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Wie sinnvoll ist ein Auto in der Stadt?
Mein erstes Auto war ein Opa-Auto, aber ich liebte es: Mercedes E-Klasse, Baujahr ’89. Diesel. Automatik. Das gleiche Modell, wie es noch tausendfach als Taxi durch Deutschland rollt. Weiß, schwer, unsexy, aber solide.
Das Auto hatte meinem Opa gehört, bis zu meinem 18. Geburtstag, als er es auf die Straße vor mein Elternhaus parkte und seinen Führerschein abgab. Drei Jahre lang fuhr ich das Auto täglich. Morgens in die Schule, im Sommer an den See, im Winter in die Berge, mit Sandsäcken im Kofferraum, wegen des verdammten Heckantriebs. Eines Frühlings fuhr ich es bis nach Paris und zurück, und zweimal bei Glatteis in einen Gartenzaun. Und dann war die Schule vorbei, der Zivildienst irgendwann auch, und ich zog zum Studieren nach München.
Während ich mit dem Fahrrad zur Uni fuhr und mich dabei ziemlich weltmännisch fühlte, parkte das Opa-Auto vor der WG in Schwabing und sammelte Strafzettel unter dem Scheibenwischerarm. Der Umzug hatte das Auto zum ersten Mal unpraktisch gemacht. Sollte ich es verkaufen und das Geld in ein U-Bahn-Dauerticket investieren? Ich begann, eine mentale Pro-Kontra-Liste zu führen. Andreas Hölzel ist ADAC-Sprecher, von ihm könnte man erwarten, er verteidige das Auto – aber er sagt, in der Stadt lohne sich der öffentliche Nahverkehr fast immer mehr als ein Wagen. „Vorausgesetzt, Wohnort und Uni sind gut an die Öffentlichen angebunden.“ Für kürzere Strecken sei das Fahrrad perfekt.
„Aber“, und jetzt spricht er mein Dilemma an, „ist man wirklich bereit, auf den Komfort zu verzichten, den ein eigenes Auto mit sich bringt?“ Genau das - der Komfort - war nämlich mein Problem. Am Wochenende besuchte ich mit dem Auto regelmäßig meine Eltern auf dem Land, einmal pro Woche lud ich Altpapier und Leergut in den Kofferraum und kutschierte es zum Wertstoffhof. Ohne Auto hätte ich dafür dreimal länger gebraucht. Das nächste Problem war die Parkplatzsuche, denn tagsüber fand ich in meiner Straße zwar immer eine Lücke – aber sobald ich Abends heimkam, wenn alle Großstädter zu Hause waren, zog ich eine halbe Stunde Kreise um die Blocks, bevor ich den Wagen fluchend vor ein Garagentor parkte. „Gerade in Vierteln, wo viele Studenten leben, gibt es wegen der Kneipen oft viel Parksuchverkehr“, sagt Andreas Hölzel. Die Dauer-Parklizenz für Anwohner hilft zwar gegen die Strafzettel – aber nicht gegen die Parkplatznot. „Und sie kostet zwischen 60 und 100 Euro pro Jahr.“
Wer über ein Auto in der Stadt nachdenkt, dem rät Andreas Hölzel, seine Wege zu analysieren. „Je unterschiedlicher und vielfältiger die sind, umso wichtiger ist ein eigener Wagen.“ In meinem Fall ist er das eher nicht, denn ich gehöre zu den sogenannten Wenigfahrern – unter 10.000 Kilometer im Jahr. Uns Wenigfahrern, die nicht täglich ein Auto brauchen, empfiehlt Hölzel zwei Optionen: „Entweder Autovermietungen“, sagt er, „die bieten oft günstige Konditionen für die Wochenenden, wenn Studenten nach Hause fahren.“ Oder aber das Carsharing. Dienstleister wie „Stattauto“ gibt es in den meisten Großstädten, für eine Aufnahmegebühr kann man sich dort Autos in allen Klassen stunden- oder tageweise ausleihen. Zwar müsse man sich schon vorab auf eine Ausleihdauer festlegen – „aber es spart Stellplätze und ist umweltfreundlich.“ Und mein Opa-Auto? Nach sechs Wochen und elf Strafzetteln in Schwabing beschloss ich, Schluss zu machen. Ich verkaufte den Wagen zwei Männern, die ihn in den Irak bringen wollten, wo er als Taxi dienen sollte. Seither habe ich ein U-Bahn-Dauerticket. Wenn ich heute in die Berge oder an den See fahren will, leihe ich mir das Auto meiner Schwester. Und das Leergut bringe ich zu Fuß weg.
Jan Stremmel, 25, wurde letzten Juli sein heiß geliebtes hellblaues Herrenrad gestohlen. Er hat bis heute kein neues Rad, denn er hofft noch immer heimlich, das alte irgendwo zu finden.
Fünf Tipps für das Auto in der Stadt:
1. Wer vom Land kommt, mag es nicht glauben, aber: in jeder Großstadt lässt es sich wunderbar ohne Auto leben.
2. Wer sich Kfz-Steuer, Versicherung, Reparaturkosten, Wertverlust und Parkplatzgebühren spart, kann davon locker ein U-Bahn-Monatsticket zahlen – und auch mal Samstagnachts ein Taxi nach Hause.
3. Für kurze Strecken ist das Fahrrad unschlagbar, für mittlere die öffentlichen Verkehrsmittel. Aber selbst ein langer Weg zur Arbeit kann mit U- und S-Bahn bequemer sein als mit dem Auto. Kein Stau, kein Eiskratzen – aber dafür endlich mal Zeit für gute Bücher.
4. Wer regelmäßig eine gebrechliche Großtante zum Arzt bringen oder zweimal die Woche zum Tennistraining in die Peripherie fahren muss – für den macht ein Auto vielleicht Sinn. Faustregel: ab 10.000 Kilometer pro Jahr.
5. Nutzen statt besitzen: die Carsharing-Vereine sind sehr rentabel für Wenigfahrer. Die Beitritts-Kaution mag auf Studenten zwar abschreckend hoch wirken – danach sind die Leihpreise aber unschlagbar günstig. Man kann die Wagen sogar für den Urlaub leihen: eine Woche mit 600 Kilometern kostet bei Stattauto München 231 Euro.