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Dalia-Studie zu LGBT-Anteil in der Bevölkerung
Wenn es darum geht, den Anteil an LGBT-Personen (Lesbian, Gay, Bi, Trans) in einer Bevölkerung zu erfassen, tun sich Umfrageinstitute schwer. Ist ja auch logisch: Zum Einen ist Homosexualität in vielen Ländern immer noch ein Tabuthema. Wer sich öffentlich dazu bekennt, dem drohen gesellschaftliche Ächtung, Gefängnisstrafen, in Ländern wie Iran sogar der Tod. Zum Anderen ist die Selbstzuordnung als schwul, lesbisch, bi, trans oder intersex nicht immer einfach – manche Menschen fühlen sich von keiner dieser Kategorien richtig erfasst oder in Umfragen werden nicht alle Varianten zur Auswahl gegeben.
Wegen dieser Probleme wurde der LGBT-Anteil in Bevölkerungen bisher meistens geschätzt, weshalb die Werte erwartbar stark schwanken: Je nachdem, wem man glaubt, liegt der Anteil an Homosexuellen beispielsweise in Deutschland zwischen einem und zehn Prozent. Inwiefern bi- oder intersexuelle dabei erfasst werden, ist nicht geklärt.
Dadurch, dass es eben keine harten Zahlen gibt, geht vom Thema "LGBT-Anteil" aber eben auch ein riesiger Mythos aus. Es wird beispielsweise gerne darüber diskutiert, welcher Anteil denn "normal" sei, wobei ja allein schon dieser Begriff für etwas ganz Natürliches völlig bescheuert ist.
Mit 7,4 Prozent LGBT-Anteil ist Deutschland in dieser Studie Spitzenreiter
Das 2013 in Berlin gegründete Umfrage-Startup Dalia wollte nun mit einer Studie Klarheit über den tatsächlichen LGBT-Anteil in den EU-Ländern schaffen – und das repräsentativ. Dafür befragte es online knapp 12.000 Menschen, bei neun von 28 Ländern konnten statistisch signifikante Ergebnisse gewonnen werden. In diesem Umfang ist das neu – die meisten Studien beziehen sich auf einzelne Länder.
Das Ergebnis der Dalia-Stude, so viel sei schon einmal vorweggenommen: Mit 7,4 Prozent LGBT-Anteil ist Deutschland Spitzenreiter, gefolgt von Spanien (6,9 Prozent) und England (6,5 Prozent). In Ungarn ordneten sich mit nur 1,5 Prozent die wenigsten Menschen der LGBT-Community zu.
Bevor wir jetzt weiter darauf rumdenken, was diese Ergebnisse mit unseren Wirtschaftsbeziehungen zu homophoben Machthabern wie Wladimir Putin oder dem König von Saudi-Arabien machen, muss man sich allerdings die Machart der Studie genauer anschauen.
Befragt wurde online, die meisten Rückmeldungen bekommt Dalia via Smartphone. Aus Sicht des Unternehmens hat das den Vorteil, dass die Leute ehrlicher auf persönliche Fragen antworten als wenn ihnen ein Interviewer gegenübersitzt. Auch die Möglichkeit, dass der Interviewer etwas falsch einträgt, wird durch die Selbsteingabe der Daten minimiert. So weit, so klar.
Problematischer ist hingegen, wie oben schon angedeutet, die Frage der sexuellen Identität. Dalia hat das mit einer zweistufigen Fragestellung versucht zu lösen, wobei zwölf Prozent der Teilnehmer auf diese Fragen nicht antworten wollten (warum das für die Studie problematisch ist, kann man hier genauer bei quartz nachlesen). Zunächst wurde gefragt:
1) "Do you identify as lesbian, gay, bisexual, or transgender?" [Yes / No / Prefer not to say]
Danach konnte man noch diese Frage beantworten, deren Antwortmöglichkeiten sich grob an der Kinsey-Skala aus den 40er Jahren orientieren
2) "Which of the following options best describes your current sexual orientation?" [Only heterosexual / Mostly heterosexual, sometimes homosexual / Equally heterosexual and homosexual / Mostly homosexual, sometimes heterosexual / Only homosexual / Asexual / Prefer not to say]
Erwartungsgemäß führte zweite Frage zu mehr Zustimmung als erstere. Denn auch jemand, er sich selbst nicht als LGBT fühlt, könnte beispielsweise trotzdem bei Frage zwei die Antwort "mostly heterosexual, sometimes homosexual" auswählen und wäre damit, um mal bei diesen Labels zu bleiben, nicht gänzlich straight. Dementsprechend haben weitaus weniger Menschen bei Frage eins mit "Ja" geantwortet als sich tatsächlich bei Frage zwei als nicht eindeutig hetereosexuell identifizieren. Die oben zitierten Werte von beispielsweise 7,4 Prozent LGBT-Anteil in Deutschland beziehen sich aber nur auf Frage eins.
Bedeutet, liebe vor Angst schon ganz starr gewordenen homophoben Leser: Der tatsächliche LGBT-Anteil in Deutschland könnte noch sehr viel höher liegen als 7,4 Prozent. In europäischen Durchschnittswerten gesprochen sehen sich übrigens 5,9 Prozent der Europäer als LGBT, bei der weiter umfassenden Frage zwei sind es sogar 10 Prozent.
Weitere interessante Ergebnisse: Frauen bezeichnen sich häufiger als LGBT als Männer, wobei insbesondere die Niederländerinnen sich besonders offen zeigten (10,3 Prozent definieren sich selbst hier als LGBT – immer im Kopf behalten, in Wahrheit sind es wohl noch mehr). Und auch eine Alterskluft konnte festgestellt werden: Je jünger die Befragten, umso eher sahen sie sich der LGBT-Gemeinschaft zugehörig.
Das schöne Fazit, das die Studie zieht: "EU Millenials are less heterosexual". Kann man also nur hoffen, dass das, was die Studie eigentlich bezwecken wollte, irgendwann tatsächlich eintritt: Die Feststellung, dass Liebe Liebe ist und in jede geschlechtliche Richtung völlig normal.