich. Wir haben eine seltsame geographische Lage zwischen diesen beiden Polen.“

„In Polen wird es immer gefährlicher“

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Foto: Luka Łukasiak

Aleksandra Magryta, 33, arbeitet für NGOs in Warschau und verantwortet unter anderem deren Social-Media-Kanäle

„Die Regierungspartei mobilisierte mit ihren homophoben Postulaten auch die extreme Rechte. Es war für mich schockierend, dass der linke Kandidat Robert Biedroń im ersten Wahlgang weniger Stimmen erhalten hat als der frauenfeindliche, homophobe Krzysztof Bosak. Rafał Trzaskowski, der wichtigste Oppositionskandidat, versuchte zwischen den Stühlen zu stehen. Dank dieser Position hat er fast so viele Stimmen wie Andrzej Duda bekommen, aber wer weiß, vielleicht hätte er noch mehr Stimmen erhalten können, hätte er sich auf unsere Seite gestellt. Wir hätten jedenfalls gerne eine starke Aussage gehört: Ich bin dafür, dass homosexuelle Paare eingetragene Partnerschaften eingehen können. Als Trzaskowski ein Pärchenfoto mit seiner Frau gepostet hat, hat uns das getroffen. Wir hatten das Gefühl, dass es das Ideal zeigen soll.

Als dann Duda den zweiten Wahlgang gewonnen hat, sagten ganz viele Menschen in meinem Umfeld: Wir wandern aus. Meine Freunde in Deutschland in Großbritannien sagten: Komm, wenn du willst. In Polen wird es immer gefährlicher. Klar, die polnische Jugend kann jetzt zumindest online Infos finden. Ich erinnere mich, dass man gar nicht über LGBTQ gesprochen hat, als ich eine Jugendliche war. Dafür gibt es jetzt aber mehr Hass und mehr Akzeptanz für Gewalt. In Warschau gehe ich nicht mit einer Frau Hand in Hand durch die Straße. Ich habe auch lange gezögert, bevor ich die Regenbogenflagge in mein Fenster gehängt habe. Was würden die Nachbarn sagen? Am Schluss hat keiner etwas gesagt. Ich weiß immer noch nicht, was ich sagen soll, wenn ich in den Urlaub fahre. Sage ich, dass ich mit meiner Freundin fahre, oder lieber doch nicht? Wir verhalten uns sehr kontrolliert und wir haben immer mehr Angst.

Ich habe keine Hoffnung mehr, dass sich die Situation verbessert. Ich weiß nicht, was passieren müsste, damit sich etwas verändert. Wir stehen an einem schwierigen Punkt. Ich habe Angst davor, dass die rechtsextremen Parteien noch mehr Unterstützer bekommen. Vielleicht hilft es, wenn andere Länder Polen stärker unter Druck setzen. Wir sind zu müde, um auf die Straßen zu gehen, weil wir keine Besserung sehen. Wir versuchen uns jetzt von innen zu stärken, sonst fallen wir auseinander. Das ist das einzige, das jetzt Sinn macht. Wie das aussieht? Wir treffen uns auf Facebook oder in kleinen Gruppen und unterstützen uns gegenseitig, indem wir miteinander sprechen.“

„Ich denke voller Angst an die Zukunft“

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Foto: Privat

Andrzej P., 28, hat Psychologie studiert und plant seine Ausbildung zum Psychotherapeuten in Warschau. Er fürchtet, dass seine Homosexualität zukünftige Kunden verschrecken könnte und möchte nur seinen Vornamen veröffentlichen

„Ich war 22 Jahre alt, als ich verstanden habe, dass ich schwul bin. Meine Eltern sind sehr gläubig. Ich redete mir lange ein, dass ich hetero bin. Dann ging ich während meines Studiums drei Monate nach London und traf andere, die so sind wie ich. Ich ging zum ersten Mal in Schwulenclubs. Nach dem Studium zog ich nach Warschau und lernte meinen ersten Freund kennen. Endlich war ich glücklich. Das hielt leider nur bis zur Pride Parade in Białystok an, wo Hooligans auf die Teilnehmer losgingen. Ich ging nie auf Pride Paraden, weil ich darin keinen Sinn gesehen habe. Białystok hat das geändert. Seither habe ich Angst und gehe gerade deswegen auf die Paraden in Warschau und bin aktiver, weil ich jetzt verstehe, dass wir zusammenhalten müssen.

Als ich gehört habe, wie die Wahlen ausgegangen sind, war ich richtig bedrückt. Was wir uns in der Kampagne anhören mussten, war unglaublich hässlich. Ich fühlte mich als Objekt. Es tat mir weh und ich hatte so viel Wut in mir auf das alles. Meine heterosexuellen Freunde gingen auf Proteste. Das hat mir geholfen, durch diese sehr schwere Zeit zu kommen.

Ich denke voller Angst an die Zukunft. Ich höre von anderen, dass sie gar nicht mehr aus dem Haus gehen oder ein Taxi bestellen, das sie unmittelbar in einen Club bringt. Ich wurde auch mal von Fußballfans angegriffen. Ich erinnere mich gut, denn es war mein Geburtstag und ich habe mich schöner angezogen. Ich kleide mich nicht extravagant, aber ich war mit einem Mann unterwegs. Das gefiel ihnen nicht. Sie befahlen mir, aus ihrem Bus zu steigen und als ich mich weigerte, schubsten sie mich raus.

Ich glaube mittlerweile, dass ich in Polen keine gesunde Beziehung haben kann. Ich hätte gerne ein ganz normales Leben. Ich würde so gerne mit einem Partner ins Kino gehen, ohne komisch angesehen zu werden. Ich will nicht nur zu Hause sitzen. Ich weiß, wie viele schwule Männer hier leben. Sie sitzen auf der Couch und gehen nicht raus. Ich hatte das selbst mal mit meinem Exfreund. Immer, wenn wir die Wohnung betraten, waren wir ein Paar, auf der Straße waren wir nur gute Freunde. Ich bin Psychologe. Ich weiß, dass sich das schlecht auf die Psyche auswirkt.

Ich habe einen Plan. Die Kampagne hat mir gezeigt, dass mein Staat nicht hinter mir steht. Ich will keine Steuern zahlen an einen Staat, der mich nicht unterstützt. Ich werde jetzt eine vierjährige Ausbildung zum Psychotherapeuten an mein Studium anhängen. Dann ziehe ich weg. Ich würde gerne nach Deutschland auswandern, weil ich weiß, wie das Leben dort aussieht. Es ist ein politisch stabiler Staat, auf den ich mich verlassen kann. Habe ich erstmal eine eigene Praxis, will ich LGBTQ-Leuten in Polen helfen. Das kann ich auch aus der Ferne machen, online. Das wird mein persönlicher Kampf.“

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