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Wie verbessere ich meinen Orientierungssinn?
Seit fünf Jahren lebe ich in München und seit fünf Jahren verlaufe ich mich mindestens ein Mal in der Woche. Als ich noch kein Smartphone hatte, das sich im Notfall in ein Navi verwandelt, habe ich immer meinen Freund angerufen, der fast immer am Computer arbeitet und bei Google Maps schnell nachsehen konnte, wo ich stecke. Und wo ich hin muss. Seit ich unterwegs Google Maps konsultieren kann, komme ich ganz gut zurecht. Nur wenn der Akku leer ist, habe ich ein Problem.
Ich habe mich mit meinem schwach ausgeprägten Orientierungssinn abgefunden, wir kommen ganz gut miteinander klar. Vieles wäre aber einfacher, wenn ich mich besser zurechtfinden würde. Nur: Geht das überhaupt? Kann man seinen Orientierungssinn verbessern? Ist der nicht angeboren?
Prof. Dr. Stefan Münzer vom Lehrstuhl Empirische Erziehungswissenschaft an der Universität Mannheim forscht schon länger zum Thema Orientierungssinn. „Meiner Auffassung nach ist das eine Kompetenz, die sich erlernen und trainieren lässt“, sagt er. Nur tun wir das immer seltener. „Navis halten uns davon ab, uns selbst zu lokalisieren und unsere Richtung festzustellen, Karten zu studieren, selbst Routen zu planen und benötigte Zeiten abzuschätzen. Lässt man sich führen, denkt man nicht mehr mit und lernt nichts über die Umgebung.“
Geht man stattdessen bewusst durch die Welt, kann man seinen Orientierungssinn trainieren. Zum Beispiel, indem man sich unterwegs überlegt, wie die Umgebung von oben aussieht und eine „Karte im Kopf“ zeichnet. Oder sich einfach mal bewusst anstrengt, sich den Weg, den man gegangen ist, zu merken - auch als Beifahrer oder unterwegs mit den Öffentlichen. Stefan Münzer sagt: „Als Passagier sollte man nicht abschalten oder sich anders beschäftigen. Hilfreich ist es, wenn man sich dabei immer wieder Bezugspunkte zum Orientieren sucht, etwa einen großen Turm oder einen Fluss, und sich bewusst macht, wie man sich in Bezug auf diesen Punkt bewegt.“
Auf keinen Fall sollte man aus Faulheit oder Angst ohne Navi oder Begleiter nicht mehr aus dem Haus gehen. „Das schlimmste, was passieren kann, ist, dass man sich verläuft. Also warum nicht einfach ausprobieren?“, schlägt Stefan Münzer vor. Besonders wichtig findet er die Auseinandersetzung mit Stadtplänen. Bevor man losgeht, sollte man bewusst die Karte lesen - auch, wenn man sich in der Umgebung sehr gut auskennt: „Dadurch kann man neue Wege und Abkürzungen gehen, die man allein aus der Routenerfahrung vielleicht nicht gesehen hätte.“
Mit einem Klischee räumt Stefan Münzer gleich auf. „Männer haben keinen besseren Orientierungssinn - nur das größere Selbstvertrauen“, sagt er. Geschlechterunterschiede hat er in seinen Studien nicht festgestellt. Weder beim Merken von Wegen noch bei der Aufgabe, Karten zu studieren und nachher zu zeichnen oder Karten zu zeichnen, nachdem man einen Realraum erkundet hat. „Ich kenne allerdings Studien, die darauf hindeuten, dass Männer sich besser orientieren können, wenn sie sich mit einer Karte zurechtfinden müssen“, sagt er. Aber auch hier sind die Unterschiede minimal.
Wenn es mal wirklich nicht ohne Navi geht, empfiehlt Stefan Münzer eines mit Kartenansicht. In mehreren Studien hat er nachgewiesen, dass Fußgänger ein besseres Orientierungswissen über ihre Umgebung erwerben, wenn sie ein Navigationsgerät mit Kartenansicht verwenden. Noch besser ist es allerdings, wenn man versucht, sich ohne Hilfsmittel zurechtzufinden. Das ist wie mit dem Taschenrechner und dem Kopfrechnen.
Kathrin Hollmer, 24, bewundert Menschen, die ohne Navi durch die Stadt kurven. Wenn bei ihrem Smartphone der Akku leer ist, hat sie ein Problem. Weil sie dann nicht mehr Google Maps um Rat fragen kann - oder ihren Freund anrufen.
Fünf Tipps für einen besseren Orientierungssinn:
Die richtige Vorbereitung: Bevor man eine Stadt erkundet, erst den Stadtplan studieren und einen Überblick über die Hauptverkehrsrouten gewinnen. Hilfreich ist es, wenn man sich bei der Vorbereitung Wahrzeichen, hohe Kirchen, Flüsse und Fernsehtürme einprägt.
Unterwegs diese Orientierungspunkte immer wieder lokalisieren und seine Position und Richtung auf diese Punkte feststellen. Markante Punkte kann man sich auch mit Eselsbrücken merken, indem man sie mit einer erfundenen Geschichte verbindet.
Karte im Kopf updaten: An Kreuzungen immer wieder umdrehen und die Umgebung aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten. Hilft auch: sich die Gegend aus der Vogelperspektive vorstellen.
Bei der Taxi- oder Busfahrt oder in der Straßenbahn nicht abschalten oder anders beschäftigen, sondern bewusst mit der Umgebung und dem Weg, den man zurücklegt.
Nach einer Tour durch eine neue oder fremde Stadt abends noch einmal die Karte studieren und die Route einzeichnen, die man tagsüber zurückgelegt hat.